Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 167 Osterode, St. Jacobi 1621

Beschreibung

Glocke. Bronze.1) Unterhalb der Schulter ein Fries mit einer Girlande von aufgerichteten Lilien, abwechselnd mit Blüten. Darunter zwischen zwei breiteren Stegen Inschrift A, am Anfang mit einem lateinischen Kreuz auf einem Sockel; am Ende nach dem letzten quadrangelförmigen Worttrenner ein stilisiertes Blütenornament. Nach einem dünneren Steg zwischen zwei breiteren Inschrift B, darunter ein dünnerer Doppelsteg. Die erhaben gegossenen Buchstaben sitzen jeweils auf einem Plättchen auf. An der Flanke zehn Reliefs, die wie die Buchstaben vor dem Guss auf Wachsplatten aufgetragen wurden. Knapp oberhalb der Mitte der Flanke ein Rankenfries mit Akanthusblättern. Die Reliefs beginnen unter dem Anfang von Inschrift B mit einem den ganzen Abstand zwischen der Inschrift und dem unteren Fries ausfüllenden Vollwappen in einem Kranz von abwechselnd drei Rosen und drei Perlen. Dann folgen ein Münzabdruck mit Inschrift C, ein ovales Wappenmedaillon mit einem behelmten Tier sowie ein Kruzifix mit Inschrift D auf einem schrägen Schriftband am Kreuzhaupt; über diesem ein geflügelter Puttenkopf. Es schließen sich an ein springendes Lamm zwischen zwei Bäumen (ein Element aus einem Fries?), Maria auf der Mondsichel, die Gießermarke – eine Glocke im Wappenschild mit den Initialen E links und rechts von der Glocke, begleitet von drei Kreuzen –, dann Stephanus mit Palmzweig, Buch und Beutel, ein Löwenkopf sowie eine Darstellung des heiligen Sebastian. Die Reliefs sind etwas über der Mitte der Fläche angebracht mit Ausnahme des Lammes, der Gießermarke und des Löwenkopfes, die auf dem unteren Fries aufsitzen. Am Wolm vier einfache Stege mit einem Doppelsteg in der Mitte.

Maße: H.: 98 cm; Dm.: 115 cm; Bu.: 2 cm (A, B), 0,3 cm (C), 0,2 cm (D), 1 cm (E).

Schriftart(en): Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Jörg H. Lampe) [1/6]

  1. A

    + V(ON) · G(OTTES) · G(NADEN) · CHRISTIAN · BISCHOF · ZV · MINDEN · HERZOGK · ZV · BRAVNS(CHWEIG) · V(ND) · LVN(EBVRG) ·

  2. B

    DER · LANDDROST · DITERICH · BEHR · LIES · MICH · GIESSEN · ZV · GOTTES · EHR · 1621 ·

  3. C

    CHRISTIAN[(US)]a) D(EI) G(RATIA) EL(ECTUS) EP(ISCOPUS) MIND(ENSIS) DUX BR(UNSVICENSIS) ET L(UNEBURGENSIS)b)2) ·

  4. D

    I(ESUS) N(AZARENUS) R(EX) I(UDAEORUM)3)

  5. E

    T(HOMAS) // S(IMON)

Übersetzung:

Christian, von Gottes Gnaden erwählter Bischof von Minden (und) Herzog von Braunschweig und Lüneburg. (C)

Wappen:
Braunschweig-Lüneburg4)

Kommentar

Die Buchstaben der Inschriften A–C sind sehr regelmäßig mithilfe von Modeln geformt. An den Bogenenden keilförmige Verbreiterungen; die Bögen sind mit leichter Verstärkung versehen. Der untere Balken des E ist verlängert, der mittlere verkürzt; oben spitzes, zweistöckiges Z. Die geschwungene Cauda des R läuft spitz zu. Der Balken des A ist deutlich, der des H ist schwach nach unten gebrochen. Die schaftförmige 1 mit einem schwach ausgeprägten Halbnodus nach rechts, die runde 2 mit einem betonten Bogen.

