Inschriftenkatalog: Stadt Minden

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 46: Stadt Minden (1997)

Nr. 6 Dom, Schatzkammer 2./3. V. 11. Jh.

Beschreibung

Reliquienbursa.1) Gold- und Silberblech, Halbedelsteine, Holzkern. Die als Petrischrein bezeichnete Reliquienbursa ist im Laufe ihrer Geschichte mehrfach verändert und umgestaltet worden. Sie wies bereits im 19. Jahrhundert Beschädigungen auf.2) Beim Brand des Domes nach Bombenangriffen im Jahr 1945 zerfiel der Holzkern unter der großen Hitzeeinwirkung zu Asche, und auch die Metallbleche wurden in Mitleidenschaft gezogen. Im Zuge der anschließenden Restaurierung wurden die stark beschädigten Kanten der Bleche beschnitten und der Schrein dadurch verkleinert; der völlig zerstörte Firstkamm wurde nicht erneuert. In den Jahren 1995/96 wurde der Reliquienschrein erneut einer grundlegenden Restaurierung unterzogen. Das Goldblech wurde dabei auf einen neuen Holzkern aufgelegt; der Firstkamm ist heute durch eine hölzerne Nachbildung angedeutet.

Der rechteckige Schrein weist auf allen vier Seiten vertiefte Felder auf, die an den Hauptseiten von auf den begrenzenden Leisten umlaufenden Palmettenfriesen eingefaßt sind. Im querrechteckigen Feld der einen Seite ein Relief der Kreuzigung Petri, auf der anderen Seite ist in der Mitte eine runde Goldplatte eingesetzt, die um einen hochrechteckigen, in Gold gefaßten Edelstein vier kreuzförmig angeordnete Büsten und zwischen diesen jeweils zwei voneinander abgewendete Vögel in Zellenschmelztechnik zeigt. Die Platte wird allgemein auf das Ende des 10. oder den Beginn des 11. Jahrhunderts datiert.3) Links und rechts davon in zwei hochrechteckigen Feldern zwei aufgesetzte Goldagraffen, die linke mit einem kleinen gefaßten Stein in der Mitte, die rechte ebenso mit einem weiteren Stein oben im Ornament. Die Innenfelder der beiden Schmalseiten zeigen jeweils die Büste eines Heiligen, auf der einen Seite auf den Rahmenleisten ein Zickzackornament; auf der anderen Seite umlaufend die Inschrift A, deren untere linke Ecke fehlt. Auf dem steil ansteigenden Dach ebenfalls vier vertiefte Felder. Auf der einen Schauseite über der Kreuzigung Petri ein Relief mit der Darstellung des Pfingstwunders, in der Mitte der Heilige Geist in Gestalt der Taube, links und rechts davon jeweils sechs Büsten der Jünger; im gegenüberliegenden Feld Halbedelsteine. Die Dachfelder sind ebenfalls von Palmettenbändern auf den Rahmenleisten umgeben. Auf der Unterseite des Schreins eine Silberplatte mit der Inschrift B. Die Kanten der Silberplatte, die bereits im letzten Jahrhundert Beschädigungen aufwies, sind nach dem Zweiten Weltkrieg beschnitten worden, so daß heute von der ersten Zeile nur noch die unteren Teile der Buchstaben vorhanden sind und am linken und rechten Rand Buchstaben fehlen. Der Text kann jedoch anhand alter Photographien ergänzt werden.

Inschrift B ergänzt nach der Abbildung bei Kayser.

Maße: H.: 20 cm; L.: 21 cm; T.: 9 cm; Bu.: 0,7 cm (A), 0,5–0,7 cm (B).

Schriftart(en): Kapitalis.

Sabine Wehking [1/2]

  1. A

    CONDITVR / HIC SVBTVS P/ETRI LE[CTI/SSI]MA VIRT(VS)

  2. B

    [HIC LEGVNTVR NOMI]NAa) S(AN)C(T)ORVM Q[VO]/[R]VM RELIQVI[E] HIC INTVS HABE/[N]TVR DE SEPVLCHR[O]b) D(OMI)NI DE SANGV/[IN]E D(OMI)NI DE S(ANCTO) PANCRATI[O]b) DE VESTIMENT/[O] MARIE DE S(ANCTO) SIGISM[V]NDO DE CORPO/[RE] S(ANCTI) VITI DE S(ANCTO) PETRO (ET) S(ANCTO) ANDREA D[E] / [S(ANCTO) M]AVRITIO (ET) SOCIIS EIVS DE S(ANCTO) Y/[ . . . ]TOc) (ET)d) S(ANCTO) [G]ORGONIO DE S(ANCTO) LAV(RENTIO) +

