Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 175 Hattorf, St. Pankratius 4. V. 16.–1. V. 17. Jh., 1617?

Beschreibung

Kelch. Silber, vergoldet. Der Sechspassfuß mit breitem Standring und mit Rhomben geschmückter Zarge verjüngt sich steil zum Schaft; auf einem Feld aufgenietet ein Kruzifix mit dem vertieft gegossenen Titulus A, umgeben von einer rechteckigen Begrenzungslinie. Zwischen den flachen, schmucklosen Schaftstücken der runde, gewölbte Nodus mit rhombenförmigen Rotuli. Auf diesen die konturiert gravierte Inschrift B. Die steil ansteigende Kuppa ist erneuert. Auf dem oberen Viertel des Feldes rechts vom Kruzifix die gravierte Inschrift C. Unter dem Fuß umlaufend, zunächst dem Außenrand der Bögen folgend, die konturiert schraffierte Inschrift D, in den letzten beiden Feldern waagerecht die Sehne des Bogens füllend.

Eine dazugehörige kleine Patene von 1617 mit langer, teilweise abgeriebener Inschrift war laut der Kunstgutkartei der Landeskirche im Januar 1983 noch vorhanden.1) Sie war 2016 und 2018 nicht auffindbar.

Maße: H.: 16,5 cm; Dm.: 12,5 cm (Fuß), 8,4–8,6 cm (Kuppa); Bu.: 0,3 cm (A, C), 0,5 cm (B), 0,4–0,6 cm (D).

Schriftart(en): Kapitalis mit Minuskeln (letztes Wort von D).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Jörg H. Lampe) [1/7]

  1. A

    I(ESVS) · N(AZARENVS) · R(EX) · I(VDAEORVM)2)

  2. B

    I H E S V S

  3. C

    A · F · V · Z · H3)

  4. D

    ME VITII EVICT(US) // SOLVIT, ROGAT // ATQ(UE) RECA(N)=//TATa), A · F · V · Z · H · // TUb) CAVE // TUT(US)c) erisd)4)

Übersetzung:

Mich spricht ein (selbst) Sündiger von der Sünde los, er betet (für mich) und erlässt mir die Schuld. (D, Anfang)

Nimm dich in acht (oder: Du, bewahre [mich], d. h. den Kelch), dann hast du nichts zu befürchten. (D, Schluss)

Versmaß: Hexameter (D, ME … RECANTAT). Hemiepes (D, TU … eris).

Kommentar

Der Kelch wurde vermutlich im späten 16. oder frühen 17. Jahrhundert gefertigt, wobei der Fuß und die Rotuli dem um 1500 verbreiteten Formenkanon folgen. Der gewölbte Nodus mit Buckeln statt Zungen und die verkürzten, schmucklosen Schaftstücke zeigen dagegen eine spätere, stilistisch unsicher ausgeführte Adaption des älteren Musters; dies gilt auch für die Buchstaben der Inschrift B. Die Buchstabenformen der Inschriften C und D stützen dagegen eine zeitliche Einordnung in die Jahre um 1600. Wenn die nicht auffindbare Patene ursprünglich zur Kelchstiftung gehört haben sollte, wäre 1617 als Entstehungsjahr insgesamt denkbar.

Der Sinn des Hexameters am Anfang von Inschrift D bleibt dunkel. Wer ist der Sündige, der losspricht, bittet bzw. betet und die Schuld erlässt? Dies passt auf einen katholischen Priester. Der Kelch wäre dann im Dreißigjährigen Krieg wohl in einer katholischen Gemeinde gestohlen und nach Hattorf verkauft worden. (Die Ergänzung von Inschrift C in Anm. 3 wäre demzufolge unzutreffend). Christus kann nicht gemeint sein: Zwar könnte Christus als mit den Sünden der Menschen beladen verstanden werden, aber er betet oder bittet nicht. Offenbar hat der Wunsch nach der metrischen Form hier zu einer sprachlichen Gestalt geführt, die uneindeutig ist.

Der Kelch ist möglicherweise erst nach 1637 in die Kirche gekommen. Die seit 1589 erhaltenen Kirchenbücher zeigen, dass der an einem Kreuzungspunkt von Fernstraßen gelegene Ort seit 1621 fast ununterbrochen unter den Lasten des Dreißigjährigen Krieges gelitten hat; 1623 brannten Kirche und Pfarrhaus ab. Die Kirchenbücher konnten gerettet werden, ebenso wohl auch die Vasa sacra. Zwischen 1629 und 1644 mussten die Einwohner mindestens achtmal nach Herzberg fliehen. 1637 gelang dies nicht rechtzeitig und ein Kelch wurde von schwedischen Soldaten gestohlen. 1639 konnten die vorhandenen Kirchengerätschaften dagegen rechtzeitig nach Herzberg gerettet werden.5)

Textkritischer Apparat

  1. RECA(N)=/TAT] Kürzungszeichen über dem ersten A.
  2. TU] Befund: Nach T zwei senkrechte Schäfte, unten nicht verbunden; darüber ein U-Haken.
  3. TUT(US)] Kleiner oberhalb von konturiertem, aber nicht beendetem TV graviert; über TUT ein U-Haken.
  4. eris] Rundes s über angefangenen Schaft (t oder langes s) graviert.

Anmerkungen

  1. Durchmesser der Patene: 11,54 cm; Kunstgutkartei der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers.
  2. Io. 19,19.
  3. A(LLEN) F(ROMMEN) V(EREHRET) Z(U) H(ATTORP)?
  4. Zusammengezogen aus Ovid, Tristia 1,1,25 (Anfang) u. 1,1,38 (Ende).
  5. 1000 Jahre Hattorf, S. 20f. Hattorf am Harz, S. 38f.

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 175 (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0017506.