Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 185 Wehrda (Haunetal), Evangelische Kirche 1567–ca. 1573

Beschreibung

Glockenrede und Meisterinschrift auf einer rückgeführten Glocke im Turm der Kirche (12/23/140). Die auf der Schulter umlaufende Inschrift wird oben von Doppelstegen mit einem Zinnenfries begrenzt und unten von einem einfachen Steg mit hängendem Kleeblattbogenfries, der an den Enden kleine Kreuzblumen trägt. Der Beginn der Inschrift ist durch ein Kreuz markiert. Als Worttrenner dienen kleine Glocken.

Maße: H. 88, Dm. 105, Bu. 3,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

© Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Sebastian Scholz) [1/1]

  1. + zu ∙ gottes ∙ lob ∙ vnd ∙ dinst ∙ gehor ∙ ich ∙cristof ∙ glockengieser ∙ zv ∙ nvrmberg ∙ gos ∙ mich ∙amen

Versmaß: Deutsche Reimverse.

Kommentar

Die Inschrift ist in einer vollentwickelten gotischen Minuskel im Vierlinienschema ausgeführt. Die Schäfte von b, h, l und k sind oben gespalten.

Der auf der Glocke genannte Gießer Christof Glockengießer wurde am 6. Mai 1529 in Regensburg als Sohn des gleichnamigen Stadtkämmerers geboren. Dieser starb am 6. Oktober 1539, und seine Frau heiratete am 5. September 1540 Hans Glockengießer, der mit ihrem Mann verwandt und in Nürnberg als Glockengießer tätig war. Bei ihm ging Christof in die Lehre. Im Jahr 1556 heiratete er Katharina, die Tochter des Glockengießers Sebald Behaim, die am 20. Juli 1564 starb. Zwei Jahre später heiratete Christof dann Barbara Degir (1548–1583).1) Nach dem Tode seines Stiefvaters am 9. September 1559 übernahm Christof offiziell die Leitung der Hütte, die er bis zu seinem Tode im Jahr 1594 innehatte.2)

Die Hütte brachte unter ihm eine große Anzahl sehr ähnlicher Glocken hervor, die fast alle eine Inschrift in gotischer Minuskel mit kleinen Glocken als Worttrennern zwischen Stegen mit identischer Verzierung aufweisen.3) Bis zum Jahr 1573 tragen die datierten Glocken zudem sehr ähnliche Glockensprüche.4) Da aber eine Reihe von Glocken mit diesen Inschriften nicht datiert sind, läßt sich aus dem Wechsel der Glockensprüche auf den datierten Glocken nach 1573 kein sicheres Datierungskriterium ableiten. Dennoch wird man festhalten müssen, daß der vorliegende Text in Mittelfranken letztmalig 1573 erscheint und auf den datierten Glocken, die nur bis 1581 reichen, völlig andere Texte vorkommen.5) Wenngleich das Bildmaterial im Glockenatlas von Mittelfranken nicht ausreicht, zeichnet sich auch in der Analyse der Schrift eine relative Frühdatierung ab, denn auf der Glocke von 1571 in Reuth unter Neuhaus (Gemeinde Ettenstatt, Lkr. Weißenburg-Gunzenhausen) sind auch die Schäfte des t manieriert gespalten, während die Minuskeln der Glocke von 1564 in Eschenbach (Gemeinde Pommelsbrunn, Lkr. Nürnberger Land) noch gar keine Schaftspaltung aufweisen; in Wehrda ist Schaftspaltung bei b(?), h, l und k vorhanden, beim t dagegen nicht. Dieser Umstand wirkt wie ein Indiz für eine Zwischenphase, zumal das t mit Schaftspaltung in die Schrift des gleichnamigen Nachfolgers, etwa 1607 in Dottenheim (Gemeinde Dietersheim, Lkr. Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim), übernommen wurde, also als Anzeichen für späte Glocken des Vaters angesehen werden kann.6)

Wieder ein unzuverlässiges Kriterium ist die Beobachtung, daß auf den datierten Glocken nach 1588 die bisher gebräuchliche Schreibung cristof durch christof abgelöst wird. Denn die neue Schreibung könnte sich auf Christof Glockengießers gleichnamigen Sohn beziehen, der seine Glocken stets mit christof glockengiesser signierte und möglicherweise ab 1588 in der Werkstatt des Vaters mitarbeitete.7) Die relative Frühdatierung der Glocke bis spätestens 1573 nach formalen Indizien kann noch weiter hinaufgeschoben werden, wenn man die konzentrierten Daten zur Bauausführung (Nrr. 165, 166, 167, 168, 170) als Ausdruck eines eiligen Bauvorhabens durch die von Trümbach wertet, die ihre neue Kirche und somit ihre Grablege schon ab 1570 (Nrr. 172 f.) nutzten.

Auffällig an den Glocken ist das lange Festhalten an der gotischen Minuskel, die in anderen Gießhütten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts längst durch die Kapitalis verdrängt worden war. Nach Sigrid Thurm hat Christofs Stiefvater Hans Glockengießer Model verwendet, die ursprünglich aus der Hütte des Sebald Behaim stammten und durch die Heirat Christofs mit Katharina Behaim in die Familie Glockengießer kamen. Die Minuskeln auf den Glocken Christofs zeigen allerdings einen anderen Duktus als jene aus der Behaimschen Hütte.8) Das Festhalten an traditionellen Formen hat der Nachfrage nach Glocken aus der Hütte Christofs jedenfalls nicht geschadet, denn außer im gesamten fränkischen Raum lassen sich Glocken von ihm auch in Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen nachweisen.9)

Anmerkungen

  1. DGA Mittelfranken 95, Anm. 158.
  2. DGA Mittelfranken 44, siehe Details auch bei Anm. 1.
  3. Vgl. die Zusammenstellung bei DGA Mittelfranken 444.
  4. Neben dem auf der Glocke von Wehrda vorhandenen Spruch, der sich auch auf Glocken von Christof Glockengießer in Fürth-Poppenreuth (1564), Ostheim (1564), Pfofeld (1569), Offenhausen (1572), Allersberg (1570) und Gutenstetten (1573) nachweisen läßt, vgl. DGA Mittelfranken 222, Nr. 460; 246, Nr. 569; 247, Nr. 572; 261, Nr. 634; 264, Nr. 643; 293, Nr. 784, kommen auch die Wendungen wie zu gottes lob gehor ich, zu gottes ehr und dinst gehor ich oder zu gottes lob und ehr gehor ich vor, vgl. DGA Mittelfranken 254 f., Nr. 608; 281, Nr. 729; 203, Nr. 377.
  5. Ähnliches läßt sich anhand des DGA Württemberg und Hohenzollern beobachten, vgl. Beleg ebd. 651.
  6. Vgl. die Belege in DGA Mittelfranken 44–46 mit Abb. 47–49.
  7. DGA Mittelfranken 44.
  8. Vgl. DGA Mittelfranken, Abb. 84/85, 86, 91, 92, 94.
  9. DGA Mittelfranken 95, Anm. 158; die Glocke in Wehrda wird nicht erwähnt.

Nachweise

  1. Sturm, Bau- und Kunstdenkmale des Fuldaer Landes II 437 f.
  2. www.hr-online.de/website/specials/glocken/index.jsp?rubrik=51787&key=standard_document_40882071 (konsultiert am 24. 7. 2013).

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 185 (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0018508.