Der lothringische Wandergießer Thomas Simon war von 1612 bis 1617 zusammen mit seinem Vetter François Breutel in Nordhessen und Südniedersachsen tätig.5) 1616 gossen sie eine Glocke für Oedelsheim an der Oberweser (Lkr. Kassel)6) und eine für St. Johannis in Göttingen,7) 1617 eine für Großalmerode (Werra-Meißner-Kreis),8) für Wallensen (Lkr. Hameln-Pyrmont)9) sowie drei Glocken für Bischofferode (Lkr. Eichsfeld, Thüringen).10) Von Thomas Simon allein gegossene Glocken sind 1626 in Sulzdorf (Kaisheim, Lkr. Donau-Ries),11) 1628 in Bickenbach (Lkr. Darmstadt-Dieburg) sowie 1631 in Geisenheim und Lorch (Rheingau-Taunus-Kreis) nachgewiesen.12) Die Übereinstimmung der 1616 und 1617 für Göttingen, Großalmerode und Wallensen gegossenen Glocken ist besonders groß beim Schmuck; aber auch in Osterode finden sich 1621 neben der Gießermarke des Thomas Simon noch das Kruzifix, Maria auf der Mondsichel und Stephanus13) mit Palmzweig; in Großalmerode und Wallensen kommen das Bild des Sebastian, das in Göttingen fehlt, in Großalmerode zudem der Löwenkopf hinzu. Die Friese der Osteroder Glocke weichen von denen der drei Glocken von 1616/17 ab, gemeinsam ist ihnen aber die Anbringung eines Frieses an der Mitte der Flanke (außer in Wallensen). Die fein ausgeführte Schrift unterscheidet sich von der auf den früheren Glocken von Thomas Simon und François Breutel, die noch nicht Buchstaben auf Wachsplättchen verwendeten. Auf seinen späteren Glocken von 1628 und 1631 hat Simon weiterhin auf diese Technik zurückgegriffen.14)

Am 22. Mai 1621 goss Thomas Simon zusammen mit François Breutel, dessen Brüdern und einem weiteren Kollegen zwei große Glocken für die Domkirche von Kammin in Pommern (Kamień Pomorski in Polen).15) Der Guss der Osteroder Glocke, der einschließlich Vorbereitung fünf bis sechs Wochen in Anspruch genommen haben dürfte, wird demzufolge in der zweiten Jahreshälfte zwischen Juli und November erfolgt sein. Den Winter verbrachten die Gießer im Normalfall in ihrer lothringischen Heimat.16)

Der lüneburgische Adelige Dietrich Behr (1575–1632) amtierte von 1617 bis 1623 als Landdrost und Berghauptmann in Osterode. Später war er Geheimer Rat und Großvogt in Celle.17) Herzog Christian d. Ä., der von 1611 bis 1633 im Fürstentum Lüneburg und seit 1617 in Grubenhagen regierte, war seit 1599 erwählter Bischof (Administrator) von Minden.

Textkritischer Apparat

  1. CHRISTIAN[(US)]] Befund: Am Ende des Namens ein undeutlicher Abdruck; alle infrage kommenden Münzen (vgl. Anm. 2) haben hier ein US-Kürzel in Form einer kleinen 9.
  2. BR(UNSVICENSIS) ET L(UNEBURGENSIS)] Nur schwach abgedrückt; am Ende nach L vermutlich ein Halbmond; vgl. Anm. 2. BRAVN, verbessert aus BR ET LV, Glockenarchiv im GNM; BR ET L… Karteiblatt von 1942.

