Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 28† Kloster Walkenried, ehem. Abtshaus 1488

Beschreibung

Wandgemälde im Untergeschoss des früheren Abtshauses. Letzners Walkenrieder Chronik zufolge wurden 1488 in der großen Stube unter dem Saal der Abtei, die seiner Ansicht nach schon zu Zeiten des Klosters als Schulraum (Lectorium) genutzt wurde, Bilder von Kirchenvätern und Gelehrten des Mittelalters an die Wände gemalt und mit Beischriften versehen: Inschrift A zum Apostel Paulus, Inschrift B zu Augustinus und Inschrift C zu Thomas von Aquin. Außerdem befanden sich dort die Bilder des Johannes Chrysostomos, Anselms von Canterbury, des Kardinals Hugo von Saint-Cher und andere mher.1)

Inschriften nach Letzner, Chronica.

  1. A

    Paulus ex cap 9 ad Roma(nos): Non volentis neque currentis sed miserentis est Dei2)

  2. B

    Augustinus: Obediens Christo vendat quae possidet vt mundum sibi crucifixum habeat vt sit omnino pauper et diuesa) in Christo Jesu Domino3)

  3. C

    Thomas de Aquino: Status almae Religionis est quoddam exercitium perveniendi ad perfectionem4)

Übersetzung:

Paulus im 9. Kapitel an die Römer: Es liegt nicht an jemandes Wollen oder Streben, sondern an Gottes Erbarmen. (A)

Augustinus: Wer Christus gehorcht, verkaufe, was er besitzt, damit ihm die Welt als für ihn gekreuzigt gelte, so dass er völlig arm ist und reich in Christus Jesus, dem Herrn. (B)

Thomas von Aquin: Der segenspendende Ordensstand ist ein gewisses Einüben der Fähigkeit, zur Vollkommenheit zu gelangen. (C)

Kommentar

Wie in vielen anderen Fällen auch wurde die als Zitat aus einer Predigt des afrikanischen Bischofs Fulgentius von Ruspe (462/68–533) identifizierte Inschrift B als Zitat des Augustinus angesehen. Die Zusammenstellung der Inschriften B und C ist auffallend, weil das Thomas-Zitat im Zusammenhang einer in der Mitte des 13. Jahrhunderts scharf geführten Debatte um Armut und die Rolle des Mönchtums entstanden ist, in der der Aquinate gegen eine Verabsolutierung des Armutsgebotes, wie sie in (B) zum Ausdruck kommt, argumentiert hat. Die Befugnis der Orden zu Lehre und Predigt hat er damit begründet, dass ihre Aufgabe das Streben nach Vervollkommnung sei.5) Auch dass in einem Zisterzienserkloster gegen Ende des 15. Jahrhunderts ein Zitat des Dominikaners Thomas angebracht wurde, ist bemerkenswert. Über der Tür zum Mönchsrefektorium im Südflügel des Kreuzgangs fand sich die inhaltlich verwandte Inschrift Nr. 31.

Das Abtshaus (die sog. „Abtei“) schloss sich südlich an die Infirmerie (Krankenstube) des Klosters im „Langen Haus“ an, das in der Verlängerung des südlichen Kreuzgangsarms bis an die heute allein stehende Krankenkapelle am Ostrand des Klostergeländes reichte. Von 1557 bis zum Umbau des Sommerrefektoriums im Jahr 1596 (Nr. 118) fand in dem Raum der Unterricht der späteren Klosterschule statt. Das Gebäude wurde 1728 oder etwas später abgebrochen.6)

Textkritischer Apparat

  1. diues] deues Letzner, Chronica; zur Korrektur vgl. Anm. 3; debilis Verbesserungsvorschlag in Kdm.

Anmerkungen

  1. Letzner, Walkenrieder Chronik, S. 80f.
  2. Rm. 9,16.
  3. Fulgentius Ruspensis, Sermo primus: De dispensatoribus Domini, Nr. 5: „Oboediens Christo uendat quae possidet et eleemosynam det, ut de terra cor ad caelum leuet, ut auaritiam calcet, ut ad perfectionis culmen tota mentis intentione festinet, ut non sit sollicitus quae sunt mundi, sed quae sunt Domini; ut mundum sibi crucifixum habeat, seque mundo crucifixum exhibeat; ut sit omnino pauper in saeculo et diues in Christo“. Vgl. Sancti Fvlgentii episcopi Rvspensis opera, cvra et studio J[ohannis] Fraipont, Turnhout 1968 (CCSL 91A), S. 892. Die Predigt des Fulgentius orientiert sich bis in den Wortlaut an Paulus (Gal. 6,14): per quem mihi mundus crucifixus est et ego mundo.
  4. Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologica, IIa-IIae, q. 186 a. 3 co [46434]: Respondeo dicendum quod, sicut supra dictum est, status religionis est quoddam exercitium et disciplina per quam pervenitur ad perfectionem caritatis; ähnlich ebd., IIa-IIae, q. 186 a. 7 co [46474]; IIa-IIae, q. 188 a. 1 co [46570]; http://www.corpusthomisticum.org/sth3183.html (27.02.2018).
  5. Vgl. Ulrich Horst, Bischöfe und Ordensleute. Cura principalis animarum und via perfectionis in der Ekklesiologie des hl. Thomas von Aquin, Berlin 1999, bes. S. 119–128; vgl. auch ebd., S. 25–27 u. 88–92.
  6. Wagnitz/Reinboth, Klosterschule, S. 55f. Vgl. Letzner, Walkenrieder Chronik, S. 80f. Steinacker hatte Letzners „große Stube“ zu Unrecht im Krankensaal des „Langen Hauses“ lokalisiert; Kdm. Kreis Blankenburg, S. 336f.

Nachweise

  1. Letzner, Chronica, Bl. 27r.
  2. Kdm. Kreis Blankenburg, S. 337 (nach Letzner, Chronica).
  3. Letzner, Walkenrieder Chronik, S. 81.

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 28† (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0002802.