Inschriftenkatalog: Stadt Osnabrück

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 26: Stadt Osnabrück (1988)

Nr. 200 St. Marienkirche 1606

Beschreibung

Epitaph für das Ehepaar Laurentius Schrader und Christina Hermeling (deren Grabstein Nr. 201). Sandstein, bemalt. Das Epitaph ist im nördlichen Chorumgang über der Sakristeitür angebracht. Über einer Kartusche mit einem von zwei Engelsfiguren gehaltenen Medaillon mit der Grabschrift für Christina Hermeling (A), die nach deren Tod 1607 in Gold auf grünem Grund nachgetragen wurde, folgt eine Zone mit einer rechteckigen Tafel, die die Grabschrift für Laurentius Schrader (B) trägt. Die Buchstaben sind erhaben und durch goldene Bemalung auf grünem Grund hervorgehoben. Beseitet wird die Tafel von zwei vorspringenden Voluten mit Engelsköpfen, die ein Gesims tragen, auf dem der Sockel der nächsten, weit vorspringenden Zone aufliegt. In der Mitte zeigt ein Relief die Verspottung Christi, rechts und links davon zwischen je zwei vorgebauten Säulen Nischen mit den Apostelfiguren Petrus und Paulus. Den seitlichen Abschluß bildet je ein ovales Medaillon mit einem Relief, links der Kampf Simsons mit dem Löwen, rechts Jona, der von dem Wal ausgespien wird, oberhalb der Medaillons Engelsfiguren. Nach oben schließt sich eine weitere Bildzone an. In der Mitte springt ein von drei Säulen umstandener Balken vor, an dessen Unterseite ein durchbrochener Knauf herabhängt. Zu beiden Seiten des Balkons Reliefs der Kreuztragung und der Geißelung. Der umrahmende architektonische Aufbau wird getragen von je zwei Karyatiden, die im rechten Winkel zueinander stehen. Außen stehen auf Sockeln links die Figur des David mit der Leier, rechts Veronika mit dem Schweißtuch. Die Bekrönung bildet eine Erlöserfigur, zu deren Füßen rechts und links die Stifterfamilie, ursprünglich wohl fünf männliche und vier weibliche Betergestalten, von den männlichen Figuren fehlen heute zwei.

Maße: H.: 420 cm; B.: 260 cm; Bu.: 2 cm (A); 1,8–3,3 cm (B, die Zeilen sind unterschiedlich hoch).

Schriftart(en): Fraktur mit Kapitalisversalien (A), humanistische Minuskel und Kapitalis (B).

Sabine Wehking [1/2]

  1. A

    〈Heic sita sum Christina. / Hermeling nata P(at)re bellicoso M(at)re / religiosa, nupta C(onsu)l(i) L(aurentio) S(chradero) cui, ut in thalamo / fui, ita in tumulo sum coniuncta, cum quo / vigui, consenui pie placide, liberos vii edidi, / educavi quibus pietatem, virtutem nomenque · / haereditario reliqui: Vt marit(us) foris clar(us), sic / ego domi haud obscura fui, cum pietate et muni/ficentia in lazaros tum matronali prude(n)tia adminis/trandae rei. Felle adeo carui ut calculi C(oniug)ii mortis / Prodromi ei(us) in votoa) coaluerint, Maritum an(n)o luctus / Peracto subsecuta denascor A(nn)o M · D · C / VII. sept(embris) VI . nata . ANN(OS) /LXVI. M(enses) X · D(ies) X〉

  2. B

    S(ANCTI)S(SIMAE) TRINIT(ATI) S(ACRVM) / V(IRO) CL(ARISSIMO) LAVR(ENTIO) SCHRADERO HALB(ERSTADENSI) COM(ITI) PAL(ATINO) CAESAR(EO) / DEP(VTATO)b) ARCH(I)EPISC(OPORVM) DVC(VM) COM(ITVM) CONSILIARIO MERITISSIMO : / QVEM VIRTVS, CANDOR HVMANIT(AS) RER(VM) LAVDABIL(IVM) ET INPRIMIS ANTIQVIT(ATIS) HIST(ORIAE) / ac polit(icae)c) discipl(inae) scientia et exper(ientia) apud magnos magnum, ap(ud) o(mn)es clarum effecit. Invidia et aemu/latio aliquoties allatravit, nunq(ua)m de gradu deiecit. / Qui · III · ad Vrb(em) · VII · ad Imp(eratorem) p(o)p(uli) Rom(anorum) · I · in Gall(iam) · I · in Dan(iam) · X · ad Belgii Gubernat(orem) multoties ad Co/mitia, Elect(orum) et Princ(ipum) Imp(erii) Ep(isco)p(o)r(um) Osnab(rugensium) et D(omi)nor(um) suor(um) no(m)i(n)e legationib(us) functus illustrem litt(eris) et / monum(entis) Italiam suis Christ(ianis) mon(umentis) illustriorem reddidit, Germ(aniam) n(ost)r(a)m illustrare coepit. / PIETATE, FIDE IN DEVM ET PRIN(CIPIBVS) MERITIS, LABORE ET VIGIL(IA) IN BON(A) P(VBLICA) OFFICIIS IN AMICOS / b(e)n(e)vol(entia) in o(mn)es posteris quod imitent(ur) et p(rae)dicent, reliq(ui)t, Heic exuuias suas condi voluit ·/ M(ONVMENTVM) H(OC) VX(OR) ET VI · LIB(ERI) SVP(REMVM) MOE(STI) PA(TRI) OP(TIMO) P(OSVERVNT) V(IXIT) A(NNOS)d) · LXIX · M(ENSES) · III · D(IES) · XIV · O(BIIT) M · D · CVI · IV(NII) · 28 ·/ Havee) Viator et mihi praeter meritum non sis iniq(ui)or q(uam) tibi vis posteros tuos.

