Inschriftenkatalog: Passau II (Landkreis)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 101: Landkreis Passau II (2018)

Nr. 280 Ortenburg, ev. Pfk. (Marktkirche) (1577)

Beschreibung

Sterbeinschrift für Joachim von Ortenburg auf dem Hochgrab (Kenotaph). Innen, Chor, erstes Joch von Osten. Hinter dem Hochaltar. Ursprünglich, bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, von einem Gitter umgeben, an dem Wappenschilde angebracht waren1). Freistehendes Grabmal, Tumbakasten auf hoher Sockelplatte mit Deckplatte getragen von vier Hermenpilastern. Die Wände des Tumbakastens geschmückt mit Relieftafeln mit Darstellung der Personifikation der Tugenden in Landschaftshintergründen, an den Schmalseiten je ein, an den Längsseiten je zwei Reliefs; an der Westseite Caritas, an der Südseite Temperantia und Fortitudo, an der Ostseite Fides mit Kruzifix mit Titulus (II), an der Nordseite Spes und Prudentia. Die Reliefs gerahmt durch Halbpilaster, die äußeren, nicht von den Hermenpfeilern verdeckten, reich mit Trophäen-Hängekandelabern geschmückt, über jedem Relief ein Beschlagwerkmedaillon. Über der Reliefzone sog. Wellenarchitrav, an der Seite Triglyphenfries, die Metopen im Wechsel mit Bukranien und Beschlagwerkornamenten gefüllt. Darüber Platte mit Liegefigur des Verstorbenen, der Verstorbene im Prunkharnisch mit gefalteten Händen, das Haupt auf einem Kissen ruhend, neben ihm links die Handschuhe, rechts der Helm, in den vier Ecken je ein nach außen gerichteter, liegender Löwe. Am Rand der Platte, mit einem angedeuteten Tuch verziert, umlaufend, an der oberen Schmalseite beginnend, die Sterbeinschrift (I), mehrfach unterbrochen durch Draperien des Tuches und zweimal in der Mitte der Längsseiten durch eine Maske. Ursprünglich wohl acht Masken, die Masken auf den Draperien aufgesetzt. Tragende Teile aus weißgeschecktem Rotmarmor, Deckplatte und Sockel aus Rotmarmor, Reliefs und Liegefigur aus weißem Marmor, Halbpilaster aus Kalkstein, Hermenpilaster und Füllungen der Beschlagwerkmedaillons aus schwarzem Marmor2). Dinzinger3) nahm noch eine Goldfassung von Inschrift (I) wahr, von der heute jedoch nichts mehr zu sehen ist.

Maße: H. 170 cm, L. 297 cm, B. 186 cm, Bu. 5,5 cm (I), 0,5 cm (II).

Schriftart(en): Kapitalis.

© BAdW München, Inschriftenprojekt [1/6]

  1. I.

    ANNOa) M . // <Db) . C> . DEN / <XIX MARTII> // STARBc) DER // HOCHd) VND // WOLGEBORNc) / GRAVEe) · HERR // IOACHIMc) / DER ELTERNc) // GRAVENe) · ZV // ORTENBVRGd) // AETA(TIS) <LXX>c)

  2. II.

    I ∙ N ∙ R ∙ I ∙

Kommentar

Das Tumbadenkmal befindet sich noch heute an seinem ursprünglichen Standort; die Aufstellungssituation ist jedoch entscheidend durch das Altarretabel des 18. Jahrhunderts verändert. Das Denkmal ist heute beim Betreten der Kirche nicht mehr sichtbar; vor der Einfügung des barocken Retabels stand vor ihm nur ein einfacher Altartisch, den es erheblich überragte, es war also der Gemeinde bei den Gottesdiensten stets vor Augen. Das Denkmal hatte die Funktion, die Memoria des Landesherrn und Einführers der Reformation lebendig zu halten, denn es handelt sich um einen – wohl von Anfang an als solcher geplanten – Kenotaph. Joachim ist in der heute zugeschütteten Krypta der Kirche bestattet. Die Wahl des freistehenden Tumbagrabmals ist wohl auch als Hinweis auf Joachim als Gründerfigur zu verstehen. Sie entspricht damit der Tradition der Stifterdenkmäler. Eine weitere Veränderung ist das Fehlen des umgebenden Gitters, das vermutlich auch die Ahnenwappen enthielt.

Das Denkmal stammt von dem Regensburger Bildhauer Hans Pötzlinger (Petzlinger) und dem Steinmetz Christoph Stiber aus Petersdorf. Die überlieferten Auftragsakten und Rechnungen belegen eine Entstehungszeit zwischen dem 7. Januar 1576 (Abschluss des Vertrages mit Stiber4)) und dem Juli 1577. Der Entwurf des Denkmals orientierte sich an niederländischen Vorlagen, ein eigentlicher Entwerfer ist nicht festzumachen5).