Anmerkungen

  1. Es gibt in dem Geläut noch eine Glocke von 1519, die aber aus Schlesien stammt und erst nach dem Zweiten Weltkrieg vom „Glockenfriedhof“ in Hamburg nach Osterode gekommen ist.
  2. Zu dem Taler Herzog Christians vgl. Fiala, Münzen und Medaillen, Tl. [7,1], S. 156, Nr. 142–149 mit Tafel II, Nr. 13. Die von 1619 bis 1621 geschlagenen Münzen unterscheiden sich minimal am Ende der Umschrift der Vorderseite; eine Entscheidung über die genaue Vorlage lässt sich angesichts des auf der Glocke dort unklaren Abdrucks nicht sicher treffen; möglicherweise Nr. 145–149 (aus den Jahren 1620 und 1621), wo sich anstelle des U in LU ein Halbmond findet. Vgl. auch Welter, Münzen der Welfen, Nr. 921.
  3. Io. 19,19.
  4. Wappen Braunschweig-Lüneburg (gespalten und zweimal geteilt: 1. zwei Löwen übereinander [Braunschweig], 2. Löwe im mit Herzen bestreuten Feld [Lüneburg; die Herzen nur angedeutet]; 3. Löwe [Everstein; die Krone fehlt]; 4. Löwe [Homburg; das gestückte Bord fehlt]; 5. zwei abgewendete Bärentatzen [Hoya]; 6. quadriert: 1. u. 4. achtfach geständert, 2. u. 3. dreimal geteilt [Alt- und Neu-Bruchhausen]); vgl. Rüggeberg, Die welfischen Wappen zwischen 1582 und 1640, S. 216–226 mit Fig. 2.
  5. Vgl. Köster, Glocken und Glockenspiele von Lothringer Wandergießern, S. 50.
  6. Heinrich Wenzel, Glockengießer im Regierungsbezirk Kassel vom 14.–20. Jahrhundert, in: Hessenland, 29. Jg., 1915, S. 209–211, 226f., 248f., 259f., 276–278, hier S. 226.
  7. Vgl. DI 19 (Stadt Göttingen), Nr. 157.
  8. DI 87 (Werra-Meissner-Kreis I), Nr. 140.
  9. Vgl. Kdm. Lkr. Hameln-Pyrmont, S. 489 mit Abb. 568. Deutsches Glockenarchiv im GNM Nürnberg, Glocke Nr. 5/14/20 C (mit Fotos)
  10. Vgl. Kdm. Kreis Worbis, S. 42; auf der mittleren der drei Glocken steht die Gießerinschrift: THOMAS SIMON ET FRANCOYS BREVTEL COUSIN NOUS FAICTE 1617. Die Inschrift ähnelt denen in Göttingen und Großalmerode; vgl. DI 19 (Stadt Göttingen), Nr. 157.
  11. Deutscher Glockenatlas, Bd. 2: Bayerisch-Schwaben, bearb. von Sigrid Thurm, München/Berlin 1967, S. 196, Nr. 321 (Abb. 343).
  12. Vgl. DI 49 (Darmstadt), Nr. 365. DI 43 (Rheingau-Taunus-Kreis), Nr. 598, 599 u. 600.
  13. Stephanus wird in DI 19 (Stadt Göttingen), Nr. 157 als Engel bezeichnet; identifiziert durch Fotos im Archiv der Inschriftenkommission Göttingen.
  14. Vgl. die Schriftbeschreibung zu DI 49 (Darmstadt), Nr. 365; DI 43 (Rheingau-Taunus-Kreis), Nr. 598.
  15. Köster, Glocken und Glockenspiele von Lothringer Wandergießern, S. 46 [zu 10 d].
  16. E. Wernicke, Lothringische Glockengiesser in Deutschland, in: Jahrbuch der Gesellschaft für lothringische Geschichte und Altertumskunde, 3. Jg., 1891, S. 401–408, hier S. 401f.; zu François Breutel und Thomas Simon vgl. die knappen Bemerkungen ebd., S. 406f.
  17. Max, Grubenhagen, Bd. 1, S. 415f.

Nachweise

  1. [Spangenberg], Nachtrag, Sp. 164 (A, B).
  2. Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 171 (A, B; nach Spangenberg).
  3. Fragebogen von 1917 (A, B); Karteiblatt von 1942, Nr. 5/45/2 C (A, B, C, E); Westfälisches Glockenmuseum in Gescher (NRW): Unterlagen des Provinzialkonservators der Provinz Hannover, Konvolut Kreis Osterode.
  4. Deutsches Glockenarchiv im GNM Nürnberg, Glocke Nr. 5/45/2 C (A, B, C, E).
  5. Mühlefeld, Osteroder Kirchenglocken, S. 15f. (A, B, E).

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 167 (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0016704.