Übersetzung:

Hier liege ich, Christina Hermeling, Tochter eines streitbaren Vaters und einer frommen Mutter, verheiratet mit dem Rat Laurentius Schrader, dem ich, wie ich es auf dem Ehelager war, so im Grab verbunden bin. Ich habe mit diesem glücklich gelebt, ich bin mit ihm auf fromme und friedliche Weise gealtert, ich habe sieben Kinder geboren und erzogen, denen ich Frömmigkeit, Tugend und einen Namen als Erbe hinterlassen habe. Wie der Ehemann draußen berühmt, so bin ich zuhause nicht unbeachtet geblieben, sowohl durch Frömmigkeit und Freigebigkeit gegenüber den Armen, wie auch durch hausfrauliche Klugheit bei der Führung des Hauses. Ich war dem so sehr ergeben, daß die Zahlen des Todes unserer Ehe Vorboten (waren), sie gemäß dem Gelübde wieder zusammenzuschließen (?). Nach Vollendung des Trauerjahres bin ich dem Gatten gefolgt und am 7. September 1607 gestorben, im Alter von 66 Jahren, 10 Monaten und 10 Tagen. (A)

Der heiligsten Trinität geweiht. Dem sehr berühmten Mann Laurentius Schrader aus Halberstadt, kaiserlichem Pfalzgrafen, hochverdientem Berater von Erzbischöfen, Fürsten und Grafen. Ihn machte Tugend, Aufrichtigkeit, Bildung sowie das Wissen und die Erfahrung auf preiswürdigen Gebieten, besonders dem der Geschichte und Politik, bei allen Großen bedeutend, bei allen berühmt. Neid und Mißgunst schrien ihn einige Male an, haben ihn aber niemals von seinem hohen Rang stürzen können. Nachdem er tätig war in drei Gesandtschaften an die Stadt (Rom), sieben an den Kaiser des Römischen Reiches, in einer nach Frankreich, einer nach Dänemark, zehn zu dem Statthalter von Belgien, in einer ganzen Anzahl zur Versammlung der Kur- und Reichsfürsten im Namen der Bischöfe von Osnabrück und seiner Herren, machte er das durch seine Wissenschaften und Denkmäler berühmte Italien durch seine christlichen Monumenta noch berühmter, und er begann, unser Deutschland zu erleuchten. Durch Frömmigkeit, Glauben an Gott und außerordentliche Verdienste, durch Mühe und Wachsamkeit in Bezug auf das Allgemeinwohl, durch Dienste für die Freunde, durch das Wohlwollen gegenüber allen, hinterließ er der Nachwelt, was sie loben und nachahmen soll. Er wollte, daß seine sterbliche Hülle hier beigesetzt würde. Dieses Denkmal haben die Gattin und sechs Kinder auf das höchste betrübt dem besten Vater gesetzt. Er lebte 69 Jahre, drei Monate und 14 Tage, er starb 1606 am 28. Juni.

Sei gegrüßt, Wanderer, und sei mir gegenüber – über meinen Verdienst hinaus – nicht ungerechter, als du willst, daß deine Nachwelt es dir gegenüber ist. (B)

Kommentar

Für die Inschriften (A) und (B) wurden unterschiedliche Minuskelschriften verwandt. Die gemalte Inschrift (A) ist in einer schlichten, schmucklosen Minuskel ausgeführt. Die typischen Frakturmerkmale, mandelförmiges o, einstöckiges a sowie Unterlängen von f, h und Schaft-s sind vertreten, dennoch weist die Schrift Ähnlichkeit zur humanistischen Minuskel auf. Bemerkenswert ist die durchgängige Kennzeichnung von vokalischem u durch das diakritische Zeichen ″. In der Inschrift (B) variiert Kapitalis zeilenweise mit einer Minuskel, die zwar die charakteristischen Buchstabenformen der humanistischen Minuskel zeigt, diese jedoch in einer ungewöhnlich gestreckten Ausführung.

