Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 120† Kloster Walkenried, Kapitelsaal (Kirche) 1597

Beschreibung

Empore. Eckstorm berichtet, dass 1597 das tabulatum (s. Kommentar) des seit 1570 als Kirche genutzten Kapitelsaals erneuert worden sei. Auf dieses seien Bilder mit Szenen aus dem Leben Jesu gemalt worden. Auf dem oberen Teil desselben (in superiori tabulati parte) waren demnach die Wappen des Administrators, Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel, und seiner Frau angebracht und daneben die Inschriften A; auf dem unteren Teil (in inferiori tabulati parte) standen die Inschriften B und die Bibelzitate C.1) Wann die Tafeln mit den Bildern und Zitaten übermalt oder entfernt wurden, lässt sich nicht mehr ermitteln. Die Westempore der Kirche wurde 1890 abgebrochen.2)

Inschriften nach Eckstorm.

  1. A1

    Anno CHRISTI M C XXVII hoc Monasterium secundum regulam ordinis Cistertiensis in honorem B(eatae) Virginis Mariae et S(ancti) Martini Episcopi fundatum est a Volckmaro Comite Lauterbergensi et Clettembergensi ac coniuge Adelheide filia Ludouici Comitis Larae

  2. A2

    A(nno) C(hristi) M CCCC LVII Fridericus III Imp(erator) Rom(anorum) tutelam huius Monasterij demandauit Illustrissimis Ducibus Saxoniae

  3. A3

    Anno Christi M D LXXIV ius tutelare permutatione a domo Saxonica deuolutum est ad Reuerendissimum et Illustrissim(um) Principem Henricum Iulium postul(atum) Episcopum Halberstadensem Ducem Brunsuicensem et Lunaeburgensem Qui etiam A(nno) C(hristi) M D XCII Comite Honsteinio vltimo vita functo Comitatum sui iuris fecit et Administrator huius Monasterij a Coenobitis in hac aede est electus et declaratus

  4. B1

    A(nno) C(hristi) M D LVII Ritibus Pontificijs in saniores mutatis Schola Pietatis et literarum huc est introducta

  5. B2

    A(nno) C(hristi) M D LXX Veteri templo collabente aedes haec quae olim Coenobitarum congressibus deliberationis causa factis vacabat rei sacrae peragendae et Illustrium Comitum Honsteiniorum sepulturae est consecrata Aeternus Pater Domini nostri IESV CHRISTI commorantibus hic salutem corporis et animae porro clementer largiatur Amen

  6. B3

    An(no) Ch(risti) M D IIIC Mense (Septem)bria)

  7. C1

    Inquirentes Dominum non minuentur omni bono Psalm 343)

  8. C2

    Quaerite primum regnum DEI et iustitiam eius et haec omnia adijcientur vobis Matth. 64)

Übersetzung:

Im Jahr Christi 1127 wurde dieses Kloster nach der Regel des Zisterzienserordens zu Ehren der seligen Jungfrau Maria und des heiligen Bischofs Martin gegründet von Volkmar, Graf von Lauterberg und Klettenberg, und seiner Ehefrau Adelheid, Tochter des Grafen Ludwig von Lohra. (A1)

Im Jahr Christi 1457 übertrug der Römische Kaiser Friedrich III. das Schutzrecht (die Vogtei) über dieses Kloster den durchlauchtigsten Herzögen von Sachsen. (A2)

Im Jahr Christi 1574 ging das Schutzrecht (die Vogtei) durch Tausch vom Haus Sachsen über auf den hochwürdigsten und durchlauchtigsten Fürsten Heinrich Julius, postulierten Bischof von Halberstadt, Herzog von Braunschweig und Lüneburg; dieser hat auch im Jahr Christi 1592 [richtig ist: 1593], nachdem der letzte Graf von Honstein aus dem Leben geschieden war, die Grafschaft in Besitz genommen und wurde von den Klosterbrüdern in dieser Kirche zum Administrator dieses Klosters gewählt und ernannt. (A3)

