Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 3 Kloster Walkenried, Kreuzgang 1291 od. später

Beschreibung

Grabplatte für Werner Letgast. Stein. Aufgestellt im westlichen Arm des Kreuzgangs, als erste von Süden. Im Flachrelief ein stehender Ritter im Kettenhemd, darüber ein knielanger Mantel. Die erhobene Rechte hält den Schaft einer Fahne oder einer Lanze, die Linke einen dreieckigen Schild mit Wappen, hinter dem die Schwertscheide nach unten hinausragt. Die vertiefte Inschrift zwischen Linien umlaufend; als Worttrenner kreisförmige Hochpunkte. In der Mitte der unteren Schmalseite ein Kreuz, das den Verswechsel anzeigt. Der obere Teil der Platte mit etwa zwei Dritteln des Kopfes (ab der Nase) und der oberen Schriftleiste ist abgeschlagen, das untere Drittel der Platte ist durch Abplatzungen leicht beeinträchtigt, die durch früher aufsteigende Feuchtigkeit verursacht wurden. Die Platte lag im 19. Jahrhundert (1859) im Kapitelsaal, stammte ursprünglich aber vermutlich aus der Klosterkirche. Um 1870 wurde sie im Kreuzgang aufgestellt.1)

Maße: H.: 172 cm; B.: 78 cm; Bu.: 5 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Jörg H. Lampe) [1/5]

  1. [– – –] / [– – –] [+] · MORTVUS · I(N) · (CHRIST)Oa) · MILES · TUMVLO · IACET · / ISTO · + · LETH/GASTb) · WERNHERVS · CUI · NO(N) · SIS · (CHRIST)Ec) [– – –]d)

Übersetzung:

… gestorben in Christus liegt in diesem Grab der Ritter Werner Letgast. Sei gegen ihn nicht (streng), Christus.

Versmaß: Zwei Hexameter, zweisilbig leoninisch gereimt.

Wappen:
Letgast2)

Kommentar

Die Platte zeichnet sich durch eine formbewusst gestaltete Schrift mit dreieckigen Sporen an den Schaft- und Bogenenden aus, die bei M, unzialem E und C, aber auch bei V, U sowie verschränktem W zum Abschlussstrich vereinigt sind. Die Schäfte von I, L und unzialem M sind teilweise mit einem Nodus versehen; das zweite E in WERNHERVS zeigt einen Nodus am Balken. Bogenschwellungen sind vorhanden, besonders ausgeprägt am Balken des runden T und der Cauda des R. Rundes N, unziales H mit hoch angesetztem Bogen und eingerolltes G. Die Cauda des R ist gebogen, der rechtsschräge Schaft des X ist geschwungen. Neben einem flachgedeckten A mit parallelen Schäften in LETH/GAST kommt auch eine schmalere Variante mit geschwungenem linken Schaft in IACET vor. V und U im selben Wort werden abgewechselt, E ist immer unzial. Neben dem zumeist runden T in ISTO auch ein kapitales.

Die Familie Letgast (Lethgast, Lethegast, Ledgast, Leitgast) lässt sich zwischen 1230 und 1366 im Raum zwischen Osterode, Gieboldehausen (Lkr. Göttingen) und Northeim nachweisen. Die Angabe, dass sie Burgmannen auf der welfischen Burg Lichtenstein gewesen seien, findet sich nur bei Letzner, der sie als Lechgäste bezeichnet.3) Wo sie in Urkunden in Erscheinung treten, ist dies im Umkreis der Grafen von Scharzfeld und Lauterberg (1230 u. ö., 1310), der Edelherren von Plesse (1231, 1288) und von Meinersen (1295), der Klöster in Pöhlde (1241), Katlenburg, St. Jacobi in Osterode (1256, 1258, 1310, 1366), Gandersheim (1356) und Walkenried sowie der welfischen Herzöge (1248, 1289).4)

