Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 11† Osterode, St. Aegidien 1349 od. 1350?

Beschreibung

Glocke. Zweizeilige Umschrift. Die Glocke, die erst nach dem Stadtbrand vom 1. September 1545 im Jahr 1547 zusammen mit Nr. 12 auf Bitten des Rates aus St. Marien in die Aegidienkirche kam,1) wurde am 7. Mai 1882 beim Brand des Kirchturms zerstört.2) Als Schriftart ist nach dem Druckbild bei Mithoff die gotische Majuskel anzunehmen.

Inschrift nach Mithoff.

  1. + O · REX · GLORIE (CHRIST)Ea) · VENI · CVM · PACE · AVE · MARIA · / + CONFLAVIT · IOHANb) · ME · DVM · STETITc) · IVBILEVSd) · AN(NVS)

Übersetzung:

O König der Ehren, Christus, komm mit Frieden. Sei gegrüßt, Maria. Gegossen hat mich Johann, als das Heilige Jahr anstand.

Versmaß: Archilochius (CONFLAVIT … AN(NVS)).

Kommentar

Wegen der mutmaßlichen Verwendung der gotischen Majuskel kommen die Jubeljahre 1350, 1390 oder 1400 infrage. Eine Bezeichnung des ersten, von Papst Bonifaz VIII. erst im Februar 1300 verkündeten Jubeljahrs als bevorstehend ist weniger wahrscheinlich;3) nach 1400 war die gotische Majuskel im Allgemeinen nicht mehr im Gebrauch. Im Jahr 1349 oder 1350 könnte der Gießer Johann von Halberstadt gewesen sein, der 1348 in Göttingen eine Glocke für St. Johannis und 1350 in Hildesheim eine für den Dom goss.4) conflare als Ausdruck für „gießen“ findet sich bereits im frühen 11. Jahrhundert in einer bernwardinischen Inschrift auf zwei Leuchtern.5)

Das Gebet O rex glorie veni cum pace wurde seit dem frühen 13. Jahrhundert zu der wohl häufigsten Glockeninschrift.6) Im südlichen Niedersachsen kommt es in den Jahrzehnten um 1350 mehrmals vor, nämlich auf Glocken in Trögen (nach 1332),7) Bühren (1. H. 14. Jh.) und Renzhausen (1355).8) Das Gebet leitet sich von dem liturgischen Formular der Kirchweihe her, die der Glockensegnung nahesteht, weil beide liturgischen Handlungen dem Bischof vorbehalten waren. Rex glorie wird in Ps. 23,7–10 als Ehrentitel Gottes gebraucht und ist zusammen mit anderen Elementen dieses Psalms in eine Wechselrede zwischen Bischof und Diakon eingegangen, die beim Einzug des Bischofs während der Kirchweihe gesprochen wurde.9)

Textkritischer Apparat

  1. Überlieferung: XPE, Mithoff, M[eywerth]/S[pangenberg], Sp. 196 (mit Kürzungsstrich).
  2. IOHAN] Unziales H gesetzt bei M[eywerth]/S[pangenberg], Sp. 197.
  3. STETIT] STETI M[eywerth]/S[pangenberg], Sp. 197.
  4. IVBILEVS] JVBILVS M[eywerth]/S[pangenberg], Sp. 197.

Anmerkungen

  1. Herzog Philipp d. Ä. an Schultheiß, Bürgermeister und Rat von Osterode, 15. Mai 1547; StadtA Osterode, Bestand 1 O Nr. 1, vol. 1 (Bl. 7). Vgl. Eder, Glocken, S. 35, bes. Anm. 2 (S. 41).
  2. Eder, Glocken, S. 35f. Mühlefeld, Osteroder Kirchenglocken, S. 15.
  3. Mühlefeld bezieht die Angabe auf das Jubeljahr 1300; Mühlefeld, Osteroder Kirchenglocken, S. 15.
  4. Vgl. DI 19 (Stadt Göttingen), Nr. 6; DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 91.
  5. DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 5.
  6. Vgl. Walter, Glockenkunde, S. 162–167. Schilling, Glocken, S. 133–144 u. ö.
  7. Vgl. DI 96 (Lkr. Northeim), Nr. 16.
  8. Vgl. DI 66 (Lkr. Göttingen), Nr. 5 u. 12.
  9. Die Ausführungen zur Textgeschichte folgen dem Kommentar von Christine Wulf zur Glocke in Nettlingen von 1302; vgl. DI 88 (Lkr. Hildesheim), Nr. 6. Vgl. auch Poettgen, Theologie früher Glockeninschriften, S. 75f.

Nachweise

  1. Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 170.
  2. M[eywerth]/S[pangenberg], Beschreibung, Sp. 196f.
  3. Mühlefeld, Osteroder Kirchenglocken, S. 15 (nach Mithoff).
  4. Eder, Glocken, S. 35 (nach Mithoff).

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 11† (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0001107.