Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 138† Herzberg, Hauptstraße 1607

Beschreibung

Pfarrhaus in der „Langenstraße“ (heute Hauptstraße).1) Über der Tür Inschrift A, „an den Rahmen“ Inschrift B.2) Inschrift A nur bei Steinmetz, Inschrift C nur bei Kleinschmidt, der die von ihm angegebenen Inschriften, über deren Anbringungsort er nichts mitteilt, irrtümlich dem nach seiner Angabe seit 1551 existierenden Vorgängerbau des Pfarrhauses zuschreibt. Das Haus brannte 1677 und, nach einem anschließenden Wiederaufbau, 1686 endgültig ab.3)

Inschriften A und B nach Steinmetz; Inschrift B ergänzt, Inschrift C nach Kleinschmidt.

  1. A

    Mea Christus Salus4)

  2. B

    PsaLLIte JesV reDeMptorIa) nostrob)

  3. C

    Voluntas commoditas necessitas me fieri feceruntc)

Übersetzung:

Christus ist mein Heil. (A)

Lobt Jesus, unseren Erlöser. (B)

Wille, Angemessenheit und Notwendigkeit ließen mich erbauen. (C)

Versmaß: Chronogramm mit der Jahreszahl 1607 (B).

Kommentar

Der Renaissancearchitekt Leon Battista Alberti (1404–1472) hat in seinem Werk De re aedificatoria (Über die Baukunst) die drei vitruvianischen Grundprinzipien firmitas bzw. soliditas (Festigkeit), utilitas (Nützlichkeit) und venustas (Schönheit) vielfach durch die Begriffe necessitas (Notwendigkeit, Konstruktion), commoditas (Angemessenheit, d. h. Funktion) und voluptas (Vergnügen, Gestaltung) ersetzt.5) In Inschrift C könnte bei Voluntas eine Fehllesung aus voluptas, aber auch eine bewusste Abweichung durch den Auftraggeber vorliegen. Inschrift B folgt dem spätestens 1577 im deutschen Sprachraum gedruckt vorliegenden Lied Psallite unigenito / Christo Dei filio / Psallite redemptori Domino / puerulo iacenti in praesepio.6)

1607 wies Herzog Heinrich Julius dem Pastor Conrad Steinmann einen Bauplatz und Bauholz für das Pfarrhaus an.7) Magister Conrad Steinmann, der von Dezember 1598 bis zu seinem Tod 1624 in Herzberg als Pfarrer und Generalsuperintendent des Fürstentums Grubenhagen amtierte, war damit der Auftraggeber des anspielungsreichen Inschriftenprogramms.8) Steinmann, geboren um 1569, war von 1584 bis 1588 Stipendiat in Riddagshausen; 1594 wurde er in Helmstedt zum Magister der Artistenfakultät promoviert, von 1595 bis 1598 leitete er die Klosterschule in Riddagshausen.9)

Textkritischer Apparat

  1. reDeMptorI] redenptori Kleinschmidt, Druckfehler. Kleinschmidt überliefert die Inschrift ohne das Chronogramm, gibt dafür allerdings eine selbständige Jahreszahl M DC VII an.
  2. nostro] Nur bei Kleinschmidt.
  3. fecerunt] fecevunt Kleinschmidt, Druckfehler.