Joachim Graf von Ortenburg war der einzige Sohn des Christoph von Ortenburg und seiner zweiten Ehefrau Anna Freiin Firmian. Bereits seine Eltern traten 1538 zum evangelischen Bekenntnis über. Joachim selbst blieb zunächst katholisch und durchlief den üblichen Ausbildungsweg der Adeligen seiner Zeit mit kurzem Aufenthalt an der Hohen Schule in Ingolstadt und Italienfahrt; belegt ist ein Studienaufenthalt an der rechtswissenschaftlichen Fakultät in Padua. 1549 vermählte er sich mit Ursula, geb. Fugger. Sie verstarb 15706). Mit ihr hatte Joachim einen gemeinsamen Sohn, Anton, der allerdings bereits 1573 starb (vgl. Nr. 272). Joachim heiratete 1572 Lucia, geb. Schenk von Limburg (vgl. Nr. 355). Nach dem Tod seines Vaters wurde er durch den Verzicht der älteren Mitglieder des Hauses 1551 mit der Reichsgrafschaft belehnt. Ab 1553 war er Sprecher der bayerischen Landstände. 1557 bekannte er sich zur lutherischen Lehre, 1563 führte er die Reformation in seiner Grafschaft ein (vgl. Nr. 284). Dies führte zu einer Verschärfung der seit 1549 schwelenden Auseinandersetzung mit dem bayerischen Herzogshaus um die Reichsunmittelbarkeit Ortenburgs. 1573 wurde dieser Streit zu Gunsten Ortenburgs vor dem Reichskammergericht entschieden. Der Herzog übte jedoch unabhängig von dieser Auseinandersetzung Druck auf Joachim aus, indem er die (finanziell attraktiven) bayerischen Lehen der Ortenburger einzog. Der Streit währte die gesamte Lebenszeit Joachims und wurde erst mit seinen Nachfolgern beigelegt. Um die Einkünfte zu erhöhen, förderte Joachim die Wirtschaft in seiner Grafschaft, so ließ er ein neues Brauhaus und eine Mühle errichten (vgl. Nr. 250, 258). Das Ansehen seines Hauses versuchte er zudem durch Baumaßnahmen an seinen Schlössern (Nr. 248, 251, 273) und eine ausführliche Memoria seines Hauses in Ortenburg (vgl. Nr. 272, 280, 287) und Passau zu erhöhen7). Durch die fehlenden Einkünfte aus den bayerischen Lehen und die hohen Gerichtskosten war Joachim gezwungen, einige kostspielige Ämter aufzugeben und eine hoch dotierte Stellung zu suchen. Da er selbst nachweislich seit 1567 dem Calvinismus nahestand, trat er 1584 die Stelle eines Statthalters in Amberg an, die er 1590 aufgab. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in Nürnberg, wo er 1600 starb. Bestattet wurde er in Ortenburg. Die Reichsgrafschaft vererbte er seiner zweiten Ehefrau Lucia, was seinen Nachfolgern Heinrich (VII.) (vgl. Nr. 327) und Georg (IV.) erhebliche finanzielle und rechtliche Probleme bescherte.

Textkritischer Apparat

  1. Anfangsbuchstaben bei tragenden Wörtern vergrößert.
  2. Inschrift durch Draperie des Bahrtuches unterbrochen. Unsicher, ob D nachgetragen wurde.
  3. Inschrift durch Draperie des Bahrtuches unterbrochen.
  4. Inschrift durch aufgesetzte Maske unterbrochen.
  5. Es folgt ein Trennzeichen in Form eines Kommas auf halber Zeilenhöhe.

Anmerkungen

  1. Vgl. Meys, Memoria 96.
  2. Zum Material und seiner Beschaffung vgl. Dinzinger, Hans Pötzlinger 118-120.
  3. Dinzinger, Hans Pötzlinger 108.
  4. Zum Vertrag mit Pötzlinger vgl. Dinzinger, Hans Pötzlinger 109-111; zum Vertrag mit Stiber 111-113, vgl. im Folgenden 113-118 zu den Auseinandersetzungen um die Erfüllung des Vertrages.
  5. Vgl. Dinzinger, Hans Pötzlinger 125ff. und Meys, Memoria 622.
  6. Vgl. DI 67 (Stadt Passau) Nr. 612. Sie war eine Tochter des Raymund Fugger und der Katharina, geb. Thurzo, vgl. Reinhard, Augsburger Eliten Lfd. Nr. 250 (Raymund).
  7. Vgl. die Denkmäler in der Ortenburger Kapelle am Passauer Dom, alle ediert in DI 67 (Stadt Passau): die jeweilige Nr. bei den Personen für Sebastian von Ortenburg (†1559) Nr. 572†, Sebastian I. (†1495) Nr. 600, Ursula von Ortenburg (†1570) Nr. 612†, Karl von Ortenburg (†1552) Nr. 633, Anton und Friedrich von Ortenburg (beide †1573) Nr. 637.

Nachweise

  1. Kdm NB XIV (Vilshofen) 235ff., 239, Fig. 176f.; Dinzinger, Hans Pötzlinger 105-149; Meys, Memoria 622.

Zitierhinweis:
DI 101, Landkreis Passau II, Nr. 280 (Ramona Baltolu / Christine Steininger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di101m019k0028001.