Inschriftenkatalog: Odenwaldkreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 63: Odenwaldkreis (2005)

Nr. 279 Michelstadt, Evangelische Stadtkirche 1627

Beschreibung

Epitaph für Graf Johann Casimir von Erbach. Das in Form einer dreiachsigen Ädikula gestaltete Denkmal steht vor dem Achsenfenster des Chores. Der architektonische Aufbau besteht aus Sandstein, während der Giebel, die Skulpturen, Reliefs, Gesimse, Säulen und Wappen aus Alabaster gefertigt sind. In der Mittelnische sitzt die lebensgroße Figur des Verstorbenen in Rüstung auf einem Sarkophag, vor dem die Handschuhe liegen. Der barhäuptige Kopf ruht in der Hand des rechten Armes, welcher auf den Helm gestützt ist, der auf dem Sarkophag steht. In der Linken hält Johann Casimir den Kommandostab. Auf dem Sarkophag sind in Relief die Allegorien der Klugheit (Prudentia) und der Gerechtigkeit (Iustitia) dargestellt. Über der Figur des Verstorbenen halten schwebende Genien Siegespalmen. Die ursprünglich ebenfalls von ihnen gehaltenen Bänder, an denen Harnisch und Helm befestigt waren, sind heute verloren. In den beiden Seitennischen stehen jeweils von zwei korinthischen Säulen flankiert links die Personifikation der Stärke (Fortitudo), die eine Säule trägt, und rechts die Personifikation des Sieges (Victoria), die in der rechten Hand einen Lorbeerkranz und in der linken einen Palmenzweig hält. Auf dem Gebälk sind nebeneinander acht Wappenkartuschen angebracht. Der gesprengte Giebel trägt ein Medaillon mit einem Vollwappen und wird von einem auf einer Kugel sitzenden Engel bekrönt, der eine Posaune bläst. Der Sockel trägt links und rechts Reliefs. Auf dem linken ist der Kampf der Israeliten gegen die Amoriter (nach Jos 10,12 ff.) dargestellt. Am linken Bildrand ist ein Fahnenträger zu erkennen, dessen Fahne die Namensinschrift (B) trägt. Das rechte zeigt den Kampf der Israeliten gegen die Amalekiter (nach Ex 17,8 ff.).1) Das Postament des Denkmals bildet eine von zwei sitzenden Löwen flankierte Rollwerktafel mit der zwölfzeiligen Grabinschrift (A), die in vorlinierten Zeilen steht. Auf dem Rahmen der Tafel ist rechts ein Totenschädel mit einer Sanduhr als Vanitassymbol angebracht. Als Worttrenner dienen auf die Grundlinie gesetzte Dreiecke und Quadrangel.

Maße: H. ca. 600, B. 292, Bu. 2,3 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/6]

  1. A

    DER HOCH · VND WOLGEBORNE GRAVE VND HERR HERR / IOHAN CASIMIR GRAVE ZV ERPACH VND HERR ZV / BREVBERG · OBRISTER WARDT GEBOHREN DEN . 10. / AVGVSTI IM IAHR CHRISTI . 1584. VND WEGEN SEINER / HEROISCHEN DAPFFERN GABEN. ERFAHRNHEIT / IN KV̈NSTEN SPRACHEN REISEN VND KRIEGSGESCEFFTENa) / ALLER ORTHEN HOCHBELIEBT VND GEACHT STARB IN / GOTT SEELIG LEDIGE(N) STANDTS NACH VOLBRACHTEM / VNGERISCHEM ZVG ZV SCWEINITZa) IN SCHLE=/SIEN DEN 4 IANVARŸ DES . 1627.b) IAHRS. SEI=/NES ALTERS 42 IAHR 4 MONAT. 3 WOCHE(N) / VND 4. TAGE

  2. B

    IOSVA

Wappen:
Erbach
ErbachSolms2)
Wild- und Rheingrafen zu DhaunWied3)
WertheimMecklenburg
NeufchâtelNassau.4)

Kommentar

Die Kapitalis zeigt regelmäßige, dünnstrichige Buchstaben. A, M, N und V sind mit Linksschrägenverstärkung gebildet, und der Mittelteil des M reicht fast bis zur Grundlinie. Weitere klassizierende Elemente wie Bogenverstärkungen sind jedoch nicht vorhanden. Die Inschrift zeigt somit einen anderen Duktus als jene auf dem 1620 ebenfalls von Michael Kern aus Forchtenberg geschaffenen Epitaph für Graf Friedrich Magnus von Erbach (Nr. 267).

