Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 197 Osterode, St. Aegidien 1644

Beschreibung

Oblatendose. Silber, innen vergoldet, außen an den Rändern und am Griff des Deckels ziervergoldet. Auf der Wand drei oben abgeflachte und an den Seiten miteinander verschränkte Lorbeerkränze, die in den Innenfeldern Abbildungen und Inschriften enthalten. In einem Lorbeerkranz ein Vollwappen mit den ineinander verschlungenen Initialen (A) des Stifters. Über dem Wappen Inschrift B. Inschrift C beginnt mit dem rechts und links vom Wappen angeordneten Namen und wird unter diesem fortgesetzt. Rechts neben diesem im zweiten Lorbeerkranz Christus im Strahlennimbus als Salvator mundi, die Rechte segnend erhoben, in der Linken eine überproportional große, von einem Kreuz bekrönte Weltkugel, deren dreidimensionale Gestalt durch eine Spirale dargestellt wird. Links und rechts vom Nimbus die unter dem Lorbeerkranz verlaufende Inschrift D. Im dritten Lorbeerkranz der auferstandene Christus, den rechten Arm segnend erhoben, im linken Arm das Kreuz haltend. Die Darstellung ist rechts und links begleitet von jeweils drei Engeln, die die Marterwerkzeuge präsentieren und das Blut Christi in einem Kelch auffangen. Am Kreuzhaupt der Titulus E. Über Christi Kopf ein gebogenes, an den Enden umgeschlagenes Schriftband mit Inschrift F. Unterhalb der Darstellung Inschrift G, in den ersten beiden Zeilen von den Füßen Christi unterbrochen. Auf dem Deckel am Rand des Spiegels Inschrift H. Alle Darstellungen und Inschriften sind eingraviert, die Buchstaben sind teilweise konturiert ausgeführt. Am Anfang und Ende der letzten Zeile von Inschrift B und C jeweils gleichartige Worttrenner bzw. Zeilenfüller in Form einer um 90° nach außen gedrehten, liegenden Palmette, die aus (teilweise gebogenen) Strichen gebildet ist. Die Dose wurde Heinrich Wendt zufolge für die Johanniskirche gestiftet.1)

Maße: H.: 11,7 cm (ohne Deckel); Dm.: 9,4 cm (Boden), 8,8–9 cm (Öffnung); Bu.: 0,9 cm (A), 0,3 cm (B–D), 0,1 cm (E), 0,15 cm (F), 0,18 cm (G), 0,2 cm (H).

Schriftart(en): Kapitalis mit Versalien (A–D), Kapitalis (E), Minuskeln mit Versalien (F–H).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Jörg H. Lampe) [1/4]

  1. A

    I(EORGEN) V(OGEL)S(ANGK)

  2. B

    CHRISTVS . VND. SEIN. BLVT / · MEIN . HOCHSTES . GVT ·

  3. C

    JEORGEN // VOGELSANGK / DEDIT ME / MORTVVS . EN . VIVO / GLORIA . CHRISTE . TIBI / · ANNO . 1644 ·

  4. D

    EGO . SVM . VIA // VERITAS . ET . VITA2)

  5. E

    I(ESVS) N(AZARENVS) R(EX) I(VDAEORVM)3)

  6. F

    Jesu meine liebe gecreutziget4)

  7. G

    Gehet hera//us vnd / schauwet an ihr Tocht//er Zion den konig Salo/mon in der krone damit ihn seine mutter / gekronet hat, am Tage seiner hochzeit vnd / am Tage der freuden seines hertzens / cantic. 3 · Vers · 11a)5)

  8. H

    Gloria sit . Christo . Victoria . sitq(ue) . triumphus

Übersetzung:

Georg Vogelsang hat mich gestiftet. Sieh, im Tod lebe ich. Ehre sei dir, Christus. Im Jahr 1644. (C)

Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. (D)

Ehre sei Christus, ihm sei der Sieg und der Triumph. (H)

Versmaß: Deutsche Reimverse (B). Pentameter (C, MORTVVSTIBI). Hexameter (H).

Wappen:
Georg Vogelsang6)

Kommentar

Die regelkonforme Kapitalis zeichnet sich durch den Wechsel von Haar- und Schattenstrichen aus; durch Kontur verbreitert sind gewöhnlich die Bögen (außer beim O), die senkrechten sowie die Linksschrägschäfte. An den Schaftenden Sporen; der obere und unteren Balken des E reicht nach links über den Schaft hinaus, die Sporen an den Balkenenden sind hakenförmig. Die Cauda des G ist unter die Zeile verlängert und nach links zurückgebogen, die Cauda des R ist geschwungen. Am oberen Bogenende des G wie an einigen Versalien finden sich geschwungene Zierstriche, die teilweise schlaufenförmig zurückgeführt sind. Die Formen der Minuskeln folgen denen der Kursive, wenn sich auch einige Elemente der Fraktur wie Brechungen an m und n finden. Vom selben Goldschmied stammt ausweislich der gravierten Bilder, der Gestalt der Lorbeerkränze sowie der Schrift auch die ebenfalls 1644 gestiftete Weinkanne Nr. 198. Die palmettenförmigen Worttrenner in den Inschriften B und C finden sich genauso dort sowie auf dem Kelch Nr. 204 in St. Jacobi aus dem Jahr 1647. Als Hersteller kommt der Osteroder Goldschmied Christoph Uder (um 1598–1667) infrage, der 1649 den Huldigungspokal der Stadt für Herzog Christian Ludwig (Nr. 209; dort weitere Informationen zu ihm) und den Kelch Nr. 211 für Scharzfeld anfertigte.

