Inschriftenkatalog: Stadt Osnabrück

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 26: Stadt Osnabrück (1988)

Nr. 86 Paulskirche Anfang 16. Jh.

Beschreibung

Kreuzigungsgruppe in einer rundbogigen Nische an der westlichen Außenwand. Sandstein. Die Kreuzigungsgruppe stammt mit großer Wahrscheinlichkeit vom Augustinerkloster, dessen Abbruch Bischof Franz Wilhelm von Wartenberg 1628 veranlaßte1). Für den Neubau der Paulskirche, der 1683 begonnen und 1705 mit der Weihe abgeschlossen wurde, verwandte man u. a. Materialien aus dem aufgelassenen Augustinerkloster2). Zum damaligen Zeitpunkt soll die Kreuzigungsgruppe außer Christus und den beiden Schächern auch noch die Figuren von Maria, Johannes und Maria Magdalena umfaßt haben, die angeblich 1804 entfernt wurden3). Auf dem Querbalken des dreiarmigen Kreuzes Christi befindet sich eine Tafel mit dem Titulus.

Maße: Tafel: H.: ca. 40 cm; B.: ca. 60 cm; Bu.: ca. 6 cm.

Schriftart(en): Hebräisch, griechische Majuskel, gotische Minuskel.

  1. י֯ה֯ו֯שוצ ו͞ע͞ מלן יXEP · ƆYNEPAZAN · ה֯͞ס֯͞ · MYPOEDYIjesus nazarenus rexiudeorum

Kommentar

Der Titulus ist in enger Anlehnung an den Bibeltext Io. 19,20 gestaltet. Die Ausführung des hebräischen Teils weist Ungenauigkeiten auf4), die wohl auf die mechanische Reproduktion einer Vorlage zurückzuführen sind5). Der griechische Titulus ist lediglich eine Umsetzung des lateinischen in griechische Buchstaben. Er verläuft wie der hebräische Titulus von rechts nach links, die Buchstaben sind mit Ausnahme des Ζ spiegelverkehrt. Anstelle eines Ξ in ΡΕΞ steht hier Χ. Dies deutet darauf hin, daß der Steinmetz oder der Verfasser der Vorlage mit der griechischen Schrift nicht besonders vertraut war. Melchers6) ordnet die Kreuzigungsgruppe dem Umkreis des Meisters des Hochaltars St. Johann (Nr. 93) zu und datiert sie auf den Beginn des 16. Jahrhunderts.

Anmerkungen

  1. Siebern/Fink, S. 191.
  2. Ebd., S. 168.
  3. Siebern/Fink, S. 168, unter Berufung auf „die Überlieferung“.
  4. Für die Entzifferung und Transkription des hebräischen Titulus danke ich Dr. Hans-Ulrich Boesche (Göttingen).
  5. Dr. Boesche hat mich darauf hingewiesen, daß die im Titulus verwandte Namensform J·hoschua statt J·eschua = Jesus auf eine Vorlage von jüdicher Hand deutet, da die Form J·eschua in christlicher Zeit von den Juden nicht mehr verwandt wird.
  6. Melchers, S. 45.

Zitierhinweis:
DI 26, Stadt Osnabrück, Nr. 86 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di026g003k0008606.