Kern hat das Epitaph laut den Auszügen aus den gräflichen Personalrechnungen für insgesamt 700 Gulden angefertigt.5) Laut Vera Schneider wurde das Denkmal vermutlich noch 1627 begonnen und 1628 fertiggestellt.6) Das Grabmal wiederholt die Architektur des Epitaphs für Oberst Johann Jakob Baur von Eiseneck im Kreuzgang des Würzburger Doms, das Kern 1622/23 schuf. An der Rüstung Johann Casimirs und an der Fortitudo hat vermutlich Michael Kerns Sohn Achilles mitgearbeitet.7)

Die Inschrift hebt die Kriegstaten und die Sprachkenntnisse Johann Casimirs hervor, und auch die Ikonographie des Epitaphs nimmt Bezug auf seine militärische Laufbahn. Johann Casimir wurde 1584 als Sohn Graf Georgs III. von Erbach und der Anna von Solms geboren.8) Im Alter von sechs Jahren wurde er zur Erziehung nach Straßburg geschickt, wo er zehn Jahre lang blieb, bevor er für zwei Jahre an den französischen Hof ging.9) Anschließend trat er ins kaiserliche Heer ein und wurde bei einem Feldzug gegen die Türken in Ungarn schwer verwundet. Wieder genesen kehrte er 1604 nach Erbach zurück und erhielt nach dem Tode seines Vaters 1605 bei der Regelung der Herrschaftsverhältnisse Wildenstein und die Burg Breuberg als Wohnsitze.10) In den folgenden Jahren unternahm er Reisen nach Frankreich und Italien.11) Ab 1613 ließ er die Burg Breuberg nach seinen Bedürfnissen umbauen.12) Wohl aus finanziellen Gründen trat Johann Casimir im Herbst 1617 in den Dienst seines Schwagers Markgraf Georg Friedrich von Baden-Durlach und diente ab September 1620 in einem schwäbischen Regiment. Im Jahr 1621 bat ihn dann Landgraf Ludwig V. von Hessen-Darmstadt, die Leitung der Kavaliersreise seines Sohnes Georg zu übernehmen, die über Brüssel nach Frankreich, Spanien und Portugal führte. Nach seiner Rückkehr 1622 übernahm Johann Casimir als Oberst wieder das schwäbische Regiment, begleitete aber 1623/24 Georg II. von Hessen-Darmstadt nach Italien. Im Jahr 1626 trat Johann Casimir als Oberst erneut in kaiserliche Dienste und kämpfte wieder in Ungarn gegen die Türken. Im Anschluß an den Feldzug nahm er Quartier in Schweidnitz in Schlesien,13) wo er erkrankte und am 14. Januar 1627 starb.14) Sein Leichnam wurde nach Michelstadt überführt und dort am 3. April beigesetzt.15)

Textkritischer Apparat

  1. Sic!
  2. 1622 Schneider 451.

Anmerkungen

  1. Vgl. dazu Klassert, Miszellen 289 f.; Schneider, Michael Kern 105 f.
  2. Quadriert: 1/4. Solms, 2/3. Münzenberg.
  3. Quadriert: 1/4. Wied, 2. Runkel, 3. Isenburg.
  4. Zu den korrekt ausgeführten Ahnenwappen vgl. Wolfert, Ahnenwappen 49.
  5. Klassert, Geschichte der Grabdenkmäler 255 f.; Wolf, Stammbuch 192, Anm. 2; zu Michael Kern vgl. Nr. 267, Anm. 3 und Schneider, Michael Kern passim.
  6. Schneider, Michael Kern 108.
  7. Schneider, Michael Kern 108 f.; zu dem Denkmal für Johann Jakob Baur von Eiseneck vgl. ebd. 96 – 99.
  8. Europ. Stammtafeln NF V, Taf. 3; vgl. zu den Eltern auch Nr. 206 und Nr. 250.
  9. Vgl. hierzu und zum Folgenden Schneider 205 f.; Simon, Geschichte 412 f.
  10. Simon, Geschichte 404 f.; vgl. dazu auch bei Nr. 253.
  11. Wolf, Stammbuch 187.
  12. Vgl. Nrr. 253, 255.
  13. Heute %.Swidnica bei Wrocław (Breslau), Polen.
  14. Simon, Geschichte 413, dessen fehlerhafte Darstellung jedoch durch Wolf, Stammbuch 189 f. überholt ist.
  15. Simon, Geschichte 413; zur Inschrift seines Sarges vgl. Nr. 277.

Nachweise

  1. Schneider, Historie Urk. Nr. CCIX 4, 451 und Taf. F.
  2. Luck, Historische Genealogie 43, Nr. 155 (d3).
  3. Schaefer, Kdm. 182 mit Abb. 96.
  4. Buxbaum, Stadtkirche 47, Nr. 41.
  5. Albach, Särge 23.
  6. Grabdenkmäler 355.
  7. Becher, Bilder der Stuckdecke 27.
  8. Nikitsch, Michelstadt 143, Abb. Taf. 16.
  9. Schneider, Michael Kern 255, Anm. 599.

Zitierhinweis:
DI 63, Odenwaldkreis, Nr. 279 (Sebastian Scholz), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di063mz09k0027909.