Im Jahr Christi 1557, nachdem die päpstlichen Riten zum Besseren gewendet worden waren, wurde hier eine Schule der Frömmigkeit und der Wissenschaften eingerichtet. (B1)

Im Jahr Christi 1570, nachdem die alte Kirche eingestürzt war, wurde dieses Bauwerk, das einst den zum Zweck der Beratung abgehaltenen Versammlungen der Klosterbrüder diente, dem Gottesdienst und dem Begräbnis der ruhmvollen Grafen von Honstein geweiht. Der ewige Vater unseres Herrn Jesus Christus möge denen, die hier weilen, Heil des Körpers und der Seele weiterhin gnädig schenken. Amen. (B2)

Im Jahr Christi 1597, im Monat September. (B3)

Diejenigen, die Gott suchen, werden nicht beeinträchtigt werden in jeglichem Gut. Psalm 34. (C1)

Sucht zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und all dies wird euch zufallen. Matthäus 6. (C2)

Kommentar

Nach der Beschreibung Eckstorms kann unter tabulatum nur eine Holzkonstruktion oder ein Gerüst mit senkrechten Fronten verstanden werden. Im Inneren des Kapitelsaals kommt dafür nur die Empore infrage, die nach 1570 an der Westwand errichtet wurde und Plätze für den Chor und die 1590 angeschaffte Orgel bot.5) Gleichzeitig mit der Empore wurde laut Eckstorm auch die (nicht mehr erhaltene) Kanzel Nr. 121 eingebaut.6)

Die Inschriften A1–A3 stellen die seit 1593 als Administratoren regierenden welfischen Besitzer des Klosters in die Tradition der Stifter und früheren Schutzherren, insbesondere der Grafen von Honstein. Das Gründungsdatum des Klosters ist unsicher, doch wurde für die entscheidenden Rechtsakte zuletzt (mit guten Gründen) die Mitte des Jahres 1129 angenommen.7) Das in der Inschrift A1 genannte Jahr 1127 findet sich auch in den Darstellungen bei Letzner, Eckstorm und Leuckfeld.8) Leuckfeld führt als Beleg einen Gedenkvers an, der in vielen [Walkenrieder] Meß-Büchern gestanden habe.9) Dieser Vers wird auch von Dietrich Engelhus (um 1362–1434) in seiner nach 1420 entstandenen „Chronik“ zitiert,10) so dass das Gründungsjahr 1127 – das 1607 noch in einer weiteren Inschrift (Nr. 141) im Kreuzgang angebracht wurde – spätestens im frühen 15. Jahrhundert als im Kloster anerkannt gelten kann. Gründerin des Klosters war Gräfin Adelheid allein, deren Mann Volkmar schon vorher in das Kloster Huysburg (Harzkreis, Sachsen-Anhalt) eingetreten war. Beide kamen vermutlich aus dem nordthüringischen Raum, wo sich der Schwerpunkt ihrer Besitzungen befand.11) Die Bezeichnung Volkmars als Graf von Lauterberg und Klettenberg sowie Adelheids als geborene Gräfin von Lohra12) ist unhistorisch und wohl erst im späten 15. Jahrhundert aufgekommen.13) Die Benennung des 1512 geborenen Grafen Volkmar Wolfgang (Nr. 79), mit dem der Name zum ersten Mal in der Familie der Honsteiner auftritt,14) dürfte auf die Übernahme dieser Gründungslegende zurückgehen.

