Inschriftenkatalog: Stadt Osnabrück

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 26: Stadt Osnabrück (1988)

Nr. 14 St. Marienkirche Ende 13. Jh.

Beschreibung

Platte der Altarmensa. Sandstein. In den vorderen Ecken der Platte sind Weihekreuze eingehauen, die Inschrift befindet sich an der Vorderkante. Die Buchstaben sind mit dunkler Farbe ausgemalt.

Maße: H.: 14 cm; B.: 220 cm; T.: 151 cm; Bu.: 4 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Sabine Wehking [1/5]

  1. + HOC · ALTARE · SVIS · EXPENSIS · EDIFICARVNT + HERMAN · (ET)a) · ELIZABETH · OPUS · ACCEPTABILE · XPOb)

Übersetzung:

Diesen Altar haben auf eigene Kosten Hermann und Elisabeth erbaut, ein Christus wohlgefälliges Werk.

Kommentar

Bisher ist die Mensa aufgrund der Inschrift allgemein auf den Anfang des 13. Jahrhunderts datiert worden1). Der Dehio verlegt ihre Entstehungszeit in die 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts, während Braun vermutet, die Platte „könne aus den Tagen der ersten Weihe der Kirche 1308 stammen“2). Lediglich Abeken, der keine genaue Datierung gibt, hat bisher auf die „Inkonsequenz der Buchstaben“ hingewiesen3). Die Datierung erweist sich als kompliziert, da Vergleichsmaterial aus dem Osnabrücker Raum kaum vorhanden ist. Grabplatten mit gotischer Majuskel in Osnabrück und Iburg aus der Mitte des 14. Jahrhunderts bieten das ganz andere Schriftbild einer spätgotischen Majuskel4); die wohl nur ungefähr auf das 13. Jahrhundert zu datierende Grabplatte des 1119 verstorbenen Bischofs Gottschalk in Iburg5) dagegen stellt eine wesentlich frühere Form mit nur wenigen unzialen Buchstaben dar. Eine weitere Schwierigkeit besteht im ornamentalen Charakter der Inschrift, der durch ihre sorgfältige Gestaltung in erster Linie Schmuckfunktion zukommt. Bei der epigraphischen Untersuchung fällt zunächst auf, daß neben schlichten kapitalen Buchstaben sehr stark verschnörkelte unziale Formen auftreten. Dabei weichen die unzialen Formen desselben Buchstabens stark voneinander ab. Das E scheint in der Inschrift geradezu eine Entwicklung vom offenen unzialen E, dessen Abschlußstrich nur angedeutet ist, hin zum geschlossenen E zu durchlaufen, bei dem der Querbalken vom Abschlußstrich ausgehend sich in zwei Schnörkel spaltet und den Hauptschaft nicht mehr berührt. Dazwischen tritt immer wieder kapitales E auf. C kommt in runder wie eckiger Form vor, jedoch nicht abgeschlossen. A erscheint als kapitales A mit und ohne Deckbalken, der Querstrich wird jeweils von einem Zierstrich begleitet. Daneben finden sich unziale Formen, deren Schäfte in Schnörkeln auslaufen. Bemerkenswert ist weiter, in welchem Maß die Inschrift frühe und späte Elemente der Schriftentwicklung vereint. Zwischen Bogen und Cauda des R in HERMAN bleibt ein Zwischenraum, wie in der frühen Unziale geläufig, ebenso zwischen den Bögen des B in ELIZABETH. Daneben aber treten Buchstaben auf, die stark an die frühhumanistische Kapitalis erinnern: Zierstriche und Knoten an V, I und N sowie Ausbuchtungen an Z und L. Das B in ACCEPTABILE ist in dieser Form nicht gebräuchlich und kann wohl kaum durch ein Versehen erklärt werden. Läßt man nun die Anklänge an die frühhumanistische Kapitalis beiseite, die vermutlich auf eine spätere Überarbeitung zurückzuführen sind, so können unter Vorbehalt der beträchtlichen Entfernung Inschriften aus Heidelberg herangezogen werden, die ähnliche unziale wie kapitale Formen aufweisen und aus dem letzten Viertel des 13. Jahrhunderts stammen6).

