Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 106 Bad Sachsa, St. Nikolai 1595

Beschreibung

Altarretabel. Holz. Auf der Predella in der Mitte in einem runden Bild der kniende Stifter, Bürgermeister Hartmann, in schwarzer Amtstracht; Pfarrer Friedeland legt ihm die rechte Hand auf sein Haupt. Inschrift A links neben dem Bild, darunter die kleinere Inschrift B und die Initialen C. Inschrift D rechts neben dem Bild, darunter die kleinere Inschrift E. Die Inschriften gemalt, schwarz auf hellem Untergrund; die meisten Versalien, Gott und die Bibelstellenangabe zu (B) sind rot abgesetzt. In den Inschriften Interpunktionszeichen. Bei der Edition wird der Wiedergabe im Band der Kunstdenkmäler von 1889 der Vorzug gegeben gegenüber dem heutigen Zustand und dem durch ein Foto im Landesamt für Denkmalpflege dokumentierten Zustand von 1967, die beide durch Fehlrestaurierungen überformt sind.

Im Hauptgeschoss eine hochrechteckige Darstellung des Abendmahls. Unten rechts die blass-weiß auf braunem Hintergrund gemalte Signatur F; die Jahreszahl ist nachgeritzt und dadurch teilweise zerstört. Im Oval des Seitenhangs links eine Verkündigung. Vom oberen linken Rand geht ein auf Maria gerichteter goldener Lichtschein aus, der zwei Aureolen bildet. In deren Mitte Inschrift G: die schwarz auf Gold gemalten Namen Gottes und Jesu in hebräischer Sprache und Schrift. Im Seitenhang rechts ein Oval mit der Geburtsszene. Im Obergeschoss eine gemalte Kreuzigungsgruppe mit dem Titulus H, schwarz auf weiß auf einem Schriftband am Kreuzhaupt gemalt. Im Giebel ein querovales, oben zwiebelförmig spitz zulaufendes Gemälde mit einer Auferstehung.

Inschriften A–B u. D–E verbessert nach Kdm.

Maße: H.: ca. 380 cm (gesamt), 77 cm (Predella); B.: ca. 350 cm (gesamt), 207 cm (Predella); Bu.: 1,7–3,6 cm (A), 1,2 cm (B), 1 cm (C), 2,6 cm (D), 1,3 cm (E), 0,3 cm (F, Minuskeln), 0,6 cm (F, Kapitalis-F), 0,4 cm (G), ca. 0,9 cm (H).

Schriftart(en): Fraktur (A–B, D–E), Kapitalis (C, H), Kapitalis mit Kursive u. Versalien (F), hebräische Buchstaben (G).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Jörg H. Lampe) [1/5]

  1. A

    Biltnüsa) des Burgemeisters Han=/sen Hartmans, so diese Taffel / Gott dem Almechtigenb) zu Ehren, / Der Kirchen, Vnnd Gemein=/den Alhier zur Sachse / Vorehretc) Hatt. Im Jahr / Vnsers Hernn Christi . / 1595 . 29 IAN(VARII) / Seines Alters. / Jm LXV Jaerd) .

  2. B

    Johan : 1. / Das Blüt Jesu Christi Gottes Sohn macht Vns Reine vonn /Allenn Vnnsernn Sundenn.1) Amen .

  3. C

    J W V(orth)

  4. D

    Matth: XXVIII. / Mir Jst gegeben Spricht Christus / Alle gewalt Jm Himmel vnd Erden, / Darümb gehet hin, Vnnd Leret alle / Volcker:e) Vnd Teüffet Sie , Jn dem / Namen des Vatters, vnd des Sons, / Vndt des Heiligen Geistsf). / Vndt Leret Sie Halten alles/ Was Jch Eüch Beuoleng) Hab . / Vnd Sihe Jch Bin beÿ Eüch alle / Dag bis ansh) Ende der Weltt2) .

  5. E

    Biltnüs[s]i) Caspari Friedelandt(s)j) damals/ Pfarherk) Seins Alters Jm XXXVIII Jare .