Der älteste bekannte Vertreter ist Detmar (Tetmar) Letgast, der 1230 und 1231 genannt wird.5) 1241 wird er als Detmar d. Ä, Detmarus antiquus dicto Letgast, bezeichnet.6) Der anzunehmende jüngere Namensträger bezeugt 1256 und 1258 Rechtsgeschäfte zugunsten des Klosters St. Jacobi in Osterode sowie 1259 zugunsten des Stifts Katlenburg.7) In den Jahren 1257 (Thitmarus Lethgast), 1258 (Ditmarus Leythgast) und am 4. März 1260 (Dithmarus Lethgast) bewegt er sich im Walkenrieder Umkreis.8) Wohl noch im Jahr 1260 kommt es zum Streit um das Begräbnis dieses Dietmar. Das Kloster als Begräbnisort ausgesucht hatte sich bereits 1238 Werner de Salza (locum sepulturae sibi eligens).9) Vermutlich tat dies auch Dietmar Letgast. Seine Verwandten beklagten sich dagegen, dass die Mönche den nach dem 4. März 1260 Verstorbenen trotz ihres schriftlichen Widerspruchs begraben hatten.10)

1269 verkauft Werner Letgast (dictus Ledgast) dem Stift Katlenburg den Zehnten in Brunteshusen, den er von Heinrich von Homburg zum Lehen hatte.11) Dieses Rechtsgeschäft wird in weiteren Urkunden aus den Jahren 1271, 1273,12) und 1291 bestätigt. 1291 verzichten die Ehefrau und die Erben des Wernher[us] de Reualia genannt Letgast, möglicherweise kurz vor dessen Tod, auf ihre Ansprüche auf den Zehnten in Brunteshausen gegen eine Zahlung von 4 Mark.13) Der Namensbestandteil de Reualia geht auf dessen Lebensgeschichte zurück: In Reval (Tallinn, Estland) gab es einen dänischen Hauptmann (capitaneus, in der jüngeren dänischen Literatur wird das Amt als ‚Vizekönig‘ aufgefasst) namens Letgast, der zusammen mit Bischof Hermann von Oesel (amt. 1262 bis 1285) 1275 oder 1285 einen Grenzberitt durchführte.14) Es liegt nahe, den am 16. November 1291 noch als lebend anzunehmenden Werner de Revalia mit dem auf der Grabplatte bezeichneten Verstorbenen zu identifizieren. Dieser wird nach seiner anzunehmenden Rückkehr aus Estland erstmals wieder Anfang 1288 als Wernherus miles dictus Leytgast in einer Urkunde genannt.15) Am 15. Juli 1289 bezeugt er (dictus Ledgast) in Höxter eine Urkunde Herzog Heinrichs von Braunschweig-Grubenhagen; er wird dort direkt nach dem Cellerar des Klosters Walkenried aufgeführt und vom Herzog als fidelis noster bezeichnet.16) In der genannten Urkunde von 1291 heißt er dann in Erinnerung an seinen Aufenthalt in Estland Wernher[us] de Reualia genannt Letgast.

Anders als die ältere Literatur (Max, Mülverstedt) annimmt, wird der Namenszusatz de Revalia in der Folge nicht willkürlich verwendet, sondern offenbar nur in der Linie der Nachkommen des Ende 1291 oder bald danach gestorbenen Werner Letgast – und zwar als Hauptname in der Form de Revele. Eine andere Linie nennt sich ausschließlich Letgast, was besonders deutlich im Jahr 1341 wird (s. u.), als Vertreter beider Zweige in einer Urkunde vorkommen.

Diese Linie wird vertreten von Günzel Letgast (Guntcelinus dictus Lethgast), der 1288 Zeuge bei einem Rechtsgeschäft ist.17) 1294 agiert er (Ledhgast) zusammen mit dem herzoglichen Vogt in Einbeck,18) 1295 ist er beteiligt an einem Bündnis, das Angehörige welfischer Ministerialenfamilien mit den Edelherren von Meinersen gegen Herzog Heinrich I. schlossen.19) Im Jahr 1300 überträgt Graf Heinrich von Blankenburg die Lehnsherrschaft über das Lehen des Ritters Günzel Letgast in Lindau an Gottschalk von Plesse.20) Ende des Jahres 1301 bezeugt Günzel eine Schenkung zugunsten des Deutschen Ordens.21) Die ausführlichste Nachricht über ihn und seine Familie stammt aus dem Jahr 1303. Am 31. August stiftet Günzel Letgast zusammen mit seinen Söhnen Hans und Günzel den Adelssitz in Förste für einen Kapellenbau zur Ehre ‚Unserer Lieben Frauen‘ und des heiligen Martin. Der Pfarrer von Nienstedt, Johann von Hardenberg, ihr Verwandter (vnse ohme), und alle seine Nachfolger sollen dort zweimal in der Woche die Messe lesen zum Gedenken an die Verstorbenen aus den Familien der Letgaste und von Esplingerode.22) 1310 ist er (oder sein gleichnamiger Sohn) Zeuge für Graf Otto von Lauterberg;23) zwei Jahre später verkauft Günzel eine Wiese bei Hattorf.24) 1311 und 1313 erscheint er als Zeuge im Umkreis des Klosters Katlenburg.25)

