Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 140 Bad Hersfeld, Stiftskirche/Stiftsruine 1. H. 16. Jh., 16.–1. H. 17. Jh.

Beschreibung

Namen und weitere Inschrift auf einem Quaderstein aus rotem Sandstein, außen an der linken Fensterlaibung der Turmstube des Westturms, unterer Quader.1) Die Inschriften (A) und (B) stehen in der unteren Hälfte des Quaders jeweils links und unter einem durchbohrten Herzen sowie innen links unter einem solchen und weisen keinen erkennbaren Zusammenhang auf. Am Ende der Inschrift (B) beginnt auf der Kante die Inschrift (C) auf der Innenseite der Laibung. Auf der zum Raum weisenden Seite des Quaders ist ein Kreuz durch Schrotung auf den Stein gebracht; dadurch könnte bei den Inschriften (A) und (B) Buchstabenbestand verschwunden sein; über den Kreuzarmen stehen die Buchstaben des Titulus in Zweiergruppen (D).

Maße: Bu. 2–2,5 (A), 3 (B, C), 3–3,3 (D) cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel (A, B) mit Versal (A), Kapitalis (C), Kapitalis mit Minuskel (D).

© Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/3]

  1. A

    [..] Wolff[.]a)

  2. B

    [..]grorut ∙ [h]rorb)

  3. C

    REITZc)

  4. D

    I(ESVS) N(AZARENVS)d) // R(EX) I(VDEORVM)2)

Kommentar

Die Minuskelschriften lassen sich nicht wie andere Inschriften des Umfeldes (Nrr. 90, 94, 100 u. ö.) in die Nähe der Jahrhundertwende, sondern erst in spätere Zeit datieren, weil nicht alle Buchstaben mit den regelhaften Brechungen versehen sind, die f unter die Grundlinie reichen und die o teils rund sind. Der Versal W und unterdrückte Brechungen der Minuskel weisen ebenfalls auf eine jüngere Entstehungszeit, wenngleich die kastenartigen g denen der Inschrift Milsing (Nr. 100) gleichen.

Der Name Reitz ist wesentlich jünger, stammt vielleicht sogar aus dem 18. Jahrhundert, aus dem sogar datierte Graffiti und Inschriften bekannt sind.3) Es erschien reizvoll, diesen Namen dem Hersfelder Ratsschöffen Heinrich Reitz zuzuschreiben, der als Sympathisant der aufständischen Bauern im Jahr 1525 nach deren Vertreibung durch landgräfliche Truppen in Haft genommen und später des Landes verwiesen wurde.4) Die mehr als üblich stilisierten Schriftformen dieses Namens sind jedoch kaum in diese Zeit zu setzen. Im Jahr 1604 gestaltete der Hersfelder Maler Meister Reitz den Prospekt der 1603 von Landgraf Moritz für die Jakobikirche in Rotenburg gestifteten Orgel (Nr. 267). Der Name Reitz steht allerdings nochmals ohne weitere Zutaten, doch in ähnlicher Schriftform neben jenen von im 18. Jahrhundert ihren Aufenthalt im Karzer dokumentierenden Schülern (Nr. 104). In Hersfeld kann Reitz Tauf- oder Familienname sein.5)

Textkritischer Apparat

  1. Bei Hörle Wolfp(?) gelesen. Es handelt sich aber sicher um den Namen Wolff mit einer Endung, die durchaus in Wolffi(us) münden könnte. So wird der Name wie bei Hermann Wolffius 1637 und bei Franz Wolffius 1657 in den Matrikeln des Hersfelder Gymnasiums geschrieben, vgl. Hafner, Schülerverzeichnisse 8 Nr. 31, 71 Nr. 292. Wölfe waren 1577, 1581, 1615 und 1618 sogar Bürgermeister, vgl. Demme, Nachrichten I 378 ff.
  2. Das letzte r auf der Kante des Quaders, rechts davon nichts mehr, nur noch (C). Hörle versuchte die Deutung gratior ut gratior und übersetzte: „je lieber Du, je lieber Ich“. Das zweite g kann wegen fehlender Unterlänge nicht bestätigt werden; alle Merkmale lassen sich – trotz der eigenwilligen Ausführung – mit einem h vereinbaren.
  3. Das Z leicht nach rechts unten kippend; weitere dünnstrichige Buchstaben darunter sind nicht lesbar.
  4. Das n kein wirklicher Minuskelbuchstabe, sondern ein unten offenes Rechteck. Eigentümlicherweise gleicht es dem hebräischen Buchstaben Keth (ח), nicht einem Nun (נ).

Anmerkungen

  1. Christian Bauer (Reversio, Bad Hersfeld) sei für die erste photographische Dokumentation der Inschrift herzlich gedankt.
  2. Nach Joh 19,19.
  3. Vgl. Hörle 140 f., der den Namen Reitz ins 18. Jahrhundert datiert.
  4. Vgl. Demme, Nachrichten I 50 nach Piderit.
  5. Vgl. Schmidt, Bürgerbücher Nrr. 42 (Reitz Handwerk von Heenes, 1594), 54 (Ritz Schefler, der Maler, 1595), 134 (Klaus Reitz, 1605), 293 (Reitz Kehr aus Hersfeld, 1628), 2795 (Johann Heinrich Reitz aus Niederkleen, 1761).

Nachweise

  1. Hörle, Hersfelder Inschriften (vor 1513) 140 (A–C).

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 140 (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0014001.