Die Übertragung der Obervogtei des Klosters durch Kaiser Friedrich III. an den Herzog von Sachsen im Jahr 1457 ist urkundlich belegt.15) Die Inschrift A2 greift aus der komplexen Geschichte der Ober- und Untervogtei des Klosters allerdings nur eine Nachricht heraus. Die ursprünglich königliche Obervogtei stand seit spätestens 1341 den wettinischen Markgrafen von Meißen zu,16) die seit 1423 auch Herzöge und Kurfürsten von Sachsen waren. Die Urkunde von 1457 bestätigte also nur eine ältere Tatsache. Im 16. Jahrhundert kam es wiederholt zu Konflikten der Obervögte mit den Honsteiner Grafen, die seit dem frühen 13. Jahrhundert als Untervögte in Walkenried viel präsenter waren. Den Höhepunkt erreichte dieser Konflikt im Jahr 1564 mit der Ernennung eines Gegenabtes und der Einsetzung eines Administrators durch Kurfürst August von Sachsen. Es bedurfte eines kaiserlichen Mandats und eines Urteils des Reichskammergerichts, um 1568 einen Kompromiss zwischen den beiden Parteien zu erzielen. 1574 kam es zu einem Tausch der Obervogtei über Walkenried gegen Oberlehnsrechte an der Grafschaft Mansfeld, die das Hochstift Halberstadt an den Kurfürsten abtrat. Der bereits im Alter von zwei Jahren zum Bischof gewählte Heinrich Julius (1564–1613) trat diese Rechte 1583 an den Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel – seinen Vater Herzog Julius – ab. Mit dem Tod des letzten Grafen Ernst VII. im Jahr 1593 (vgl. Nr. 103) fielen damit die ober- und untervogteilichen Rechte an Heinrich Julius selbst, der 1589 seinem Vater als Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel nachgefolgt war. Der Konvent wählte ihn erwartungsgemäß zum Administrator des Stiftes.17) Beide Ereignisse fasst Inschrift A3, deutlich verkürzt, zusammen.

Inschrift B1 erinnert an die Einrichtung der Schule im Kloster im Jahr 1557 in der Folge der in der Grafschaft Honstein eingeführten Reformation (das Kloster folgte – vor dem Hintergrund eines drohenden Eingreifens des sächsischen Obervogtes – bereits seit 1546 der lutherischen Lehre).18) Inschrift B2 thematisiert den Einsturz der seit dem Bauernkrieg von 1525 beschädigten Klosterkirche sowie die anschließende Umgestaltung des Kapitelsaals zur Kirche und Grablege der Honsteiner Grafen,19) an die zahlreiche, in diesem Band genannte Grabdenkmale erinnern.

Textkritischer Apparat

  1. Im Druck: Signatum An(no) Ch(risti) M. D. IIIC. Mense VIIbri; wegen des Ausdrucks Signatum wird der darauffolgende Text trotz des Kursivdrucks, der bei Eckstorm einen eigenen Text im Gegensatz zu den recte gesetzten Zitaten ausweist, als ausgeführter Teil der Inschrift aufgefasst.

