Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 158(†) Osterode, Kornmarkt 12 vor 1617

Beschreibung

Wappentafel u. Schwellbalken. Stein u. Holz. Sog. Rinnesches oder Cludiussches Haus. Das von dem Helmstedter Professor Andreas Cludius erbaute, traufenständige Haus besteht aus einem zweistöckigen Sockel in Steinbau, über dem sich zwei leicht vorkragende Obergeschosse in Fachwerk erheben.

Über der rundbogigen, sandsteingefassten Toreinfahrt die Wappentafel mit leicht erhaben reliefierten Darstellungen in vertieften Feldern. In dem querrechteckigen Mittelfeld links das Wappen des Erbauers, rechts das seiner Frau, dazwischen der Kopf eines Putto mit Halskrause. Außen daneben in Rundbogennischen die nach innen gewandten Figuren der Justitia (Gerechtigkeit) und Clementia (Milde); die Justitia trägt ein Schwert in der Rechten und eine Waage in der Linken, die Clementia einen Palmzweig in der Rechten und eine – farblich nicht abgesetzte – Opferschale in der Linken. Über den Darstellungen die erhabenen, farbig (golden auf blassrotem Hintergrund) gefassten Beischriften A. Die linke Beischrift ist heute nur aufgemalt, mit schwach erkennbaren Resten der ersten vier Buchstaben darunter. Die über der Toreinfahrt in Metallbuchstaben aufgesetzte Inschrift RUD(OLF) RINNE mit gekreuztem Schlägel und Eisen an der einen und einem Amboss an der anderen Seite erinnert an die Eisenwarenhandlung, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in dem Haus befand.

Auf dem Schwellbalken des ersten Obergeschosses kamen bei einer Restaurierung Anfang der 1980er Jahre die Reste abgearbeiteter Buchstaben (B) zum Vorschein, von denen ein bei Meyer abgedrucktes Teilfoto mit in Kreide nachgezogenen Umrissen existiert.

Inschrift B nach Foto bei Meyer.

Maße: Bu.: ca. 4 cm (A).

Schriftart(en): Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Jörg H. Lampe) [1/1]

  1. A

    <IVSTITIA>a) // CLEMENTIA

  2. B †?

    [– – –]M[O]b)1) XXXI ANNO DO[MINI – – –]

Übersetzung:

Gerechtigkeit. Milde. (A)

… 31. Im Jahr des Herrn … (B)

Wappen:
Cludius2), Steckel3)

Kommentar

Der aus Osterode gebürtige Andreas Cludius (1555–1624) war nach Studien an den Universitäten Helmstedt und Wittenberg in Basel zum Doktor der Rechte promoviert worden. Nach über dreißigjähriger Tätigkeit als Rechtsprofessor in Helmstedt, herzoglicher Rat und Beisitzer des Hofgerichtes in Wolfenbüttel aus dem Dienst entlassen, ging er 1617 in seine Heimatstadt Osterode zurück. Seine Frau Elisabeth Steckel (um 1560–1618) hatte er 1583 geheiratet.4) Cludius starb 1624 und wurde in der Aegidienkirche beigesetzt, wo sein Epitaph erhalten ist; zu diesem und zu Cludius vgl. Nr. 171. Das Haus am Kornmarkt, dessen Grundstück zuvor der Familie von Berckefeldt (vgl. Nr. 78) gehört hatte, dürfte Cludius vor seiner Rückkehr nach Osterode erbaut haben; in seiner Leichenpredigt wird vom Umzug der ganzen Familie im Jahr 1617 berichtet, ein späterer Hausbau wäre gewiss erwähnt worden.5) Zum Zeitpunkt der Errichtung seines Testaments im Juni 1619 stand das Haus zweifellos. Andreas Cludius vermachte dieses seinem jüngsten Sohn Friedrich Andreas (1605–1639),6) den er „Haushaltung“ (Ökonomie) hatte lernen lassen.7)

Textkritischer Apparat

  1. <IVSTITIA>] Unter der aufgemalten Inschrift sind am Anfang, jeweils etwas links neben den gemalten Buchstaben, die leicht erhabenen, überputzten Reste der vier ersten Buchstaben IVST schwach zu erkennen.
  2. [– – –]M[O]] O nachgezogen wie neulateinisches Zahlzeichen D, unsicher.

Anmerkungen

  1. Möglicherweise stand hier [– – – PSALMO]. Die Anbringung eines Verweises auf Psalm 31 würde zu Cludius’ Empfinden passen, von Gegnern verfolgt und aus dem Amt gedrängt worden zu sein (vgl. den Kommentar zu Nr. 171). In Ps. 31 heißt es (in der Übersetzung der Lutherbibel von 2017) z. B. in V. 5: „Du wollest mich aus dem Netze ziehen, das sie mir heimlich stellten“; V. 11: „Denn mein Leben ist hingeschwunden in Kummer und meine Jahre in Seufzen“; V. 12: „Allen meinen Bedrängern bin ich ein Spott geworden, eine Last meinen Nachbarn und ein Schrecken meinen Freunden. Die mich sehen auf der Gasse, fliehen vor mir.“; V. 14: „Denn ich höre, wie viele mich verleumden: (…) Sie halten Rat miteinander und trachten danach, mir das Leben zu nehmen.“; V. 18b–19: „Die Frevler sollen zuschanden werden und verstummen im Totenreich. Verstummen sollen die Lügenmäuler, die da reden wider den Gerechten frech, stolz und höhnisch“.
  2. Wappen Cludius (Schwan mit aufgestellten Flügeln, auf einem Dreiberg); vgl. Matrikel Helmstedt, S. 395a. Der Dreiberg ist als leichte Erhöhung schwach zu erkennen, aber nicht farbig gefasst.
  3. Wappen Steckel (Adler, hervorwachsend aus einem mit einem Fisch belegten Balken). Der Fisch ist gegenwärtig nicht farbig gefasst.
  4. Leichenpredigt für Andreas Cludius, zit. nach Roth, Auswertungen, Bd. 4, S. 83 (R 3144).
  5. Ebd. Vgl. auch Schimpf, Cludiussche Haus, S. 44f.
  6. Schimpf, Cludiussche Haus, S. 46. Die Lebensdaten nicht ganz richtig bei Seeringer, Testament Cludius, bes. S. 96 u. 99.
  7. Leichenpredigt für Andreas Cludius, zit. nach Roth, Auswertungen, Bd. 4, S. 83 (R 3144).

Nachweise

  1. Meyer, Anmerkungen zur Baugeschichte, S. 112 u. 114 (Foto).
  2. Hans Erich Giebel, Osteroder Hausinschriften, in: Unter dem Harze Nr. 197, 1954.
  3. Bremeneck (Giebel), Sösewasser, S. 62f.

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 158(†) (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0015805.