Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 274† Bad Hersfeld, Stiftskirche/Stiftsruine 1606

Beschreibung

Grabplatte des Abtes Joachim Roell. Der genaue Standort nicht präzisiert. Die Nachzeichnung zeigt die hochrechteckige Platte mit Umschrift (A) zwischen Linien oder abgrenzendem Relief, im Feld ein Vollwappen. Darunter ist ein leerer Rollwerkrahmen für ein Grabgedicht, ein Bibelzitat oder einen räsonierenden Text gesetzt; der Inhalt wurde entweder unterschlagen oder der Rahmen nie ausgefüllt.

Nach Schlegels Nachzeichnung.1)

Schriftart(en): Kapitalis.

© Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz; Forschungsbibliothek Gotha (Thomas G. Tempel (Repro)) [1/1]

  1. ANNO D(OMI)NI 1606 DIE 27.a) FE=/BRVARII PLACIDE IN CHR(IST)O OBYT REVERENDISS(IMVS) / PRINCEPS AC D(OMI)N(V)S D(OMI)N(V)S / IOACHIMVS CONFIRM(ATVS) ABBAS ECCL(ES)IAE HERSFELD(ENSIS) R(EQVIESCAT) I(N) P(ACE)b)

Übersetzung:

Im Jahre des Herrn 1606, am 27. Februar starb sanft in Christo der hochwürdigste Fürst und Herr, Herr Joachim, bestätigter Abt der Hersfelder Kirche. Er ruhe in Frieden.

Wappen:
Stift Hersfeld/Roell2)

Kommentar

Joachim Roell, Kanoniker im fuldischen Rasdorf, 1582 ins Hersfelder Kapitel aufgenommen und schließlich letzter Abt von Hersfeld (Nr. 211/PPP), wurde nach der Resignation des nicht bestätigten Abtes Crato (Kraft) Weiffenbach (Nrr. 202, 211/OOO) als katholischer Kandidat am 27. Oktober 1592 gewählt und von Papst und Kaiser bestätigt, wie auch sein Titel stolz und in Abgrenzung zu nicht bestätigten Äbten kündet. Trotzdem verfügte er über ein gutes Verhältnis zum Landgrafen Moritz I. in Kassel, dessen Vater Wilhelm IV. ihn sogar schon 1581 zur Nachwahl vorgeschlagen hatte.3) Die Jahrzehnte alten Probleme ruhten offenbar wegen der gemeinsamen Leidenschaft für Wissenschaften und Studien, auch wegen der gemeinsamen Interessen an der wirtschaftlichen Fortentwicklung des Landes – man vergleiche die hessischen Aktivitäten zur Schiffbarmachung der Fulda (Nr. 251) bis Hersfeld – und weil Abt Joachim die Machtverhältnisse und konfessionellen Sachstände nicht antastete, also die protestantischen Pfarrer und Lehrer unbedrängt gewähren ließ.4) Eine von ihm in Auftrag gegebene Glocke (Nr. 272) hängt im Turm der Ev. Pfarrkirche von Philippsthal; ihr Text ist allerdings konfessionell unbedenklich, die Engel mit Medaillons anscheinend auch.

Die inneren Verhältnisse des Stifts besserten sich auch durch den Rückfall von Einkünften nach dem Tod Weiffenbachs (1595)5) und die Nachwahl des wie Roell aus dem fuldischen Rasdorf stammenden Nikolaus Selig (Seelig), der später als Propst den Petersberg führte.6)

Seiner Stiftskirche, die anscheinend wegen der Zerstörungen im Bauernkrieg noch 1571 nicht geeignet war, die Einsetzung von Roells Vorvorgänger Ludwig Landau (Nrr. 213 f.) zu beherbergen,7) stiftete Roell die Erneuerung des verfallenen Dachs. Bei dieser Gelegenheit ließ er die vergoldete Schwurhand, die angeblich als Zeichen der Privilegierung durch Karl d. Gr. auf das Dach gesetzt worden war, in der Kirche aufhängen und durch eine neue ersetzen. Darin befand sich eine Pergamenturkunde vom 12. September 1594 mit den entsprechenden Fakten.8)

Nach Roells Tod am 24. Februar 16069) übernahm der schon 1604 zum Koadjutor berufene hessische Erbprinz Otto (Nr. 304) als Administrator das Stift. In welchem zeitlichen Abstand davor oder danach das gemäß der Nachzeichnung inschriftenlose (!) Epitaph (Nr. 275) anzusetzen ist und wer seine Aufstellung veranlaßte, bleibt offen. Die Nachzeichnungen bei Schlegel übermitteln einen dreizonigen Aufbau mit der doppelten Darstellung einer rechts vor einem Kruzifix knienden Person, beide Male des Abtes (?), anscheinend aber in verschiedenen Funktionen, und einer Ädikula im Giebel, der eine Auferstehungsszene eingestellt ist. So machen die beiden Denkmäler für Roell einen unfertigen Eindruck; die besonderen Umstände der Nachfolge durch den weltlichen Prinzen und somit nur Administrator Otto Landgraf von Hessen könnten diesen Umstand erklären.

Textkritischer Apparat

  1. Sic; der 27. Februar ist der Begräbnistag, Roell starb am 24. Februar 1606, vgl. unten bei Anm. 9.
  2. Schlegel löste falsch auf zu R(OMANI) I(MPERII) P(RINCEPS).

Anmerkungen

  1. Die Großbuchstaben in Schlegels Zitat sind wegen der realistischen Nachzeichnung nicht mehr als bloße Hervorhebung bzw. Zitiermanier zu verstehen und bestätigen eine Zweilinienschrift, vgl. unten im Kommentar; Kürzungen könnten Gesehenes wiedergeben; U und V wurden hier nicht normalisiert.
  2. Quadriert: 1/4. Stift Hersfeld; 2/3. Roell; Helmzier: Mitra mit Stab Stift (Hersfeld) und krönendem Federbusch (Roell).
  3. Vgl. Neuhaus, Instruktion; Neuhaus, Beiträge 21 f.
  4. Vgl. Demme, Nachrichten I 83 ff.
  5. Vgl. zu Problemen der Nachwahl, oben Anm. 3, und zum Verhältnis Roells zu Weiffenbach Neuhaus, Streitigkeiten.
  6. Vgl. ebd. 85 und unten Nr. 316.
  7. Demme, Nachrichten I 73.
  8. Ebd. I 84 Anm. 1 nach Winkelmann, Beschreibung 258 f.
  9. Demme, Nachrichten I 91 und Beilage 113.

Nachweise

  1. Schlegel, Abbatia, fol. 192r (Nachzeichnung), 194r (Zitat der Grabplatte oder des Epitaphs).
  2. Schlegel, Abbatia (Hs. Gießen) 426.

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 274† (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0027408.