Anmerkungen

  1. Eckstorm, Chronicon Walkenredense, S. 288f.
  2. Kdm. Kreis Blankenburg, S. 316.
  3. Ps. 34,11.
  4. Mt. 6,33.
  5. Kdm. Kreis Blankenburg, S. 316.
  6. Eckstorm, Chronicon Walkenredense, S. 289.
  7. Vgl. UB Walkenried, Bd. 1, Nr. 2 u. 3. Niedersächsisches Klosterbuch, Bd. 3, S. 1471 (J. Dolle). Zum Gründungsjahr unsicherer: Germania Benedictina, Bd. XII, S. 678 (C. Alphei).
  8. Vgl. Letzner, Walkenrieder Chronik, S. 33; Eckstorm, Chronicon Walkenredense, S. 10; Leuckfeld, Antiquitates Walckenredenses, Thl. 1, S. 26f.
  9. Ebd., S. 27: Anno milleno centum septemque vigeno / Walkenrieth extruitur, Christus ubi colitur: ‚Im Jahr eintausendeinhundertzwanzig und sieben wurde (das Kloster) Walkenried errichtet, wo Christus verehrt wird‘. Der Vers ist offenbar nach dem Muster eines bereits aus dem 12. Jahrhundert stammenden Gedenkverses für die Gründung des Zisterzienserordens im Jahr 1098 konstruiert: Anno milleno centeno bis minus anno [recte: uno] / Sub patre, Roberto, coepit Cistercius ordo; zitiert ebd., S. 21.
  10. Chronicon Theodorici Engelhusii, in: Gottfried Wilhelm Leibniz, Scriptores rerum Brunsvicensium 2, Hannover 1710, S. 977–1143, hier S. 1100: Anno milleno C. septenoque vigeno / Walkenred struitur, Christus ubi colitur.
  11. Vgl. Germania Benedictina, Bd. XII, S. 680f. (C. Alphei).
  12. Letzner, Walkenrieder Chronik, S. 32–36, bes. S. 34f. (demnach geht diese früheste Erwähnung dieser Titel bei Letzner auf seinen Gewährsmann Cyriakus Spangenberg [1528–1604] zurück); Eckstorm, Chronicon Walkenredense, S. 10f. u. 17f.; Leuckfeld, Antiquitates Walckenredenses, Thl. 1, S. 28–32; Thl. 2, S. 3–9.
  13. Vgl. Niedersächsisches Klosterbuch, Bd. 3, S. 1471 (J. Dolle). – Die Grafen von Lohra (Lara) werden zu Beginn des 12. Jahrhunderts erstmals erwähnt; in einer neueren Genealogie wird Adelheid immer noch als Schwester des Grafen Berengar I. von Lohra genannt; dafür gibt es aber keinen Beleg: Europäische Stammtafeln N.F., Bd. XVII, Tafel 89. Die Grafen von Scharzfeld und Lauterberg gibt es erst seit 1139, die Grafen von Klettenberg werden erstmals 1187 erwähnt; ebd., Tafel 90 u. 96; Germania Benedictina, Bd. XII, S. 681 (C. Alphei). Die Honsteiner Grafen kamen Ende des 13. Jahrhunderts in den Besitz der Grafschaften Klettenberg und Lohra. Lauterberg und Scharzfeld hatten sie seit 1402 als braunschweigisches Lehen inne; Hoche, Grafschaft Hohenstein, S. 90–103. Vgl. auch Europäische Stammtafeln N.F., Bd. XVII, Tafel 89, 90, 92 u. 93.
  14. Die Abschrift des Huysburger Totenbuchs, in der ein Volcmarus comes de Honstein genannt wird, stammt auch erst aus dem 16. Jahrhundert; der Zusatz dürfte ebenfalls der Walkenrieder Gründungslegende angepasst worden sein. Dazu vgl. Germania Benedictina, Bd. XII, S. 679f. (C. Alphei).
  15. UB Walkenried, Bd. 2, Nr. 1377. Vgl. bereits Leuckfeld, Antiquitates Walckenredenses, Thl. 1, S. 373f. (S. 374 ist irrtümlich mit der Seitenzahl 367 versehen).
  16. Germania Benedictina, Bd. XII, S. 684, 688 u. 717f. (C. Alphei). Vgl. Leuckfeld, Antiquitates Walckenredenses, Thl. 2, S. 12–14.
  17. Germania Benedictina, Bd. XII, S. 691–695 u. 718f. (C. Alphei). Vgl. Leuckfeld, Antiquitates Walckenredenses, Thl. 2, S. 14f., 22–46 u. 112–118. Etwas verworren die Darstellung bei Letzner, Walkenrieder Chronik, S. 119–125.
  18. Vgl. Wagnitz/Reinboth, Klosterschule, S. 8–11 u. 14–17. Germania Benedictina, Bd. XII, S. 691–693 (C. Alphei). Leuckfeld, Antiquitates Walckenredenses, Thl. 1, S. 469–482.
  19. Germania Benedictina, Bd. XII, S. 690 u. 727 (C. Alphei). Leuckfeld, Antiquitates Walckenredenses, Thl. 1, S. 454–464, bes. S. 459f.

Nachweise

  1. Eckstorm, Chronicon Walkenredense, S. 288f.
  2. Leuckfeld, Antiquitates Walckenredenses, Thl. 2, S. 28, Anm. o (A, nach Eckstorm).

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 120† (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0012001.