Die andere Linie tritt erst im Jahr 1310 wieder in Erscheinung. Der Knappe (famulus) Wernherus dictus de Revele ist anwesend, als zwei Adelige auf Ansprüche an vier Hufen in Engelade (bei Seesen, Lkr. Goslar) zugunsten des Klosters Walkenried verzichten.26) Bei der Bestätigung dieses Verzichts im Jahr 1320 hat derselbe einen Sohn namens Gunzelin.27) 1341 ist bei einer Erklärung der Brüder Dietrich und Werner de Revele ein Zeuge der vermutlich bereits 1326 als Knappe genannte28) Detmar Leytgast.29) Der letztere, der Anfang 1355 ein Rechtsgeschäft zugunsten des Stifts Katlenburg bezeugt,30) dürfte auch 1356 beim Verkauf des Dorfes Altgandersheim an das Stift Gandersheim zugegen gewesen sein.31) Die letzte Erwähnung ist Dethmarus de Revele im Jahr 1366.32) Dieser könnte identisch sein mit Dietrich de Revele in der Urkunde von 1341, aufgrund der Namenskonstanz aber sicher nicht mit dem Zeugen Detmar Leytgast von 1341, 1355 und 1356.

Insgesamt ist es plausibel, die Grabplatte dem vermutlich Ende 1291 gestorbenen Werner Letgast zuzuschreiben, der 1275 oder 1285 in Reval als capitaneus genannt wurde. Der Schaft in seiner rechten Hand wird dann eher zu einer Fahne als zu einer Lanze gehört haben. Der zweite Namensträger, der 1310 rechtsfähige, 1320 verheiratete Vater eines Sohnes, der in beiden Fällen nur als de Revele erscheint, kommt für die Grabplatte nicht infrage. Auch die äußere Gestalt der Platte und die Formen der Schrift sprechen nicht für eine Anfertigung nach 1320.

Textkritischer Apparat

  1. Befund: XPO mit Kürzungsstrich über der Zeile.
  2. LETH/GAST] Das eingerollte G in der Ecke schräggestellt. Lethegast Kdm.
  3. Befund: XPE mit Kürzungsstrich.
  4. [– – –]] SEUERVS ergänzt, aus inhaltlichen und metrischen Gründen, Mülverstedt; danach Kdm. (Severus), Reinboth (SEVERUS).

