Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 100 Uehrde, Kapelle 1591

Beschreibung

Kanzel mit Schalldeckel. Holz, bemalt. Die von einer schlanken Säule mit quadratischer Basis getragene Kanzel erhebt sich sechsseitig über einem kuppaförmigen Unterbau. Auf fünf Feldern zwischen kannelierten Pfeilern Gemälde: im von der Gemeinde aus gesehen zentralen Feld Christus als Erlöser, links und rechts daneben die vier (mit Ausnahme von Johannes bärtigen) Evangelisten in langen Gewändern und mit ihren Attributen zu ihren Füßen. Am unteren Rand der Bilder die schwarz auf hellen Feldern gemalten Beischriften A. Auf dem oberen und unteren Fries des Kanzelkorbes Inschrift B umlaufend, gelb auf dunkelblauem Grund gemalt, beginnend rechts von der Treppe unter der Brüstung und einem Zahnschnittfries.

Auf dem Fries des achteckigen Schalldeckels über dem Aufgang zur Kanzel die hellblau auf dunklem Untergrund gemalte Jahreszahl C; vor dieser sind zwei Buchstaben übermalt. Auf den weiteren Abschnitten des Frieses Inschrift D, gelb auf dunklem Grund gemalt. Im kuppelförmigen Inneren des Schalldeckels acht durch sternenbesetzte Stege getrennte Felder. Im achteckigen Mittelfeld der Heilige Geist als Taube vor blauem Hintergrund. Auf dem Segment über dem Eingang zur Kanzel Gottvater, auf dem Feld (vom Aufgang aus gesehen) rechts daneben die schwarz auf hellem Hintergrund gemalte Inschrift E, auf dem Feld links von Gottvater die ebenso gemalte, weitgehend zerstörte Inschrift F, auf die er weist. Danach Christus mit Geißel und Ruten (Arma Christi), dann ein Engel mit Posaune. Auf den restlichen drei Feldern die drei christlichen Tugenden als Frauengestalten: Fides (Glaube) mit Buch (Bibel) und bedecktem Haar; Caritas (Liebe), ein Kind an der Brust säugend und mit einem Getreidehalm; Spes (Hoffnung) mit Taube und Anker. Als Bekrönung an sieben Seiten Giebel mit aufgemaltem Ohrmuschelwerk, dessen Muster sich auch auf dem Unterbau des Kanzelkorbes findet.

Maße: H.: 270 cm (Kanzel), 124 cm (Kanzelkorb ohne Basis); B.: 50–55 cm (Feld des Kanzelkorbes); Dm.: 119 cm (Schalldeckel); Bu.: 1,7 cm (A, E, F), 1,8 cm (B–D).

Schriftart(en): Kapitalis, teilweise mit Versalien (A, D).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Jörg H. Lampe) [1/9]

  1. A

    S · MARCVS // S · MATTHEVS // SALVATOR // S · IOHANNES // S · LVCAS

  2. B

    PREDIGE DAS WORT HALT AN ES SEI ZVR RECHTEN ZEIT ODER ZVR VNZEIT // STRAFFE DROHEa) ERMANE MIT ALLER GEDVLT VND LERE1) TIMO [.]

  3. C

    [. N(NO)] · 1· 5· 91 ·

  4. D

    DES PRIESTERS LIPPEN SOLLEN DIE LER BEWAREN, DAS MAN AVS SEINEM MVNDE DAS GESETZ SVCH[E]b) DEN ER IST EIN ENGEL DES HERRN ZEBAOTH2) MALEACHI KAP. 2

  5. E

    DES HERR(N) / WORT / IST WARHAFTIG / VND WAS · ER / ZW SAGET DAS / HELT ER GEWIS3) / PSAL·MO XXXIII

  6. F

    [– – –] / [SON . . .]E[LCHM] / ICH . . . . .]/FALL[– – –] / DE[N] [.]O[L . . .] / HÖREN4)

Kommentar

Die regelkonforme Kapitalis zeichnet sich durch Sporen an den Schaft-, Balken- und Bogenenden aus. Ein Wechsel von Haar- und Schattenstrichen war angestrebt und ist bei den Inschriften am Schalldeckel und den Beischriften A noch gut zu erkennen. Dort ist auch der teilweise geschwungene Schrägbalken des N, dessen unteres Ende in einen Zierhaken ausgezogen ist, besser erhalten. Der Mittelbalken des E ist verkürzt; der Mittelbalken am Z in der offenbar stärker überarbeiteten Inschrift B am Kanzelkorb ist wohl ein Ergebnis der Restaurierung; er findet sich nicht in Inschrift D. Die geschwungene Cauda des R läuft spitz zu.

Die Auswahl der Inschriften entspricht der an vielen lutherischen Kanzeln der Renaissance. Sie sind bezogen auf das Predigtamt (B, D) bzw. als Verheißung an die Gemeinde (E) zu verstehen. Während die um Christus als Erlöser gruppierten Evangelisten zu den weitaus häufigsten an lutherischen Kanzeln angebrachten Motiven gehören, fällt die über die Taube hinausgehende Bemalung der Unterseite des Schalldeckels, besonders die Anbringung der drei christlichen Tugenden, als bemerkenswert auf.5)

Am Treppenaufgang der Kanzel soll die inzwischen verlorene Jahreszahl 1654 gestanden haben.6) Die Kanzel, die nicht zu der derzeitigen Einbausituation passt (Verhältnis des Schalldeckels zur Wand, Lukas nahe zur Südwand der Kirche), könnte 1591 für eine andere Kirche angefertigt und 1654 an ihren gegenwärtigen Platz versetzt worden sein. Heinrich Wendt berichtet dagegen, dass der Osteroder Rat um 1650 für die Kirche des Stadtdorfes einen neuen Altar, Kanzel und Taufstein habe anfertigen lassen.7)

Textkritischer Apparat

  1. DROHE] Bei Luther (1545) drawe; möglicherweise bei Restaurierung modernisiert.
  2. SVCH[E]] Befund: der obere Balken des E ist bei der Restaurierung nur unvollständig, der Mittelbalken gar nicht nachgezogen worden.

Anmerkungen

  1. 2. Ti. 4,2. Sehr häufig an lutherischen Kanzeln bzw. Schalldeckeln; vgl. Poscharsky, Kanzel, S. 136 u. 143.
  2. Mal. 2,7. Häufig an lutherischen Kanzeln; vgl. Poscharsky, Kanzel, S. 143.
  3. Ps. 33,4. Seltener an lutherischen Kanzeln angebracht; vgl. Poscharsky, Kanzel, S. 135f. u. 143f.
  4. Mt. 17,5: Dis ist mein lieber Son, an welchem ich wolgefallen habe, Den solt jr hören. Auch an anderen lutherischen Kanzeln zu finden; vgl. Poscharsky, Kanzel, S. 144.
  5. Vgl. Poscharsky, Kanzel, S. 131–134.
  6. www.aegidien-marktkirche.de/uehrde.php (17.03.2016). Angeblich nach Wendt, aber nicht in der in der folgenden Anm. genannten Schrift.
  7. Vgl. Wendt, Geschichte, S. 441–448, hier S. 446.

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 100 (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0010009.