Die Darstellung mit den Inschriften E–G ist übernommen von einem nur wenig veränderten Kupferstich des in Frankfurt und Straßburg tätigen Isaac Brun (1596–nach 1657).7) Die Zusammenstellung der Inschriften F und G geht zurück auf das Titelblatt einer Predigtsammlung von Martin Hyller (1575–1651), Pastor in Striegau in Schlesien,8) die zuerst 1613 in Jena und Breslau unter dem Titel Jesus meine Liebe gecreutziget erschien. Das Bibelzitat G steht auf dem Titelblatt der Ausgabe von 1613 zusammen mit der Stellenangabe direkt vor dem Druckort.9) Inschrift F wurde 1662 im Kloster Lüne auf einem Altarbild ebenfalls als Inschrift angebracht.10)

Der Salvator-Mundi-Darstellung mit Inschrift D dürfte ebenfalls eine Vorlage zugrunde liegen. Dabei könnte es sich um einen bei Paul Fürst in Nürnberg verlegten Kupferstich handeln,11) bei dem die Haltung der beiden Arme und die Stellung der Füße allerdings abgewandelt worden wären.

Georg (Jürgen) Vogelsang stiftete der Kirche auch eines der Gemälde, die an den Emporen und am Orgelprospekt aufgehängt waren, vgl. Nr. 189. Von 1640 bis 1686 wird er in den Steuerlisten als Besitzer des Hauses Am Schilde 15 genannt.12)

Textkritischer Apparat

  1. 11] Befund: zwei Minuskel-i.

Anmerkungen

  1. Wendt, Kirchen- und Schul-Acta, Bl. 141r.
  2. Io. 14,16.
  3. Io. 19,19.
  4. Nach einem Ausspruch des Ignatius von Antiochia: Ὁ ἐμὸς ἔρως ἐσταύρωται; Ignatius von Antiochia, Brief an die Römer VII,2; Migne, Patrologia Graeca, Bd. 5, 1894, Sp. 693 (gr.) u. 694 (lat.). Ob Ignatius mit ‚seiner Liebe‘ überhaupt Christus meinte, ist umstritten. Der Ausspruch ist bekannt geworden über das Ignatius-Zitat bei Pseudo-Dionysius Areopagita, De divinis nominibus 4,12; Corpus Dionysiacum 1, hg. von Beate Regina Suchla, Berlin/New York 1990 (Patristische Texte und Studien, Bd. 33), S. 157. Zur hier verwendeten Vorlage s. den Kommentar.
  5. Hl. 3,11.
  6. Wappen Georg Vogelsang (Monogramm IVS; vgl. Inschrift A).
  7. HAB Graph. A1: 357. Auf dem Stich sind an den Seiten jeweils vier Engel zu sehen, auf der Oblatendose ist ihre Zahl um jeweils einen verringert; die Arma Christi sind infolgedessen etwas anders verteilt.
  8. Zu Hyller vgl. Siegismund Justus Ehrhardt, Presbyterologie des Evangelischen Schlesiens, Dritten Theils Erster Haupt-Abschnitt, 1783, S. 87–89.
  9. Jesus meine Liebe gecreutziget/ Das ist: HErtzerquickende vnnd inbrünstige Betrachtung des allerschmertzlichsten/ vnschüldigsten Leidens/ vnd bittern Creutztodes vnsers hochverdieneten Heilandes/ In neun vnd funfftzig gottseligen … Andachten verfasset vnd zugerichtet. Vnd … zum Druck vbergeben Durch Martinum Hyllerum, Dienern am Worte des Herrn Jesu zur Strigaw, Jena u. Breslau 1613 (VD 17 1:052140P). Die 1633 in Straßburg gedruckte Ausgabe (VD 17 547:712714K) übernimmt das Titelblatt von 1613 (mit der nicht mehr zutreffenden Angabe des Wirkungsortes des Autors), lässt aber das Bibelzitat G weg. Der dort eingebundene Stich von Isaac Brun enthält in der Tafel unter dem Kreuz nicht das Bibelzitat wie auf dem Stich in der HAB (vgl. Anm. 7), sondern wiederholt den Untertitel des Werkes.
  10. DI 66 (Lüneburger Klöster), Nr. 268. Lateinisch auch auf einem Epitaph aus dem Jahr 1563; vgl. DI 104 (Lkr. Schaumburg), Nr. 198.
  11. HAB Graph. A1: 750.12.
  12. Vgl. StadtA Osterode, Nachlass Schimpf, Nr. 116, hier zu lfd. Nr. 12.

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 197 (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0019702.