Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 45(†) Gittelde, St. Mauritius 1. V. 16. Jh.

Beschreibung

Altarretabel. Holz. Schnitzwerk, farbig und golden gefasst. Im Mittelschrein vier große Heiligenfiguren, in den Flügeln in zwei Reihen von je drei Figuren die zwölf Apostel.

Der Aufsatz, der ursprünglich aus der Kirche St. Johannis in Gittelde stammt, wurde 1967 nach St. Mauritius gebracht. Der gegenwärtige Zustand des Retabels ist das Ergebnis von mehreren Restaurierungen. Während die erste Restaurierung von 1903, dokumentiert durch Fotos im Landesamt für Denkmalpflege in Hannover,1) die vorhandene Substanz gesichert und die Reste von Inschriften bewahrt bzw. vorsichtig erneuert hat,2) haben spätere Restaurierungen stark verändernd eingegriffen. Diese wurden nötig, weil das Retabel in der Johanniskirche großer Feuchtigkeit ausgesetzt war. 1937 wurde der Aufsatz erneut gegen Holzwurm behandelt und „neu vermalt“. 1964 bis 1967 erfolgte eine weitere, tief eingreifende Restaurierung durch den Landesrestaurator Hans Herzig in Braunschweig. Die Schreinkästen wurden, unter Verwendung der alten Scharniere, offenbar neu angefertigt; die vergoldeten Rückwände wurden mit Kachelmustern versehen: kleine Kacheln im Schachbrettmuster im Mittelschrein, auf die Spitze gestellte größere Kacheln in den Flügeln. Im Mittelschrein glatte Nimben mit einem punzierten Rand. Ergänzt wurden die teilweise fehlenden Attribute der Heiligen und Apostel, die 1903 fast vollständig zerstörten Schleierbretter und eine Bekrönung. Anstelle der früheren Schriftleisten unterhalb der Figuren wurden durchbrochene Leisten mit Schnitzwerk vorgeblendet. Zwei Figuren wurden vertauscht, andere durch Hinzufügung von Attributen neu bestimmt.3) Diese Maßnahmen haben sämtliche 1903 noch vorhandenen Inschriften und Inschriftenreste beseitigt. Im Folgenden wird das Retabel nach den während der Restaurierung von 1903 entstandenen Fotos beschrieben. Diese Fotos zeigen einen Zustand, bei dem in den Flügeln die untere Rahmenleiste, die Standbretter der Figuren und die Schriftleiste am rechten Flügel unten bereits ersetzt waren, an der Fassung aber noch nichts verändert war.

Im Mittelschrein von links nach rechts: Johannes der Täufer mit Lamm auf einem Buch, Anna Selbdritt mit Maria auf dem linken Arm (der fehlende rechte Arm mit dem Jesuskind erst in der zweiten Restaurierung ergänzt), der Evangelist Johannes mit Kelch und Maria Magdalena mit Salbgefäß; die Inschriften A in den Nimben, glatt vor punziertem Hintergrund. Auf der Rückwand Reste eines gemalten und punzierten Vorhanges mit goldenem Granatapfeldekor, oben mit Ringen über einer Stange hängend, unten in Fransen auslaufend. Im linken Flügel oben Philipp, Johannes mit Kelch und Thomas4) mit den Beischriften B auf der Leiste darunter; unten Simon mit Keule, Matthäus mit Schriftrolle sowie Thaddäus5) mit den Beischriften C. Im rechten Flügel oben Matthias, Petrus und Jakobus d. J. mit Walkerstange6) mit den Beischriften D, unten Bartholomäus,7) Jakobus d. Ä. mit Pilgerhut und Andreas mit Kreuz; dazu die Beischriften E. Die Beischriften B–E waren gemalt. Als Worttrenner Punkte und florale Muster.

Auf den Außenseiten der Flügel befanden sich bereits 1903 fast völlig zerstörte Gemälde, von denen nur noch das Martyrium des heiligen Veit auf dem rechten Flügel zu erkennen war;8) heute eine glatte, neuere Rückwand. Ein Aufsatz mit einer Kreuzigungsgruppe, der zu Anfang des 20. Jahrhunderts auf dem Retabel stand, ist heute gesondert im Gemeinderaum aufgestellt.9)

Inschriften nach Fotos im NLD Hannover und Kdm. (E).

Maße: H.: 153 cm; B.: 146 cm (Mittelschrein), 72–72,5 cm (Flügel).

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis (A), gotische Minuskel mit Versalien (B–E).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Jörg H. Lampe) [1/7]

  1. A

    [– – –] // [– – – .]NN[A] SVLFD[– – –]a) // [– – –] // SANCTA M[A]RIA MADDA[LENA]b)

  2. B

    S(anctus) Philippus · S(anctus) · Johannes · S(anctus) · Thomas ·c)

  3. C

    S(anctus) · Symon ·d) S(anctus) · M[a]tteus ·e) S(anctus) · [T .]d[. .]v[.] ·f)

  4. D

    S(anctus) Mathias · S(anctus) . Petrus · S(anctus) · Jacobus ·c)

  5. E

    <S(anctus) Bartholomeus S(anctus) Jacobus S(anctus) Andreas>g)

Kommentar

Die frühhumanistische Kapitalis der Nimbeninschriften A zeichnet sich durch schmale Buchstaben mit konischer Verbreiterung der Schaftenden aus. Außerdem: retrogrades N mit Ausbuchtung am Schrägschaft, offenes unziales D, weit offenes C und flachgedecktes A mit gebrochenem Mittelbalken; offenes R mit kleinem Bogen, in MARIA ein byzantinisches M.