Anmerkungen

  1. Kleinschmidt, Chronik, S. 42.
  2. Steinmetz, Generalsuperintendenten, S. 84; Steinmetz’ Angaben beruhen auf handschriftlichen Aufzeichnungen des Superintendenten und Kirchenhistorikers Karl Kayser (1843–1910), die wiederum auf Unterlagen im Pfarrarchiv beruhen dürften.
  3. Kleinschmidt, Chronik, S. 42. Die Angaben zu den Bränden ebenso bei Steinmetz, Generalsuperintendenten, S. 84.
  4. Als Devise in der Form Crux Christi nostra salus: Dielitz, Wahl- und Denksprüche, S. 392 (Kurfürst Friedrich Friedrich d. Weise von Sachsen und sein Sohn Johann). – Steinmetz weist darauf hin, dass die Versalien M C S gleichzeitig die Anfangsbuchstaben des Namens des 1607 amtierenden Pastors und Generalsuperintendenten Magister Conrad Steinmann bilden; Steinmetz, Generalsuperintendenten, S. 84.
  5. Die Dreiheit necessitas, commoditas und voluptas wird besonders von der französischen Alberti-Forscherin Françoise Choay betont; vgl. Françoise Choay, La règle et le modèle. Sur la théorie de l’architecture et de l’urbanisme, Paris 1980, S. 88 u. 92. Die Analyse von Albertis Werk durch H. Wulfram zeigt aber, dass neben commoditas auch die vitruvianische utilitas vielfach Verwendung findet; Hartmut Wulfram, Literarische Vitruvrezeption in Leon Battista Albertis De re aedificatoria, München/Leipzig 2001 (Beiträge zur Altertumskunde, Bd. 155), hier bes. S. 135; vgl. S. 96f., 99, 133–136 u. ö.
  6. Kinderlied, Incerti Authoris, in: Sacer Thesaurus, Das ist, Von den vornemsten Artickeln der Christlichen Religio, Gewisser und gründtlicher Unterricht, [Neuausgabe durch] Zacharias Prätorius, Frankfurt/M. 1577, Bl. 72v. Zacharias Prätorius (Breiter, 1535–1575) war Pastor in Eisleben. Das Lied wurde von dem – mit ihm nicht verwandten – Michael Prätorius aufgenommen in seine Musae Sioniae, Theil 6 (1609); vgl. Friedrich Blume (Hg.), Gesamtausgabe der musikalischen Werke von Michael Praetorius, Bd. 6, 1928, Nr. 85, S. 60f. Das Lied verbindet die mittelalterliche Antiphon nach Psalm (G) 46,7 psallite Deo nostro psallite, psallite regi nostro psallite sapienter (vgl. Corpus antiphonalium officii, Bd. 3, S. 417, Nr. 4406) mit dem Hymnus Jesu redemptor omnium (http://cantusindex.org/id/830176; 09.05.2018); vgl. Analecta hymnica, Registerbd., S. 520, Nr. 14524–14531.
  7. Steinmetz, Generalsuperintendenten, S. 84.
  8. Vgl. Meyer, Pastoren, Bd. 1, S. 171 u. 492. Max, Grubenhagen, Bd. 2, S. 288.
  9. Vgl. Maike Gauger-Lange, Die evangelischen Klosterschulen des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel 1568–1613: Stipendiaten – Lehrer – Lehrinhalte – Verwaltung, Göttingen 2018 (Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens, Bd. 49), S. 316 (Anm. 275), 567f. u. 605. (Gauger-Lange führt Steinmann irrtümlich als Pastor in Clausthal. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass bei Meyer [Pastoren, Bd. 1, S. 171] die Generalsuperintendenten des Harzes im Artikel Clausthal vorweg aufgeführt werden; aber erst die späteren amtierten dort, die früheren sind in der Liste mit Verweis auf ihren jeweiligen Dienstort, in diesem Fall Herzberg, verzeichnet.) Vgl. auch Steinmetz, Generalsuperintendenten, S. 81–86; Steinmetz zufolge wurde Steinmann bereits 1550 geboren (ebd., S. 81), dem stehen aber die Ergebnisse Gauger-Langes zu seiner Stipendiatenzeit entgegen. Zur Magisterpromotion Steinmanns vgl. Matrikel Helmstedt, S. 116 (Nr. e6); zur Immatrikulation ebd., S. 33 (Nr. 7), zur Ordination für Herzberg ebd., S. 142 (Nr. b5).

Nachweise

  1. Kleinschmidt, Chronik, S. 42 (B, C).
  2. Steinmetz, Generalsuperintendenten, S. 84 (A, B).

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 138† (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0013803.