Der 1537 in Halberstadt geborene Laurentius Schrader immatrikulierte sich 1554 an der Universität Erfurt1). Er erwarb den Titel des Doktors beider Rechte. Im Alter von 18 Jahren begab sich Schrader auf seine erste Italienreise im Auftrag des Bischofs Johann Adolf von Bremen. Eine weitere Italienreise unternahm er 1562 im Auftrag des Osnabrücker Bischofs Johann IV. von Hoya, um in Rom über Pfründen für Osnabrücker Adlige zu verhandeln. Er nutzte die Aufenthalte in Italien jedoch auch dazu, umfangreiche Inschriftensammlungen italienischer Städte anzulegen, die er 1592 als Monumentorum Italiae Libri Quattuor in Helmstedt publizierte2). Diese Sammlung unfaßt im wesentlichen Grabinschriften aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Den nach Städten geordneten Kapiteln ist jeweils ein kurzer geschichtlicher Abriß und eine Aufzählung der wichtigsten Baudenkmäler vorangestellt. Gesammelt sind nicht nur Inschriften für bedeutende Persönlichkeiten oder solche von besonderer literarischer Qualität, vielmehr war offensichtlich Vollständigkeit das angestrebte Ziel, das allerdings – wie der Autor im Vorwort bedauernd erklärt – schon aus Zeitgründen nicht erreicht werden konnte.

Schrader blieb bis zu seinem Lebensende im Dienst der Osnabrücker Bischöfe. Als Protestant gehörte er dem bischöflichen Rat an und wurde vor allem mit auswertigen Angelegenheiten betraut3). Er vertrat Bischof Johann IV. von Hoya auf den Reichstagen von 1566 und 1570, Heinrich III. von Sachsen auf dem Reichstag von 1582. Schrader brachte es zu einigem Vermögen und heiratete in die Osnabrücker Patrizierfamilie Hermeling ein. Seit 1573 bewohnte er einen Teil des ehemaligen Barfüßerklosters, den Bischof und Domkapitel ihm überlassen hatten4). Als man 1584 daranging, das von Bischof Heinrich III. geplante – nach dessen Tod jedoch nicht fertiggestellte – neue Bischofspalais anstelle des ehemaligen Augustinerklosters zu errichten, wurde Schrader mit der Bauleitung beauftragt. Nach dem Tod des Bischofs verwickelte er sich darüber in Streitigkeiten mit dem Domkapitel5). 1585 gehörte Schrader der von Heinrich III. für die Zeit seiner Abwesenheit bestimmten Regierung an6). 1594 erwarb Schrader das Gut Bringenburg bei Wersen und zog sich vermutlich dorthin zurück7). Seine umfangreiche Bibliothek schenkte er der Stadt Osnabrück. Sie wurde zunächst in der Sakristei der Katharinenkirche aufgestellt und später, nachdem noch andere Schenkungen hinzugekommen waren (vgl. Nr. 157), mit den Beständen des Ratsgymnasiums vereinigt.

Das Epitaph wird dem Osnabrücker Bildhauer Adam Stenelt zugeschrieben8).

Textkritischer Apparat

  1. voto] dem folgenden Wort übergeschrieben. Möglich wäre auch die Lesung voco.
  2. DEP(VTATO)] DEF. Siebern/Fink.
  3. polit(icae)] pos. Siebern/Fink.
  4. A(NNOS)] fehlt bei Siebern/Fink.
  5. Have] Hanc Siebern/Fink.

Anmerkungen

  1. Matrikel Erfurt, Bd. 2, S. 387, 38.
  2. Laurentius Schrader, Monumentorum Italiae libri Quattuor, Helmstedt 1592. Das Vorwort enthält die vorstehenden Angaben. Das Kapitel über Ferrara wurde in den von Johann Georg Grave 1723 edierten Thesaurus Antiquitatum et Historiarum Italiae aufgenommen.
  3. Vgl. hierzu und zum folgenden Stüve, Hochstift, Bd. 2, S. 233. Stüve verweist Schrader in die Kategorie der „herumziehenden Juristen und Ränkemacher“.
  4. Ebd., S. 290.
  5. Ebd., S. 305.
  6. Ebd., S. 296.
  7. Ebd., S. 362.
  8. Koch, S. 141; Stiff, S. 29ff.

Nachweise

  1. Siebern/Fink, S. 142 (nur B).

Zitierhinweis:
DI 26, Stadt Osnabrück, Nr. 200 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di026g003k0020006.