Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 156(†) Osterode, Friedhofskapelle 1613

Beschreibung

Epitaph für den Eisenfaktor Heinrich Hattorf. Holz. Das Epitaph war in der Anfang 1927 abgebrochenen Kirche St. Johannis aufgestellt in der Ecke links vor dem Chorbogen.1) Es wurde in die bis September 1927 an derselben Stelle neu erbaute Friedhofskapelle übernommen und dort an der Stirnseite angebracht. Das mit reichem Schnitzwerk (Beschlagwerk, Löwenköpfe, Fruchtgehänge, drapierte Tücher) versehene Epitaph zeigt im säulengerahmten Hauptgeschoss eine gemalte Auferstehung. Im Seitenhang Hermen im Profil, links eine männliche Herme mit einer Sonne in Höhe des Bauches, rechts eine weibliche mit einem Mond. Im Sockelfeld unter der Auferstehung ein vor der Neuaufstellung 1927 in zwei Zeilen neu angebrachtes Bibelzitat mit kleinerer Bibelstellenangabe;2) auf einem um 1926 entstandenen Foto sind Reste der offenbar vierzeiligen Inschrift A zu erkennen. Im Unterhang, der getrennt abgestellt gewesen sein muss,3) auf einer ovalen, gewölbten, von Rollwerk und Fruchtgehängen umgebenen Tafel die biografische Inschrift B. In der Nischenzone des Obergeschosses Inschrift C. Alle Inschriften sind in Gold auf schwarzem Grund gemalt. Hinter Inschrift C sind schwach die vor allem in der Höhe leicht abweichenden, originalen Buchstabenformen zu erkennen. Im offenen Giebel ein Putto. Auf einem Sockel im offenen Giebel heute ein schlichtes, goldenes Kreuz.

Inschrift A nach Foto im NLD.

Maße: H.: ca. 440 cm; B.: 236 cm; Bu.: 1,8 cm (B), ca. 2,5 cm (C).

Schriftart(en): Kapitalis (A), Fraktur mit Kapitalis (B), Fraktur (C).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Jörg H. Lampe) [1/3]

  1. A †

    E[– – –] / [– – –] / A[– – –] / [– – –]

  2. B

    Denn 30 AVGVSTI AN(N)O 1613 des abendes vmb 11a) vhr ist der / Erenuesteb) Hinrich Harttorff . Fürstlicher Braunschweischer / gewesener eise(n) factor in Gott selich ein geschlaffen Gott will / seiner seelenn gnedig sein :·c)

  3. C

    Johannes am 1. / Das Blut Jesud) Christi, / des Sohnes Gottes, das / machet uns rein von(n) / allen unsern sün=/den amen .4)

Kommentar

Das Bibelzitat C weicht ab vom Wortlaut der Lutherbibel von 1545. Bemerkenswert ist die Verdeutlichung des Sohnes Gottes statt seines Sons sowie von allen unsern sünden statt von aller sünde. Die hier vorliegende Form findet sich auch im Bibelkommentar des Lucas Osiander (1534–1604) und bei anderen Theologen des 17. Jahrhunderts.5)

Heinrich Hattorf (1551–1613) wurde 1591 zum Eisenfaktor bestellt.6) Am 14. Mai 1596 erneuerte Herzog Heinrich Julius die Bestallung. Er hatte die Aufsicht über die Eisenhütten im Fürstentum Grubenhagen und die Abgaben von Eisenprodukten einzuziehen. Dafür erhielt er eine jährliche Besoldung von 70 Talern, dazu 10 Taler für Kleidung sowie 8 Malter Korn, ein Pferd und 10 Klafter Holz.7) 1605 wurde ihm gestattet, ein Hammerwerk auf der „Roten Hütte“ einzurichten.8) Der Johanniskirche vermachte er testamentarisch 100 Taler.9) Heinrich Hattorf war verheiratet mit Elisabeth Dortmund (1561–1640), Tochter des Hüttenbesitzers Christian Dortmund. Sein Schwiegersohn Heinrich Roth (um 1580–1626), verheiratet mit Hattorfs Tochter Margarete (vgl. Nr. 189), folgte ihm als Eisenfaktor nach.10)

Heinrich Hattorfs Vater Val(en)tin (gestorben nach 1587) war Bürgermeister in Duderstadt. Dessen Bruder Johann (1526–1589) hatte sich um 1550 in Osterode als Kaufmann niedergelassen; seit 1571 war er mehrfach Bürgermeister der Stadt. Bereits von Herzog Ernst (reg. 1551–1567) in der Eisenfaktorei angestellt, war er von 1571 bis 1586 ebenfalls Eisenfaktor und mutmaßlicher Förderer seines Neffen.11) Der kinderlose Johann Hattorf hatte der Johanniskirche einen Garten zur Vergrößerung des Friedhofs übereignet.12)

