Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 144 Rotenburg, Steinweg 15 1555

Beschreibung

Bauinschrift in dem aus rotem Sandstein gefertigten Sturz eines Fensters im Erdgeschoß. Die Inschrift ist in drei Zeilen ausgeführt, wobei die Wörter nie gleichmäßig in der Zeile stehen, sondern stark nach oben und unten abweichen. Die Buchstaben sind mit goldener Farbe nachgezogen.

Maße: Bu. 4,5 cm.

Schriftart(en): Mischminuskel mit Versalien.

© Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Sebastian Scholz) [1/1]

  1. Alls man zallte taussent funff hundert funff=/ziga) funff da die welt so vntrew war hab ich / Ioha(n)b) von Razenbergk dis Haus gebawett

Kommentar

Die unbeholfen ausgeführte Inschrift zeigt die Merkmale der Fraktur nur in Ansätzen, etwa bei unter die Grundlinie gezogenen f und langen s. Die Unterlänge des g ist schlingenförmig, und viele Brechungen sind zu Rundungen aufgelöst. Schwellzüge fehlen dagegen ganz. Von den Versalien zeigt nur das R Frakturmerkmale, während A, H und I als Kapitalisbuchstaben gestaltet sind; mehrere Gemeine sind wie lateinische Schriften gerundet, während andere Buchstaben unorganische Ecken aufweisen wie das rautenförmige o, auch viele u; a kommt ein- und zweistöckig vor, Schluß-s ist immer rund.

Johann von Ratzenberg ist bereits im Januar 1535 als Kammerdiener Landgraf Philipps des Großmütigen nachweisbar; in einem Brief an den Landgrafen Wilhelm IV. hatte er im Jahr 1578 sogar behauptet, er stehe schon 50 Jahre in landgräflichen Diensten. Nachdem er 1546 für kurze Zeit als Amtmann in Fürstenberg im eroberten Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel eingesetzt worden war, wurde er 1548 zum Amtmann zu Sontra bestellt. Im Jahr 1567 wurde er dann von Landgraf Wilhelm IV. zum Amtmann von Sontra und Rotenburg ernannt. In diesem Amt blieb er wohl bis zu seinem Tod 1580 (Nr. 198).1) Ratzenberg war in erster Ehe mit einer Tochter des Hermann von Hundelshausen verheiratet. In zweiter Ehe heiratete er 1577 Katharina von Oeynhausen.2)

Die Formulierung da die welt so vntrew war hat scheinbar keinen konkreten Bezug zu Ratzenbergs Biographie. Solche oder ähnlich resignierende Sprüche lassen sich im 16. Jahrhundert auch in anderen Fällen an Häusern nachweisen.3) Immerhin mochte diese Passage Ratzenbergs zwiespältige Erinnerung an Täuschungen und Wortbrüche seiner Dienstherren und der hessisch-landgräflichen Regierung während der Gefangenschaft Landgraf Philipps zum Ausdruck bringen, als er mehrfach für Befreiungspläne engagiert wurde, jedoch einem selbstmörderischen Unternehmen ferngeblieben war.4)

Das Haus, ehemals „Alte Landvogtei“, besteht aus zwei massiven Geschossen und drei weiteren aus niedersächsisch beeinflußtem Fachwerk.5)

Textkritischer Apparat

  1. Das Trennzeichen nicht ausgemalt, mit Farbe bis zur Unkenntlichkeit verwischt.
  2. Vor dem h anscheinend ein ungültig gemachter Buchstabe.

Anmerkungen

  1. Gundlach, Zentralbehörden III 197; Henn, Johann von Ratzenberg 12–25, der besonders auf die Konflikte zwischen Ratzenberg und seinen Landesherren eingeht; ebd. 25 zum Brie f.
  2. Gundlach, Zentralbehörden III 197 f., Henn, In diessen seltzamen, geschwinden und arglistigen zeiten 20.
  3. Vgl. etwa DI 49 (Darmstadt, Darmstadt-Dieburg und Groß-Gerau) Nr. 175 mit der lateinischen Version Nusquam tuta fides.
  4. Vgl. Henn 14 f. zu den Plänen und 19 zur Deutung der Textpassage.
  5. Dehio.

Nachweise

  1. Rotenburg. Kleinod 34.
  2. Kemp, Kulturdenkmäler II 836.
  3. Henn, Johann von Ratzenberg 19.
  4. Dehio, Hessen I (2008) 790 (erw.).

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 144 (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0014407.