Auf eine Entstehung der Inschrift in dieser Zeit deutet auch ein weiterer Umstand: Die Marienkirche wurde im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts zur dreischiffigen Hallenkirche umgebaut, damals entstand das Langhaus in seiner heutigen Form. Ob die Weihe der neuen Kirche tatsächlich 1318 stattgefunden hat7), ist nicht mit Sicherheit festzustellen, sie dürfte aber im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts erfolgt sein. Dafür, daß der aufgemauerte Blockaltar im Zuge dieser Baumaßnahmen entstanden ist, spricht die Tatsache, daß sich zwei der drei am Altar eingehauenen Steinmetzzeichen auch am Langhaus finden8). Nimmt man den epigraphischen Befund und die Baudaten der Marienkirche zusammen, so spricht alles für eine Datierung der Altarplatte auf das Ende des 13. Jahrhunderts. Inschriften an Altarmensen sind im deutschen Raum eine Seltenheit. Außer der Osnabrücker Inschrift sind laut Braun nur vier weitere bekannt, alle aus dem 13. Jahrhundert, von denen nur eine ebenfalls an der Vorderseite der Mensa verläuft9). Alle vier Inschriften nennen die Stifter. Um so erstaunlicher mutet es an, wenn J. F. A. Lodtmann10) mitteilt, die Altarmensa habe es in doppelter Ausführung, nicht nur in der Marienkirche, sondern auch im Dom gegeben: ... eine gleiche Aufschrift aber auf dem hohen Altare im Dom befindlich ist. Da die Formulierung darauf schließen läßt, daß dieser zweite Altar zu Lodtmanns Zeit, also Ende des 18. Jahrhunderts, noch existierte, müßte es sich dabei um den 1867 abgebrochenen Hochaltar gehandelt haben11). Es scheint jedoch einigermaßen bedenklich, daß Abeken, der ihn gekannt haben muß, 1844 zwar ausführlich über die Altarmensa der Marienkirche handelt, die Mensa im Dom aber mit keinem Wort anspricht12). Daß alle späteren Erwähnungen der Altarinschrift im Dom13) auf Lodtmann zurückgehen, läßt sich nicht nachweisen, kann aber vermutet werden. So muß immerhin in Erwägung gezogen werden, daß allem ein Irrtum Lodtmanns zugrunde liegt. Es lassen sich andererseits aber auch Gründe für eine doppelte Ausführung des Altars anführen. 1254 zog ein Brand offenbar besonders den Chor des Doms in Mitleidenschaft, der danach zusammen mit der Vierung umgebaut wurde14). 1277 wurde der neu errichtete oder renovierte Hochaltar durch den Weihbischof Hermann von Samland konsekriert. Dieses geht aus einer Urkunde hervor, die man 1867 beim Abbruch des Hochaltars fand und die dessen Weihe zum Inhalt hat15). Setzt man voraus, daß bei dieser Gelegenheit eine neue Altarplatte angefertigt wurde, so wäre sie zur selben Zeit wie die der Marienkirche entstanden. Somit könnte es sich auch in beiden Fällen um dieselben Stifter handeln, die sich ihres Andenkens in doppelter Ausführung versichert hätten. Setzt man die Existenz einer solchen Stifterinschrift im Dom voraus, so stützt dies die Datierung der Altarplatte der Marienkirche. Zur Bestätigung der Datierung dienen indessen nicht nur diese recht spekulativen Überlegungen, sondern auch die Stifter betreffende Nachforschungen. Die Personen, die sich hinter den Vornamen verbergen, zu identifizieren, ist ein schwieriges Unterfangen, da der Name Hermann im Osnabrücker Raum weit verbreitet war16) und Ehefrauen, sofern sie nicht selbst handelnd auftreten, in Urkunden häufig ungenannt bleiben. Daher muß jedes Ergebnis zweifelhaft bleiben. Die Anbringung der Inschrift an so herausgehobener Stelle sowie die Tatsache, daß hier nur die Vornamen der Stifter genannt sind, sprechen für ihre Bekanntheit am Ort wie für ihr Selbstbewußtsein. In der Osnabrücker Oberschicht der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts findet sich bei der Durchsicht der Urkunden ein Ehepaar, das diese Voraussetzungen erfüllen könnte: Hermann und Elisabeth aus dem schon zu dieser Zeit sehr angesehenen Ministerialengeschlecht Hake lassen sich urkundlich von 1251 bis 1273 nachweisen17). Hermann Hake gehörte zu den Gefolgsleuten des Grafen Otto von Tecklenburg und war möglicherweise identisch mit dem gleichnamigen Johanniterkomtur zu Lage18). Aus den Urkunden geht hervor, daß seine Besitztümer recht umfangreich gewesen sein müssen. Das Ehepaar Hake könnte sowohl der Marienkirche als auch dem Dom, die beide zu seinen Lebzeiten umgebaut wurden, einen Altar geschenkt haben. Hat die Behauptung Lodtmanns keinen realen Hintergrund, so kommen sie jedenfalls als Stifter der Altarmensa der Marienkirche in Betracht.