  6. F

    J W Vorthl) : / F(ecit) 159[5]

  7. G

    יֵשׁוּעַ // יְהֹוָה

  8. H

    I(ESVS) N(AZARENVS) R(EX) I(VDAEORVM)3)

Übersetzung:

J. W. Vorth hat es gemacht. (F)

jehowah. jeschua‘ (Jesus). (G)

Kommentar

Der Aufsatz entfaltet in seinem prachtvollen Renaissance-Rahmen ein theologisches Programm, bei dem das zentrale Abendmahl flankiert wird von Verkündigung und Geburt und nach oben durch die Kreuzigungsszene und Auferstehung beschlossen wird; es wird ergänzt durch die auf Abendmahl und Kreuzigung bezügliche Inschrift B sowie den Taufbefehl in Inschrift D.4) In dem links neben Judas sitzenden und – anders als in den Vorlagen (s. u.) – nach vorne schauenden Jünger könnte man (mit Lüke) ein Selbstporträt des – sonst unbekannten – Malers J. W. Vorth vermuten.5)

Das Abendmahlsbild ist eines der frühesten im südöstlichen Niedersachsen, erst das zweite nach dem von 1577 in Walkenried. Es beruht auf einem Stich, den der Niederländer Cornelis Cort (1533–1578) 1568 nach einem Gemälde des in Rom tätigen Malers Girolamo Muziano (1528/32–1592) anfertigte.6) Auch für die weiteren Gemälde lassen sich zumeist Vorbilder in der niederländischen Druckgraphik identifizieren. Die Verkündigung wurde offenbar aus mehreren Vorlagen zusammengesetzt. Die rechte Hälfte mit Maria, die die linke Hand auf ein Lesepult legt, und dem Bett mit einem runden Baldachin folgt ebenfalls einem Stich von Cornelis Cort.7) Die Haltung des Engels ähnelt der auf einem anderen Stich von Cort, wobei die Lilie und der Zeigearm vertauscht sind.8) Dagegen stammen die beiden Aureolen mit den hebräischen Gottes- bzw. Jesusnamen von einem Stich, den Jan Sadeler 1579 (nach Marten de Vos) angefertigt hatte.9) Die Geburtsszene folgt einem Stich von 1582 aus derselben Serie zur Kindheit Jesu.10) Die Kreuzigungsszene ist wenig spezifisch; als Vorlage kommt die Wiederholung eines Stichs von Hieronymus Wierix, ebenfalls nach Marten de Vos, infrage.11) Die Auferstehung dürfte (mit reduzierter Zahl von Wächtern) wiederum auf einen Stich von Cornelis Cort aus dem Jahr 1569 (nach einem Gemälde von Giulio Clovio) bzw. auf eine gespiegelte Kopie nach dem Stich zurückgehen.12)

Bürgermeister Johann (Hans) Hartmann war laut Inschrift A zum Zeitpunkt der Stiftung 65 Jahre alt. Der 1595 im 38. Lebensjahr stehende Pastor Caspar Friedeland13) (E) aus Nordhausen, der seit 1582 in Wittenberg studiert hatte,14) war ein Halbbruder des zeitweiligen Walkenrieder Pastors und Schulrektors Laurentius Rhodomann (vgl. Nr. 85). Rhodomann, ab 1591 Professor für alte Sprachen in Jena, immatrikulierte seinen Bruder ‚von der Mutter‘ während seines Rektorats in Jena 1597 noch einmal (möglicherweise zur Promotion).15) Caspar Friedeland lebte noch 1608. In diesem Jahr verfasste er ein langes Trauergedicht auf Elisabeth Zimmermann16) (vgl. Nr. 144), die Ehefrau des Walkenrieder Pastors und Rektors Heinrich Eckstorm.

Textkritischer Apparat

  1. Biltnüs] BILTNUS Kdm., Biltinis Foto NLD.
  2. Almechtigen] Befund: eher wie Alinechtigen (ohne Punkt über dem ersten i), fehlrestauriert.
  3. Vorehret] Foto NLD, VOREHRET Kdm.; Befund: Vermalet, fehlrestauriert.
  4. Jaer] JAER Kdm.; Befund u. Foto NLD: Jarr, (Schaft-)r an erster Stelle, vermutlich fehlrestauriert aus e.
  5. Volcker:] Foto NLD, VOLCKER Kdm., Befund: k durch Restaurierung überformt; statt Doppelpunkt nur noch Hochpunkt.
  6. Geists] Foto NLD, GEISTS Kdm.; Befund: Geistes, e eng hinter t bei Restaurierung hinzugefügt.
  7. Beuolen] Befund: BEUOLEN Kdm.; Beüdlen Foto NLD, fehlrestauriert, heute korrigiert.
  8. ans] Foto NLD, ANS Kdm.; Befund: a fehlrestauriert zu u.
  9. Biltnüs[s]] BILTNVß Kdm.; Befund u. Foto NLD: Biltnüst. Vermutlich ursprünglich Schleifen-s, daher die Lesung in Kdm.
  10. Friedelandt(s)] FRIEDLANDTS Kdm.; Befund: Friedeland(s). Auf dem Foto im NLD ist nicht ganz sicher auszumachen, ob nach dem ersten d ein e oder t folgt; heute durch Restaurierung vereindeutigt; am Ende ein s-förmiger Kürzungshaken, der, etwas anders geformt, auch auf dem Foto im NLD erscheint.
  11. Pfarher] Foto NLD, PFARHER Kdm.; Befund: Pfaraer, fehlrestauriert.
  12. Das Initial-J über W gemalt, V über den rechten Schrägschaft des W.