Die künstlerische Qualität der Schnitzarbeiten deutet darauf hin, dass diese von Zacharias König stammen könnten, der 1589 den Taufständer für St. Johannis (heute in St. Aegidien) anfertigte und noch zu Beginn der 1620er Jahre in Riddagshausen bei Braunschweig tätig war; vgl. Nr. 95. Gewiss sind die Schmuckformen auf dem vorliegenden, gegenüber dem Taufständer fast ein Vierteljahrhundert späteren Epitaph wesentlich weiter entwickelt, eine Übereinstimmung besteht aber bei der „hohen Stirn“ der Frauenherme rechts, die eine Entsprechung bei den Köpfen der Evangelisten auf dem Taufständer hat. Außerdem sollten mögliche Beziehungen zu der Werkstatt des Braunschweiger Bildhauers Jürgen Röttger (dort aktiv 1583–1623) beachtet werden, in dessen Werk seit den 1590er Jahren vergleichbare Schmuckformen erscheinen.13)

Einige Meter vor der Friedhofskapelle ist in einer gemauerten Nische das in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts aus Eisen angefertigte Epitaph des Eisenfaktors Heckenbeck und seiner Familie mit zahlreichen Namensbeischriften angebracht.14)

Textkritischer Apparat

  1. 11] 6 Spangenberg.
  2. Erenueste] Diakritische Zeichen über u.
  3. Insgesamt orthografische Abweichungen bei Spangenberg.
  4. Blut Jesu] Doppelstriche über beiden u in der originalen Inschrift.

Anmerkungen

  1. Grobis, Johannis-Friedhof, S. 49 u. 53. Vgl. das um 1926 entstandene Foto in: Osterode am Harz in alten Ansichten 1, 71989, Tafel 13. Das Original in der Fotokartei des NLD Hannover (ohne Neg.-Nr.).
  2. „Der Tod ist verschlungen in den Sieg, Tod / wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg? / 1. Cor 15 v(ers) 55“.
  3. Das Epitaph ist um 1926 abgestellt auf einem alten Altartisch; Grobis, Johannis-Friedhof, S. 49.
  4. 1. Jh. 1,7.
  5. Biblia Mit der Außlegung. Das ist: Die gantze heilige Schrifft/ Altes und Neues Testaments/ Des Hocherleuchten und theuren Mannes Gottes D. Martini Lutheri. Mit einer kurtzen/ jedoch gründlichen Erklärung des Textes/ … auch mit fürgesetzten verständlichen Summarien über alle Bücher und Capitel/ Aus Des … Herrn/ D. Lucae Osiandri, Senioris … Lateinischem Exemplar. / Auff vieler … Begehren/ … in die Hochdeutsche Sprache … gebracht/ und in … Stuttgart/ in Sieben Theilen/ … an Tag geben/ Durch … Herrn/ M. David Förtern … Anitzo aber … von neuem zu einem Bande eingerichtet, Lüneburg 1650 (VD 17 S:300410S); dort in der 6. Vorrede von 1610 (5. Absatz); im Kommentar zu Ps. 51,9 (Bl. 313r) und Jer. 33,8 (Bl. 68r).
  6. Mahrenholtz, Stammfolge Hattorf, S. 11. Zu den Aufgaben der Eisenfaktoreien vgl. Leuschner, Montanwesen, S. 321–328.
  7. Eberhard Tacke, Die Bestallung des Eisenfaktors Heinrich Hattorf zu Osterode 1596, in: HbllHarzRd 4, 1958, S. 8–10. Vgl. NLA HA Cal. Br. 22, Nr. 43.
  8. Vgl. NLA HA Cal. Br. 3, Nr. 721; NLA HA BaCl Hann. 84a, Nr.40/3 (beide zit. nach Online-Findbuch).
  9. Laut Wendt gingen 1613 18 und 1618 durch seine Witwe 100 Taler an die Kirche; Wendt, Kirchen- und Schul-Acta, Bl. 140v.
  10. Wolfgang Büsing, Der Osteroder Eisenfaktor Heinrich Roth, in: HbllHarzRd 19, 1966, S. 10–17, hier S. 10–12.
  11. Schulze, Ergänzungen, S. 83–87. Schulze korrigiert die von Mahrenholtz (Stammfolge Hattorf, S. 11) dargelegten Verwandtschaftsbeziehungen wie angegeben.
  12. Roth, Auswertungen, Bd. 4, S. 83 (R 3144); nach der Leichenpredigt des Hofpredigers Andreas Leopold, Helmstedt 1590.
  13. Vgl. Meier, Kunsthandwerk des Bildhauers, S. 42–61; vgl. besonders die Epitaphien für Valentin von Mahrenholz (1593) in St. Katharinen in Braunschweig, Valentin von Alvensleben (1596) in St. Marien in Gardelegen (Altmarkkreis Salzwedel), Elisabeth von der Schulenburg (1604) im Dom St. Blasius in Braunschweig sowie dasjenige für Jürgen Röttger selbst, ebd., S. 44–46, 49 u. 62 mit Abb. 61, 64–66* u. 85.
  14. Vgl. Paul Martins, Das Heckenbecksche Grabmal auf dem Friedhof in Osterode, in: HbllHarzRd 10, 1961, S. 8–13; Abb. am Anfang des Heftes.

Nachweise

  1. [Spangenberg], Nachtrag, Sp. 180 (B).
  2. Foto (um 1926) im NLD Hannover.
  3. Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 172 (nur Jahreszahl).

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 156(†) (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0015601.