Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 49 Hannover, Landesmuseum 2. H. 15.–1. D. 16. Jh.

Beschreibung

Fünf hochrechteckige Holztafeln mit Relieffiguren.1) Vermutlich Teile einer Deesisgruppe. Früher in Pöhlde in der Klosterkirche St. Johannes und Servatius. Zusammen mit Teilen des Chorgestühls (Nr. 4) zwischen 1861 und 1863 in das damalige Welfenmuseum gelangt. Monochrome Übermalungen der Figuren, die nicht die Inschriften betrafen, wurden 1952 beseitigt.2) Die Figuren sind bekleidet mit langen Gewändern in reichem Faltenwurf. Alle Figuren halten in einer Hand (mit einer Ausnahme in der linken) Schriftbänder mit auf den Holzuntergrund gemalten Inschriften. In der Mitte ist, entsprechend der gegenwärtigen Aufstellung im Museum, der frontal dargestellte Christus mit Inschrift A anzunehmen. Links von diesem Maria mit Tuch unter der Krone und Inschrift B, rechts Johannes der Täufer, der ein Medaillon mit Lamm und Kreuzstab mit Fahne in der Linken und das Schriftband mit Inschrift C in der Rechten hält. Die zentrale Gruppe war vermutlich flankiert von den beiden Patronen der Kirche: links der Evangelist Johannes mit Inschrift D und rechts der durch Inschrift E bezeichnete Bischof Servatius, dargestellt mit Mitra und Stab, ursprünglich vor einem Hintergrund mit Maßwerk. Die beiden nach links gestellten Figuren neigen den Kopf nach rechts, die beiden nach rechts gestellten nach links, jeweils auf Christus zu.3) Die Nimben waren ursprünglich, wie bei den Figuren am Chorgestühl (Nr. 4), blattförmig stilisiert. Dies ist jetzt teilweise abgearbeitet; Reste sind bei Servatius noch deutlich, bei Johannes gar nicht mehr zu erkennen.

Maße: H.: 92–93 cm; B.: 26–30 cm; Bu.: 3,3 cm (A), 2,9 cm (B), 2,8 cm (C, E), 2,5 cm (D).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Christine Wulf) [1/4]

  1. A

    Ego sum // alpha et o(mega)4)

  2. B

    Ego m(ate)r pu[lchre] di[lectio(nis)]a)5)

  3. C

    Ecce agnus dei ecce q(ui) tollit peccat(a)6)

  4. D

    In · principio erat // verbu(m) et verbu(m) erat7)

  5. E

    Sanctus seruacius epi[s](copus)

Übersetzung:

Ich bin der Anfang und das Ende. (A)

Ich bin die Mutter der schönen Liebe. (B)

Seht das Lamm Gottes, das die Sünde (der Welt) hinwegnimmt. (C)

Im Anfang war das Wort und das Wort war (bei Gott). (D)

Der heilige Bischof Servatius. (E)

Kommentar

Die Schrift ist sehr regelmäßig ausgeführt; der Maler war sicher mit der Buchschrift der Textura vertraut, möglicherweise hatte er auch bereits frühe Buchdrucke mit ihren Versalien als Vorbild.

Die Figuren wurden seit 1861/63 überwiegend als Teil einer früheren Kanzelfüllung angesehen;8) nur Habicht hat sie zum Chorgestühl Nr. 4 gerechnet.9) Letzner erwähnt in der nach seiner Darstellung Ende des 16. Jahrhunderts mit Ausnahme des Chors wüsten Kirche nur das Gestühl, nicht aber eine Kanzel.10) Grape hat die Figuren einerseits als Deesisgruppe behandelt und die Aufstellung als Altarantependium diskutiert, die Figuren der beiden Patrone aber auch dem Gestühl zugeordnet.11) Auch von der Osten sieht eine stilistische Nähe der Figuren zu dem Gestühl, weshalb er sie wie dieses „um 1284“ datiert.12) Diese Nähe ist deutlich, so dass die Deesisgruppe einschließlich der beiden Kirchenpatrone zumindest in zeitlicher Nähe zu diesem, wahrscheinlich noch im letzten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts entstanden sind.

Der Schriftbefund weist andererseits in die zweite Hälfte des 15., spätestens in das erste Drittel des 16. Jahrhunderts. Zudem zeigt sich, dass die ursprünglich blattförmigen Nimben abgearbeitet wurden. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Figuren – durch Abnutzung oder Zerstörung – so beeinträchtigt waren, dass die ursprünglich wahrscheinlich eingeschnitzten Inschriften ebenso wie die Nimben abgearbeitet und durch die heutigen, aufgemalten ersetzt wurden. Inwieweit diese einen älteren Textbestand wiedergeben, muss offenbleiben; zumindest Inschrift B entspricht eher spätmittelalterlichen Texten. Diese Erneuerung, die hastig – ohne die für gemalte Inschriften übliche Grundierung – ausgeführt wurde, könnte nach der Zerstörung großer Teile der Kirche im Bauernkrieg (1525) geschehen sein.13)

Eine spätere Verwendung der Figuren als Bestandteile einer Kanzel seit der frühen Neuzeit ist denkbar, aber nicht zu belegen.

Textkritischer Apparat

  1. Ego m(ate)r pu[lchre] di[lectio(nis)]] Ego m(a)r(ia) pulchr (?) Von der Osten, mit dem Zusatz: „fast erloschen“; Ego m(ate)r pul … Grape.

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. WM XXIII, 2–6.
  2. Vgl. von der Osten, Katalog der Bildwerke, S. 46.
  3. Vgl. Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 178. Von der Osten, Katalog der Bildwerke, S. 46f.
  4. Apc. 1,8.
  5. Sir. 24,24: Ego mater pulchrae dilectionis et timoris et agnitionis et sanctae spei.
  6. Io. 1,29; zu ergänzen: mundi.
  7. Io. 1,1; zu ergänzen: apud deum.
  8. Vgl. Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 178. Von der Osten, Katalog der Bildwerke, S. 47.
  9. Vgl. Habicht, Chorgestühle, S. 4.
  10. Vgl. Letzner, Klösterchronik, Cod. Ms. Hist. 248, p. 1078f.; Cod. Ms. Hist. 249, Bl. 1227r/v.
  11. Grape, Rätsel 1, S. 48–52. Vgl. Nr. 4.
  12. Von der Osten, Katalog der Bildwerke, S. 46f.
  13. Vgl. Niedersächsisches Klosterbuch, Bd. 3, S. 1256 u. 1261 (W. Könighaus).

Nachweise

  1. Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 178.
  2. Habicht, Chorgestühle, Tafel V.
  3. Von der Osten, Katalog der Bildwerke, S. 46.
  4. Grape, Rätsel 1, S. 48, Anm. 53.

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 49 (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0004908.