Textkritischer Apparat

  1. Tironisch.
  2. CHR(IST)O. Der Schluß bei Abeken, S. 44: OPUS ACCEPTA DOMINO.

Anmerkungen

  1. Siebern/Fink, S. 136; Poppe, Altar, S. 9; Schewe, S. 44.
  2. Dehio, Niedersachsen, S. 738; Braun, Altar, Bd. 1, S. 304.
  3. Abeken, S. 44.
  4. Vgl. die Grabplatte Johanns von Ascheberg aus dem Jahr 1354 (Nr. 18) sowie den Grabstein des Ehepaars Varendorp in der Klosterkirche Iburg, Mitte 14. Jahrhundert, Abb.: Iburg, Benediktinerabtei und Schloß, Iburg 1980, S. 230.
  5. Mithoff, Tafel V.
  6. DI XII, Nr. 15–17.
  7. Abeken, S. 9, beruft sich auf einen Pater Kaspar, der 1628 in einer Predigt als Jahr der Weihe 1318 nannte.
  8. Siebern/Fink, S. 151. Das Argument Brauns, Altar, Bd. 1, S. 304, der Altar könnte in seiner heutigen Form erst im 15. Jahrhundert entstanden sein, da der Chor aus dieser Zeit stamme, wird dadurch entkräftet, daß der Chor damals lediglich erweitert wurde. Vgl. Dehio, Niedersachsen, S. 738.
  9. Diese Inschrift befindet sich an der Altarmensa in Seckau (Steiermark). Weitere Inschriften auf einem karolingischen Altarfragment aus Kloster Petersberg (Fulda), auf dem Altar der Peterskirche auf dem Kleinen Madron (Oberbayern, 1139) und auf einem Altar in Gimte (vgl. DI 66, LK Göttingen, Nr. 4). Braun, Altar, Bd. 1, S. 303f. Für das weitaus häufigere Vorkommen in Frankreich sprechen die Belege im Corpus des Inscriptions de la France Médiévale, Bd. 1–9, Poitiers 1974–1984, Register s. v. „autel“.
  10. J. F. A. Lodtmann, Acta Osnabrugensia, S. 254.
  11. Rothert, Geschichte, Bd. 1, S. 170.
  12. Abeken, S. 44.
  13. Siebern/Fink, S. 19; Mithoff, S. 107, Anm. 3; Berlage, Kirchliche Alterthümer, S. 280, Anm. 1.
  14. Siebern/Fink, S. 19.
  15. Berlage, Kirchliche Alterthümer, S. 280, Anm. 1.
  16. Vgl. das Register des OUB.
  17. OUB 3, Register, S. 508.
  18. Ein Johanniterkomtur namens Hermann Hake wird 1264 in einer Urkunde genannt (OUB 3, Nr. 298). Es bestehen jedoch Zweifel, ob es sich um denselben Mann handelt, der aufgrund von Auseinandersetzungen mit dem Johanniterorden zeitweilig mit dem Kichenbann belegt war. Dazu Stüve, Hochstift, Bd. 1, S. 105. Da der Streit gütlich beigelegt wurde und Hermann Hake dem Orden eine großzügige Schenkung machte, ist dies jedoch nicht auszuschließen.

Nachweise

  1. J. F. A. Lodtmann, Acta Osnabrugensia, S. 254.
  2. Abeken, S. 44.
  3. Berlage, Kirchliche Alterthümer, S. 280, Anm. 1.
  4. Mithoff, S. 123.
  5. Siebern/Fink, S. 136.
  6. Braun, Altar, Bd. 1, S. 304.
  7. Poppe, Altar, S. 9.
  8. Schewe, S. 44.

Zitierhinweis:
DI 26, Stadt Osnabrück, Nr. 14 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di026g003k0001400.