Übersetzung:

Hier ist die vortreffliche Heilkraft des Petrus verwahrt. (A) Hier sind die Namen der Heiligen zu lesen, deren Reliquien hier drinnen bewahrt werden: vom Grab des Herrn, vom Blut des Herrn, vom heiligen Pancratius, vom Kleid der Maria, vom heiligen Sigismund, vom Leib des heiligen Vitus, vom heiligen Petrus und vom heiligen Andreas, vom heiligen Mauritius und seinen Gefährten, vom heiligen Y(...) und vom heiligen Gorgonius, vom heiligen Laurentius. (B)

Versmaß: Leoninischer Hexameter, einsilbig gereimt (A).

Kommentar

Die Inschriften A und B weisen große Unterschiede in der Ausführung auf, können aber durchaus zur gleichen Zeit entstanden sein. Inschrift A ist in einer ausgewogenen Kapitalis ausgeführt. Die Buchstaben sind leicht erhaben und durch zwei Linien konturiert. Auffallend sind die als Schmuckelement verwendeten Punktlinien, die die Hasten, Bögen und Balken begleiten. Die Inschrift besteht ausnahmslos aus kapitalen Buchstaben. Das O ist kreisrund, entsprechend viel Raum nehmen auch die anderen Buchstaben ein. Der Mittelteil des M endet über der Grundlinie. Die Cauda des R ist weit nach rechts ausgezogen und nach oben gebogen. Inschrift B ist in ungleichmäßig hohen, unregelmäßig ausgeführten Buchstaben graviert. Auch hier sind ausschließlich kapitale Formen verwendet worden. Charakteristisch ist die Ausführung des besonders häufig auftretenden D, dessen Bogen im oberen Teil gerade zur Haste zurückgeführt ist, so daß der Buchstabe oben spitz ist. Der Mittelteil des M endet über der Zeile. Die Hasten- und Bogenenden sind mit Sporen versehen. Die kunsthistorische Datierung der Hauptbestandteile des Reliquiars schwankt zwischen dem zweiten und dritten Viertel des 11. Jahrhunderts. Die Einordnung in das dritte Viertel des 11. Jahrhunderts geht auf eine Überlieferung zurück, derzufolge Bischof Rudolf von Schleswig die Reliquienbursa dem Mindener Dom anläßlich der Weihe im Jahr 1071 geschenkt haben soll.4) Die Inschriften können für eine genauere Datierung nicht herangezogen werden. Anhand der Buchstaben der für beide Inschriften verwendeten Kapitalis läßt sich lediglich konstatieren, daß nichts gegen eine Datierung auf das zweite Viertel des 11. Jahrhunderts spricht.

Textkritischer Apparat

  1. Nur noch die unteren Ansätze der Buchstaben vorhanden.
  2. Das O nur noch in den Umrissen zu erkennen, weil das Innenfeld des Buchstabens herausgebrochen ist.
  3. Y[ . . . ]TO] Xisto Kayser. Die linke untere Ecke fehlte schon im letzten Jahrhundert, bei der Version Kaysers handelt es sich daher nur um eine von ihm vorgenommene Ergänzung. Der erste Buchstabe des Wortes ist jedoch zweifelsfrei ein Y. Wahrscheinlich ist eine Ergänzung zu Y[PPOLI]TO. Reliquien des Hippolitus werden – wie die anderen in der Inschrift genannten Reliquien – in einem Ende des 13. Jahrhunderts geschriebenen ausführlichen Reliquienverzeichnis des Mindener Domes aufgeführt. Vgl. Löffler, Bischofschroniken, S. 55, Anm. 1.
  4. Tironisches et.

Anmerkungen

  1. Inv.Nr. DS 65.
  2. Vgl. ältere Photographien, gedr. bei Kayser, Schatzkammer 1867, Abb. 5a–d.
  3. Mechthild Schulze-Dörrlamm, Die Kaiserkrone Konrads II. Sigmaringen 1991 (Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Monographien, Bd. 23), S. 80f.
  4. Zur Datierung vgl. Kat. Kunst und Kultur, Bd. 2, Nr. 244, S. 565f., u. Kat. Bernward, Bd. 2, Nr. VI–89, S. 435ff.

Nachweise

  1. Kayser, Schatzkammer 1867, S. 59, Abb. 5a–d.

Zitierhinweis:
DI 46, Stadt Minden, Nr. 6 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di046d003k0000601.