Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 143 Osterode, St. Marien 1608

Beschreibung

Kanzel. Holz. Die 1608 vom „Garkoch“ Curt Mummentey gestiftete Kanzel wurde vermutlich im 18. Jahrhundert in den um das spätmittelalterliche Retabel (vgl. Nr. 39) errichteten Kanzelaltar integriert, der 1950 demontiert wurde.1) Seitdem ist sie wieder einzeln aufgestellt. Die in der Grundform sechsseitige Kanzel ist an den Ecken mit Säulen geschmückt. Auf den Tafeln unter einem mit Rankenwerk geschmückten Bogen Gemälde. An der Kanzel noch drei der ursprünglich vermutlich fünf Tafeln. Rechts neben dem Aufgang ein schmaleres, leeres Feld. Danach der Evangelist Markus mit dem Löwen, Christus als Erlöser (die Rechte erhoben, in der Linken eine kreuzbekrönte Weltkugel) sowie der Evangelist Lukas mit dem Stier, jeweils unter dem Bild durch die (in Gold auf schwarzem Grund) gemalten Beischriften I bezeichnet. Das Bild mit Christus wurde durch eine X-förmige Ritzung vor einigen Jahren angegriffen. Rechts neben der Kanzel hängt an der Wand eine vierte Brüstungstafel mit Johannes und dem Adler, bei dem die Beischrift II in anderer Schriftart, vermutlich im 19. Jahrhundert, erneuert wurde; am Ende ist ein originaler Buchstabe erhalten oder neu freigelegt.

Maße: H.: 187,5 cm (gesamt), 58 cm (I), 62 cm (II); B.: 33–33,5 cm (I), 35 cm (II); Bu.: 3 cm (I), 3,5 cm (II).

Schriftart(en): Kapitalis mit Versalien (I).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Jörg H. Lampe) [1/3]

  1. I

    S. MARCUS . // SALVATOR . // S LUCAS .

  2. II

    <St. Iohanne>S

Kommentar

Die Kapitalis von (I) zeichnet sich durch den Wechsel von Haar- und Schattenstrichen sowie serifenartige Sporen aus, die die Form von Anstrichen oder Häkchen (Mittelteil des M, oberes Bogenende von C und S) annehmen können. Das unziale U rechts mit senkrechtem Schaft.

Ein Eintrag im Gildenbuch der Knochenhauer belegt, dass der Gahrkoch Curt Mummentej die Kanzel vor seinem Tod in die Sanct Marien Kirchen zu seinem Gedächtnis gestiftet hat. Er wurde 1608 auf dem Friedhof von St. Marien bestattet; seine Leichenpredigt (durch den damaligen zweiten Pastor an St. Aegidien, Magister Johann Stapel), war die erste, die von der Kanzel gehalten wurde.2) Angesichts der Tatsache, dass die Marienkirche in den 1620er und 1630er ausweislich erhaltener Grabplatten (Nr. 168, 179, 187) für Beerdigungen genutzt wurde, dürfte die Nachricht über die Stiftung wohl so zu verstehen sein, dass die Kanzel tatsächlich in der Kirche aufgestellt wurde und nicht erst 1659 in die erneuerte Kirche versetzt wurde.

Wann die Kanzel in den 1950 demontierten Kanzelaltar integriert wurde, muss offenbleiben. Anders als gelegentlich angenommen, geschah dies aber wahrscheinlich nicht bereits 16593) – was sehr früh für die Errichtung eines Kanzelaltars wäre4) –, sondern vermutlich erst im 18. Jahrhundert. Dabei waren zwei Tafeln des Korbes überzählig, von denen nur noch die heute separat aufgehängte erhalten ist, deren originale Inschrift (II) stark beschädigt wurde. Die verlorene Tafel dürfte ein Bild und den Namen des vierten Evangelisten Matthäus getragen haben.

Anmerkungen

  1. Martins, Bau- und Kunstgeschichte, S. 81.
  2. Nach der 1951 von Franz Schimpf erstellten Teilabschrift des (heute nicht mehr auffindbaren) Gildebuchs in: StadtA Osterode, Nachlass Schimpf, Nr. 81; zitiert auch in einem Brief von Franz Schimpf an den Familienforscher N. Mummenthey, Düsseldorf, 8. Mai 1955; Nachlass Schimpf, Nr. 294. Laut dem Begräbnisregister von St. Aegidien verstarb der Garkoch Curt Mummentey am Sonntag Invocavit 1608 (13. Februar); Abschrift ebd. Auf der Grundlage dieser Informationen bereits 750 Jahre Sankt Marien, S. 17 (I. Kreckmann) u. 24 (U. Herrmann). Martins hatte 1952 die Stiftung der Kanzel in die Zeit der „Wiederherstellung“ der Kirche (also 1659 oder später) gesetzt; Martins, Bau- und Kunstgeschichte, S. 81.
  3. Explizit Uta Herrmann, in: 750 Jahre Sankt Marien, S. 24; implizit Ingrid Kreckmann: ebd., S. 17. Martins hatte vorsichtiger die Integration der Kanzel zu einem unbekannten Zeitpunkt nach 1659 angesetzt; Martins, Bau- und Kunstgeschichte, S. 81.
  4. Vgl. Poscharsky, Kanzel, bes. S. 218–220 u. 233f.

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 143 (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0014304.