Das Retabel wird mit der Werkstatt des Johannes-Meisters in Hildesheim in Verbindung gebracht.10) Neben den ähnlichen Buchstabenformen der frühhumanistischen Kapitalis11) sprechen dafür auch die rot und blau ausgefüllten Nimben. Der dem Johannes-Meister zugeschriebene Siebenschmerzenaltar in Eime ist ebenfalls mit Beischriften auf Schriftbrettern unterhalb der Figuren versehen; auffallend sind die teilweise sehr ähnlichen floralen Worttrenner. Die Versalien weisen dasselbe Gestaltungsprinzip der Linienverdoppelung auf, sie fallen allerdings in Gittelde ausladender aus.12)

Textkritischer Apparat

  1. Wahrscheinlich zu ergänzen: [SANCTA A]NN[A] SVLFD[REDDE]; nach dem D vom Kopf der Figur verdeckt.
  2. MADDA[LENA]] Die Buchstaben ab dem zweiten A vom Kopf der Figur verdeckt.
  3. Nach dem Foto der restaurierten Fassung von 1903; das Foto des vorherigen Zustandes lässt die Versalien und einzelne Buchstaben erkennen, die die restaurierte Fassung bestätigen.
  4. S(anctus) · Symon ·] Nach Foto des unrestaurierten Zustandes.
  5. S(anctus) · M[a]tteus ·] Nach Foto des unrestaurierten Zustandes; S. Mateus Kdm.
  6. S(anctus) · [T .]d[. .]v[.] ·] S. Taddeus Kdm. Steinacker führt für die Lesung neben der Füllung der Liste der Apostel „Buchstabenreste“ an; Kdm. Kreis Gandersheim, S. 290.
  7. Nach Kdm.; das Foto des restaurierten Zustandes im NLD schneidet die Schriftleiste ab. Das Foto des unrestaurierten Zustandes lässt hier keinerlei Schriftreste erkennen, da das Brett bereits ersetzt war.

Anmerkungen

  1. NLD Hannover, IFDN BS 12 650 (Aufnahmen vor und nach Restaurierung 1903). Daraus sind zwei Fotos abgedruckt in Kdm. Kreis Gandersheim: der Mittelschrein im Zustand vor der Restaurierung als Tafel XVIII (oben), das gesamte Retabel nach der Restaurierung als Abb. 158; ebd., S. 290. Steinacker hat das frisch restaurierte Retabel gesehen und diese Fassung in Kdm. ediert.
  2. Vgl. Kdm. Kreis Gandersheim, S. 289.
  3. Biegling, Gittelder Kirchengeschichte, S. 39f.
  4. Philipp heute fälschlich mit Winkelmaß; in der Mitte heute die Figur des Petrus (vgl. Anm. 6), fälschlich mit einem Messer in der linken Hand; Thomas heute fälschlich mit Kreuzstange; die veränderte Figur des Petrus wird heute als Bartholomäus angesehen: Biegling, Gittelder Kirchengeschichte, S. 39.
  5. Matthäus heute zusätzlich mit langer Stange (Messstab?), Judas Thaddäus mit ergänzter Schwertklinge; der Knauf war erhalten. Simon wird heute als Matthias angesehen; Biegling, Gittelder Kirchengeschichte, S. 39.
  6. Matthias heute fälschlich mit Säge; in der Mitte heute statt Petrus die Figur des Johannes (vgl. Anm. 4); die Walkerstange des Jakobus d. J. zu einem fast mannshohen Beil verrestauriert. Matthias wird heute als Simon angesehen; Biegling, Gittelder Kirchengeschichte, S. 39.
  7. Die erste Figur (Bartholomäus) heute fälschlich mit Schlüssel, daher als Petrus angesehen: Biegling, Gittelder Kirchengeschichte, S. 39.
  8. Kdm. Kreis Gandersheim, S. 290.
  9. Biegling, Gittelder Kirchengeschichte, S. 40.
  10. Stuttmann/von der Osten, Bildschnitzerei, S. 57 („gröbere“ Arbeit).
  11. Vgl. DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 314.
  12. Vgl. Stuttmann/von der Osten, Bildschnitzerei, S. 58f. (Nr. 41) u. Tafel 68. DI 88 (Lkr. Hildesheim), Nr. 114.

Nachweise

  1. NLD Hannover, Fotos IFDN BS 12 650.
  2. Kdm. Kreis Gandersheim, S. 289f. (mit Tafel XVIII oben).

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 45(†) (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0004503.