Anmerkungen

  1. Reinboth, Bestattungen, S. 8 u. 19.
  2. Wappen Letgast (dreimal geteilt). Vgl. die Abbildung des Siegels mit der Umschrift + WERNHERVS LETGAST bei Johann Christoph Harenberg, Historia Ecclesiae Gandershemensis, Hannover 1734, Tafel XXXII, Nr. XVIII; angeblich aus dem Jahr 1280: ebd., S. 1563. Klössel-Luckhardt, Siegel des Urkundenfonds Walkenried, A 401, S. 683f. (Werner de Revele, 1320); vgl. auch UB Kloster Osterode, Nr. 102 (1312). Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 6, Abt. 6, S. 97f. (s. v. „Leutegast“) u. Tafel 62.
  3. Vgl. Rehtmeier, Braunschweig-Lüneburgische Chronica, Thl. I, S. 547 (Text Letzners).
  4. Nachweise in den folgenden Anm.
  5. UB Hochstift Hildesheim, Bd. 2, Nr. 283 u. 284 (1230, 18. Mai). UB Plesse, Nr. 89 u. 90 (1231, 21. Januar).
  6. Zitiert bei Leuckfeld, Antiquitates Poeldenses, S. 50.
  7. UB Kloster Osterode, Nr. 26, 27 u. 31. UB Katlenburg, Nr. 13 u. 14.
  8. UB Walkenried, Bd. 1, Nr. 358, 368 u. 380.
  9. Vgl. UB Walkenried, Bd. 1, Nr. 232.
  10. UB Walkenried, Bd. 1, Nr. 377; am 4. März 1260 lebte Dietmar Letgast noch; ebd., Nr. 380.
  11. UB Katlenburg, Nr. 29. Ebenso in Max, Grubenhagen, Bd. 2, S. 368; ebd., Bd. 1, S. 513 nennt er ihn bereits für 1269 irrtümlich „Werner de Revalia, genannt Leitgast“; bei Mülverstedt: „Wernerus de Revalia dictus Lietgast“; Mülverstedt, Walkenrieder Grabsteine, S. 52.
  12. UB Katlenburg, Nr. 37 (Wernherus Leygast), 47 (Wernherus Letgast) u. 48 (dictum Leitgast). Vgl. auch ebd., Nr. 60, S. 121, Z. 5 von unten.
  13. UB Katlenburg, Nr. 75.
  14. Liv-, Esth- und Curländisches Urkundenbuch nebst Regesten, Bd. 3, hg. von Friedrich Georg von Bunge, Reval 1857, Nachträge Nr. CDXXXIXb, Sp. 71–74; Regesten, Nachträge, Nr. 498b, S. 29f. In dem Kommentar zum Regest (ebd., S. 30) begründet Bunge, warum er die Entstehung der Urkunde in den Jahren 1274/75 annimmt; für 1275 bis 1281 sind andere Amtsinhaber bekannt. Im Internet kursierende Listen der dänischen Vizekönige in Reval setzen seine Amtszeit (nach derselben Urkunde) in das spätestmögliche Jahr 1285.
  15. UB Plesse, Nr. 320 (1288, 25. Februar). Am 21. Januar 1289 bezeugt er eine Katlenburger Urkunde; UB Katlenburg, Nr. 67 (Wer<n>herus Ledgast miles).
  16. Westfälisches Urkunden-Buch, Bd. 4,3: Die Urkunden des Bisthums Paderborn vom J. 1201–1300. Die Urkunden der Jahre 1251–1300, bearb. von Heinrich Finke, Münster 1894, Nr. 2029.
  17. UB Hochstift Hildesheim, Bd. 3, Nr. 812.
  18. NLA HA Cal. Or. 100 Einbeck St. Marien, Nr. 3; Druck: Harland, Einbeck, Bd. 1, Urkunden Nr. 1, S. 333f.
  19. Peter Przybilla, Die Edelherren von Meinersen. Genealogie, Herrschaft und Besitz vom 12. bis zum 14. Jahrhundert, aus dem Nachlaß herausgegeben von Uwe Ohainski und Gerhard Streich, Hannover 2007 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, Bd. 236), S. 338 (1295, 15. Mai); die Quelle befindet sich laut Przybilla im Staatsarchiv Marburg, Urkunden von Meinersen.
  20. UB Plesse, Nr. 368.
  21. UB Goslar, Bd. 3, Nr. 5.
  22. Max, Grubenhagen, Bd. 2, Nr. 30.
  23. UB Kloster Osterode, Nr. 101.
  24. Ebd., Nr. 102 (1312, 29. November); sein Siegel trägt die Umschrift: S(IGILLVM) GVNCELINI […] D(I)C(T)I LETG[A]ST).
  25. UB Katlenburg, Nr. 123 (Guncellinus dictus Letgast miles) u. 132 (Gunselin[us] mil[es] dict[us] Lethgast).
  26. UB Walkenried, Bd. 2, Nr. 873 u. 874.
  27. Ebd., Nr. 960. Das Siegel trägt die unvollständig erhaltene Inschrift WERNER [– – –]T, die wahrscheinlich zu [LETGAS]T zu ergänzen ist; Klössel-Luckhardt, Siegel des Urkundenfonds Walkenried, A 401, S. 683f. Möglicherweise führte Werner de Revalia ein älteres Siegel weiter.
  28. UB Katlenburg, Nr. 175 u. 177.
  29. UB Katlenburg, Nr. 220.
  30. UB Katlenburg, Nr. 229.
  31. Harenberg, Historia Ecclesiae Gandershemensis (wie Anm. 2), S. 837f. (Nr. 36); UB Goslar, Bd. 4, Nr. 545.
  32. UB Kloster Osterode, Nr. 140; UB Katlenburg, Nr. 266.

Nachweise

  1. Mülverstedt, Walkenrieder Grabsteine, S. 49 u. Tafel V.
  2. NLD Hannover, Foto IFDN BS 14529 (um 1909); https://www.bildindex.de/document/obj32055163?part=0&medium=mi09057i17 (03.07.2019).
  3. Kdm. Kreis Blankenburg, S. 346 u. Abb. 237, S. 348.
  4. Reinboth, Bestattungen, S. 19 (Nr. 1, nach Mülverstedt).

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 3 (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0000305.