Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 15 Herzberg, St. Nicolai 2.–3. V. 14. Jh.

Beschreibung

Glocke. Bronze. Sog. „Carolina“. Ausladender Wolm mit steil ansteigender Flanke. Die erhaben gegossene, konturierte Inschrift verläuft zwischen Doppelstegen unterhalb der Schulter. Die Worttrenner sind kreisförmig. Die Glocke wurde im Juni 1931 MUSIKALISCH VÖLLIG ÜBERPRÜFT (…), AKUSTISCH UMGEARBEITET und ERGÄNZT, wie eine (über EGO) auf der Haube mit Stempeln eingehauene Inschrift mitteilt.

Maße: H.: 102 cm; Dm.: 119 cm; Bu.: 4 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Jörg H. Lampe) [1/4]

  1. + FVNERA · DEPLANGOa) · TEMPESTATES · EGO · FRANGO ·

Übersetzung:

Begräbnisse beweine ich, Unwetter breche ich.

Versmaß: Hexameter, zweisilbig leoninisch gereimt.

Kommentar

Die Umrisslinien der konturiert ausgeführten Buchstaben sind in den Mantel geritzt. Die Schaft-, Balken- und Bogenenden sind keilförmig verbreitert; die Linien gehen an den Schaftenden teilweise in Bögen oder Schlaufen über. T und E wechseln zwischen der kapitalen und der runden bzw. unzialen Form, wobei beim E die kapitale, beim T die runde überwiegt. F ist rund, S wird variiert durch eine unterschiedliche Ausprägung der Bogenschwellung. A ist immer flachgedeckt, der Mittelbalken zumeist rechtsschräg, der linke Schrägschaft einmal (FVNERA) geschwungen. Der Schrägschaft des retrograden N ist eingezogen. An P und R ein weiter Bogen, der am R offen ist. O, D, das eingerollte G und das geschlossene unziale E weisen dieselbe rautenförmige Grundform mit eingestellten senkrechten Linien auf. Das offene Bogenende des unzialen D ist durchgebogen. An den Schäften von kapitalem E, P und R teilweise nach links gerichtete Halbnodi.

Konturierte Majuskelbuchstaben, die vor dem Guss in die Form geritzt wurden, gibt es auf Glocken von der Mitte des 13. bis nach der Mitte des 14. Jahrhunderts.1) Die Buchstabenformen, insbesondere die weiten Bögen an P und R sowie das runde F, deuten auf eine Entstehung um die Mitte des 14. Jahrhunderts hin.

Die Inschrift variiert einen Glockenspruch, der in der Form vivos voco, defunctos plango, fulgura frango häufig vorkommt.2) Auf einer Glocke in Harsewinkel (zwischen Warendorf und Gütersloh, Nordrhein-Westfalen) von 1354 erscheint er in der Form: Funera deplango, plebe(m) voco, fulgura frango.3) Von ‚Stürmen‘ ist auch die Rede auf einer um 1300 entstandenen Glocke in Esperstedt (Saalekreis, Sachsen-Anhalt).4) Zum Schutz vor den gefürchteten Dämonen des Wetters durch die geweihten Glocken vgl. Nr. 14.

Die Glocke könnte ihrer Größe und Qualität nach aus dem St.-Blasius-Kloster in Northeim stammen, aus dem im ersten Drittel des 17. Jahrhundert eine Glocke nach Herzberg gelangt sein soll.5)

Textkritischer Apparat

  1. DEPLANGO] DEPLORO EGO Kleinschmidt.

Anmerkungen

  1. Vgl. Schilling, Glocken, S. 138–143.
  2. Vgl. Walter, Glockenkunde, S. 185–187. Im südlichen Niedersachsen: DI 19 (Stadt Göttingen), Nr. 29 (1402), 31 (1408); DI 96 (Lkr. Northeim), Nr. 41 (1445).
  3. Josef B. Nordhoff (Bearb.), Die Kunst- und Geschichts-Denkmäler des Kreises Warendorf, Münster 1886 (Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, Bd. 2), S. 162.
  4. Vgl. DI 64 (ehem. Lkr. Querfurt), Nr. 19: Sit tempestatum per me genus omne fugatum: ‚Jede Art von Stürmen sei durch mich vertrieben‘.
  5. G[ustav] J[ulius] Vennigerholz, Beschreibung und Geschichte der Stadt Northeim in Hannover und ihrer nächsten Umgebung, Bd. 1, Northeim 1894 (Ndr. 1980), S. 47.

Nachweise

  1. Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 105.
  2. Kleinschmidt, Chronik, S. 42.
  3. Fragebogen von 1917; Westfälisches Glockenmuseum in Gescher: Unterlagen des Provinzialkonservators der Provinz Hannover, Konvolut Kreis Osterode.

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 15 (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0001505.