Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 198† Rotenburg, ehem. Stiftskirche St. Elisabeth 1580?

Beschreibung

Epitaph des Amtmanns Johann von Ratzenberg. Das steinerne Denkmal hing auf der Südseite des Langhauses an der Wand rechterhand des Portals. Da es der Gewährsmann als „von künstlicher Arbeit“ beschreibt, handelte es sich wohl um ein größeres, vielleicht ädikulaartiges Objekt mit eine Nische umgebender Architektur. Im „Feld“ knieten „5 à 6 ... geharnischte Männer und so viele Matronen im trauer habit“, kaum „5 bis 6“, sondern 5 von 6 geharnischt. Das Epitaph zeigte also wie üblich auf der linken Seite den Vater mit seinen Söhnen und auf der rechten Seite die Mutter mit ihren Töchtern vor einem Kruzifix kniend. Flankiert wurde das Feld offenbar von Pilastern, die jeweils sieben Wappen trugen; Lucae nennt insgesamt 14 und betont, daß sie ohne Beischriften waren. Die Inschrift war im Sockel angebracht.

Nach Lucae.

  1. Anno 15[22]a) ist der edle und [edle]b) Johann von Ratzenberg im Herrn seelig entschlaffen, seines Alters [56]a) iahr

Kommentar

Epitaphien, die wie hier die Familie des oder der Verstorbenen kniend aufgereiht zeigen, lassen sich erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nachweisen. Im Rheingau-Taunus-Kreis stammt das erste Denkmal mit einer solchen Darstellung aus dem Jahr 1582, in der Region Stadt Darmstadt und Landkreise Darmstadt-Dieburg und Groß-Gerau aus dem Jahr 1589 und im Odenwaldkreis von 1596.1) An anderen Orten gibt es noch etwas ältere Exemplare dieser Art.2) Das Denkmal kann also nicht 1522 entstanden sein, wie es Lucae überliefert.

Es stellt sich die Frage, ob es sich um das Epitaph jenes Johann von Ratzenberg handelt, der jahrelang als Amtmann zu Sontra und Rotenburg tätig war und 1580 starb. In einem Brief an Landgraf Wilhelm IV. aus dem Jahr 1578 schreibt Ratzenberg, er habe nun 50 Jahre im Dienst des Landgrafen gestanden.3) Das läßt sich aber mit der Altersangabe des Epitaphs von 56 Jahren nicht vereinbaren. Es könnte sich somit auch um das Epitaph eines bisher unbekannten hessischen Amtmanns Johann von Ratzenberg handeln, der in einer bei Lucae überlieferten Bauinschrift (vorangehende Nr.) genannt wird, die sich aber ebenfalls nicht exakt datieren läßt. Die von Lucae angegebene Jahreszahl ist definitiv falsch.

Man wird den Verstorbenen der vorliegenden Inschrift auch nicht einfach als einen Sohn des 1580 verstorbenen Ratzenberg identifizieren können, da er weder in den niederhessischen Amtslisten vorkommt noch eine seiner Herkunft aus einer wohlhabenden Großfamilie entsprechende Karriere gemacht zu haben scheint, denn die hessischen Quellen schweigen. Das Problem liegt wiederum in der mangelhaften Zuverlässigkeit Lucaes, der zweifelsohne das Sterbejahr verlesen und höchstwahrscheinlich auch den Todestag unterschlagen hat und sich gewiß auch bei der Lesung der Epitheta irrte. Insofern muß man eine fehlerhafte Lesung der wohl stark beeinträchtigten Inschrift voraussetzen und darf vor allem bei den Zahlen Irrtümer unterstellen.

Unter dieser Voraussetzung kann es sich sehr wohl um das Epitaph für den Rotenburger Amtmann Johann von Ratzenberg handeln, der 1580 starb. Er soll angeblich 1510 geboren sein.4) Wäre er wirklich vor 1520 geboren, also etwa mit 66 (so ggf. verlesen zu 56) gestorben, dann hätte seine Karriere in landgräflichen Diensten kurz nach 1530 begonnen, denn spätestens 1535 war er Kammerdiener des Landgrafen.5) Sie hätte also 1578 knapp unter 50 Jahre gedauert. Die im Brief an den Landgrafen (siehe oben) genannten 50 Dienstjahre sind ohnehin nur eine Rundung. Wie man das Todesdatum 24. oder 25. März 15806) zu 1522 verlesen kann, ist damit noch nicht geklärt. In der Zahl 1522 könnten auch Reste von Todesjahr und dem in der Überlieferung fehlenden Tagesdatum verschmolzen sein.

Ein 1594 und 1593 im Umkreis der Familie genannter Johann Heinrich (!) von Ratzenberg7) ist mit dem Amtmann Johann oder einem gleichnamigen Nachfolger nicht zu verwechseln, auch weil eine Karriere auf dieser Ebene nicht erkennbar ist.

Textkritischer Apparat

  1. In eckigen Klammern die vermuteten Fehler der Überlieferung.
  2. Hier liegt wohl ein Lesefehler Lucaes vor, da die Formel der edle und edle sonst nicht nachweisbar ist. Möglicherweise lautete die Formel der edle und ehrenfeste oder der edle und feste.

Anmerkungen

  1. DI 43 (Rheingau-Taunus-Kreis) Nr. 501; DI 49 (Darmstadt, Darmstadt-Dieburg und Groß-Gerau) Nr. 263; DI 63 (Odenwaldkreis) Nr. 228.
  2. 1559 in Halle/S., vgl. DI 85 (Halle) Nr. 176; 1561 in Worms-Herrnsheim, vgl. DI 29 (Worms) Nr. 477; 1567 in Hannoversch Münden, vgl. DI 66 (Lkr. Göttingen) Nr. 175; Kronberger Familienbild von knapp vor 1567, vgl. künftig DI 87 (Hochtaunus- und Main-Taunus-Kreis) – Mittlerweile erschienen als DI 97 (Hochtaunuskreis und Main-Taunus-Kreis) Nr. 101.
  3. Henn, Johann von Ratzenberg 25; vgl. zu ihm auch Gundlach, Zentralbehörden III 197 und Nr. 144 sowie vorangehende Nr.
  4. StadtA Kassel, Abt. E2, Nr. 647: Porträt des Johann von Ratzenberg, angeblich * um 1510, † März 1580.
  5. Vgl. Gundlach, Zentralbehörden III 197; Henn, Johann von Ratzenberg 12–25.
  6. An dem Todesjahr 1580 ist nicht zu zweifeln, da es sich nicht aus der Nachfolge Keudels ableitet, sondern aus Informationen zum Testament Ratzenbergs und zur Witwenschaft seiner Frau, vgl. Henn, In diessen seltzamen, geschwinden und arglistigen zeiten 122 zum Todestag. Weitere Informationen finden sich in HStA Marburg, Best. 17d, von Ratzenberg 1 (Vormundschaft), ebd. 5 (Lehensliste Ratzenbergs 1580, Witwe 1580), ebd. 6, 14, 15 (Streit um Testament 1580); HStA Marburg, Best. 17e, Rotenburg 50 und Walburg 1 (Witwe 1580); HStA Marburg, Best. 4f Staaten Z–U, Nr. Württemberg 182 (Tod 1580).
  7. HStA Marburg, Best. 17d Nr. von Ratzenberg 22 und 5.

Nachweise

  1. Lucae, Kleinod 305 (126).

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 198† (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0019804.