Inschriftenkatalog: Stadt Osnabrück
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 26: Stadt Osnabrück (1988)
Nr. 12 Hannover, Kestnermuseum 13. u. 14. Jh.
Beschreibung
Vortragekreuz. Holzkern, Silber, vergoldet. Das Kreuz aus der Marienkirche wurde 1880 an das Landesmuseum Hannover verkauft. Durch Tausch kam es vor dem 2. Weltkrieg in das Kestnermuseum. Die Vorderseite, die auf das 14. Jahrhundert datiert wird, ist mit zahlreichen Edelsteinen verziert. In den quadratischen Balkenendungen Sonnen, in deren Mitte sich jeweils ein Edelstein befindet. Auf den Kreuzbalken emaillierte Medaillons mit den Evangelistensymbolen. Die Kreuzmitte besteht ebenfalls aus einem Quadrat, darauf eine Kreuzigungsgruppe mit Maria und Johannes, das Kreuz mit Titulus (A). Direkt oberhalb der Kreuzigungsgruppe eine Gemme mit zwei eingeschnittenen Buchstaben (B). Auf der Rückseite, die aus dem 13. Jahrhundert stammt, Bänder mit romanischen Arabesken, in den Quadraten der Kreuzenden Evangelistensymbole. Im Quadrat der Kreuzmitte unter einem runden Kristall ein Pergament mit Aufschrift1).
Maße: H.: 59 cm; B.: 50 cm; Bu.: 0,4 cm (A); 0,2 cm (B).
Schriftart(en): Gotische Majuskel (A).
- A
· I · N · R · I ·2)
- B
C Ya)
Textkritischer Apparat
- C Y] C i Schlunk.
Anmerkungen
- Es handelt sich um eine Aufzählung von Reliquien: De Ligno d(omi)ni / De capill° d(i)v(in)e mariae / De s(an)c(t)o Mauricio / De s(an)c(t)o Chr(ist)oforo.
- Io. 19,19: I(esus) N(azarenus) R(ex) I(udeorum).
- Darunter versteht man eine Technik, die Figuren durch parallel laufende, eingegrabene Linien dargestellt, die den Eindruck erwecken, als sei eine Gestalt aus mehreren zusammengefügten Strohbündeln gebildet. Die Benennung erfolgte durch H. Wentzel, Mittelalterliche Gemmen, Versuch einer Grundlegung, in: Zs. d. deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 8, 1941, S. 45ff.
- Vgl. Helmut Schlunk, Eine Gemme des XIII. Jahrhunderts mit der Anbetung der Könige, in: Berichte aus den Preußischen Kunstsammlungen 38, 1959, S. 33–37.
- Zum Gebrauch von Gemmen als Siegel vgl. Schlunk, ebd.
- Eine dieser Gemmen zeigt die anbetenden Könige – da alle drei Kronen tragen, kann sie wohl frühestens aus dem 9. Jahrhundert stammen – vor der thronenden Maria mit Kind. Auch dieser Thron entspricht exakt dem der Osnabrücker Gemme. Schlunk (wie Anm. 4) überträgt die Tatsache, daß die thronende Figur in diesem Fall als Maria identifiziert werden kann, auch auf alle anderen Throndarstellungen und spricht generell von weiblichen Thronenden.
- Ebd.; Wentzel, Die Kamee der Kaiserin Anna, Fs. f. U. Middeldorf, Berlin 1968, S. 6f.
- Peter Zazoff, Die antiken Gemmen, München 1983, S. 379.
Nachweise
- Schlunk (wie Anm. 4), S. 36 (nur B).
Zitierhinweis:
DI 26, Stadt Osnabrück, Nr. 12 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di026g003k0001206.
Kommentar
Die Datierung der Gemme erweist sich insofern als schwierig, als sie dem Typ der Strohbündelgemmen3) angehört, die vom 4. bis 14. Jahrhundert gefertigt wurden, die Fertigungstechnik also nichts über die Datierung aussagt. Darüber hinaus ist auch die dargestellte Szene problematisch und konnte bisher noch nicht gedeutet werden. Abgebildet ist eine auf einem Thron sitzende Figur mit Nimbus, die mit zwei Stäben in einer Opferschale (?) rührt. Vor ihr steht eine weitere Person, einen Arm wie zum Gruß ausgestreckt. Hinter dem Thron steht ein Vogel. Es gibt eine Reihe von Gemmen des Strohbündeltyps, die ebenfalls das Motiv einer thronenden Figur aufweisen4). Der Thron ist in allen Fällen vollkommen identisch und zur selben Seite ausgerichtet. Da etliche der Gemmen als Siegel benutzt und zu diesem Zweck mit einer Umschrift versehen wurden5), läßt sich feststellen, daß der Thron auf dem Positiv jeweils mit der Rückenlehne nach rechts steht, die vor dem Thron befindlichen Personen jeweils auf der linken Seite. Daraus ergibt sich, daß auch die Osnabrücker Gemme die Funktion eines Siegels hatte und somit das Negativ darstellt, die eingeschnittenen Buchstaben folglich spiegelverkehrt sein müssen. Vermutlich handelt es sich dabei um griechisches Sigma und Ypsilon. Wofür die beiden Buchstaben stehen, bleibt allerdings rätselhaft. Allein aus der Tatsache, daß die thronende Figur einen Nimbus trägt, läßt sich noch nicht auf ein christliches Motiv schließen. Unter den Strohbündelgemmen gibt es jedoch einige mit spezifisch christlichem Bildinhalt6). Die Forschung spricht sich allgemein für eine relativ späte Datierung dieses Typs der Strohbündelgemmen auf das 12. bis 14. Jahrhundert aus7). Zazoff plädiert für eine Entstehung der Osnabrücker Gemme im 13./14. Jahrhundert8). Dies würde einen christlichen Bildinhalt voraussetzen, über den aber keine Aussagen getroffen werden können. Der Vogel hinter dem Thron in Verbindung mit dem Opferfeuer läßt allenfalls an den Phönix denken.