Anmerkungen

  1. 1. Jh. 1,7.
  2. Mt. 28,19–20.
  3. Io. 19,19.
  4. Vgl. dazu auch die Reflexionen Lükes in: Lüke, Alhier zur Sachse, S. 8–11.
  5. Ebd., S. 10 (mit Ausschnittbild).
  6. Vgl. Oertel, Abendmahlsbild, S. 248, 250f. (mit Abb. 17), 262 u. 265. The New Hollstein Dutch. Cornelis Cort I, Nr. 56, S. 189. Direkte Vorlage für das Bild in Bad Sachsa dürfte allerdings eine seitenverkehrte Kopie des Stiches von Cort durch einen Angehörigen der Sadeler-Familie gewesen sein; vgl. ebd., copy b mit Abb. S. 192.
  7. The New Hollstein Dutch. Cornelis Cort I, Nr. 20–22, S. 55–63.
  8. Ebd., Nr. 18/II, S. 45f.
  9. Vgl. Hollstein’s Dutch, vol. XLIV (Texts), Nr. 256, S. 64; vol. XLV (Plates I), Nr. 256/II, S. 107.
  10. Vgl. Hollstein’s Dutch, vol. XLIV (Texts), Nr. 258, S. 64; vol. XLV (Plates I), Nr. 258, S. 107.
  11. Vgl. Hollstein’s Dutch, vol. XLIV (Texts), Nr. 493, S. 113: die Wiederholung zeigt, wie das Gemälde, Pflanzen an der Seite; vol. XLV (Plates I), Nr. 493, S. 175.
  12. Vgl. The New Hollstein Dutch. Cornelis Cort II, Nr. 74, S. 8–14; siehe bes. die Kopien „in reverse“.
  13. Im Pfarrerbuch der Kirchenprovinz Sachsen wird Caspar Friedeland mit dem falschen Jahreseintrag „um 1544“ geführt; Pfarrerbuch der Kirchenprovinz Sachsen, Bd. 10, S. 97.
  14. Matrikel Wittenberg, Bd. 2, S. 308b (Z. 6): Casparus Fridland, Northusanus, immatrikuliert 20. August 1582. Das relativ späte Studium dürfte durch Finanzprobleme begründet sein.
  15. In der Matrikel (Bl. 201r) setzte er (nachträglich) an den Anfang der Einschreibungen: Casparus Frideland(us), Rect(oris) frat(er) uterin(us) Eccles(iae) Sax(ensis) ad Hercyn(iam) Pastor: ‚Caspar Friedland, Bruder des Rektors von der Mutter, Pastor der Kirche zu Sachsa am Harz‘; vgl. http://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_ 00248248/Ms_Prov_f_109_0401.tif?logicalDiv=jportal_jparticle_00526974 (03.07.2018); danach Matrikel Jena, S. 109. – Rhodomanns Vater, ein Bauer aus Niedersachswerfen bei Nordhausen, war bald nach seiner Geburt gestorben, seine Mutter Margarete heiratete in zweiter Ehe demnach den Vater von Caspar Friedland; vgl. Ernst Heinrich Zober, Zur Geschichte des Stralsunder Gymnasiums. Zweiter Beitrag, Stralsund 1841, S. 21–25, hier S. 21f.
  16. Epicedion in obitvm immatvrvm piissimae et honestissimae matronae Elisabethae …; Caparus Fridlandus, Pastor in oppido Sachsâ, amoris et gratitudinis ergò scribebat; vgl. Bulius, Leichenpredigt für Elisabeth Zimmermann, Bl. [D4]v–E[1]r.

Nachweise

  1. Kdm. Kreis Grafschaft Hohenstein, S. 152f. (A–B, D–E).
  2. Foto NLD Hannover (Struttmann, 1967); https://www.bildindex.de/document/obj20790610.
  3. Lüke, Alhier zur Sachse, S. 8–11 (C, F–H).

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 106 (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0010601.