Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)
Nr. 122 Obersuhl (Wildeck), Evangelische Kirche 1518
Beschreibung
Jahreszahl (A) und Namen als Bauinschrift (B) in zwei Fensterstürzen. Die Bauzahl (A) befindet sich im Sturz aus rotem Sandstein auf der Ostseite und (B) im Sturz aus gelbgrauem Sandstein auf der Nordwestseite im Obergeschoß des Chorturms. Als das Kirchenschiff im Jahr 1855 völlig neu errichtet wurde, blieb der Chorturm stehen.1) Die beiden gleichartigen Stürze sitzen zentriert auf den Fensterpfosten auf und bilden einen Ausschnitt von Vorhangbogenfenstern. Bei (A) steht die Zahl in einem rechteckigen eingetieften Feld, bei (B) der Text ebenfalls, dort sind alle Zeilen mittels erhabenen Stegen liniert, die Zeilen 2 und 3 durch die Fensteröffnung unterbrochen; nach bisheriger Meinung wird die Inschrift dort jeweils in der folgenden Zeile derselben Seite fortgesetzt; dieser Meinung wird unten ein anderes Arrangement entgegengesetzt. Die Ziffern und Buchstaben sind erhaben gearbeitet. In (A) dienen konturierte Quadrangel mit paragraphzeichenförmig ausgezogenen Zierstrichen als Zifferntrenner, in (B) einmal ein besonders großes als Trenner in der ersten Zeile. In der Mitte der Stürze ist auf der abgefasten Innenseite jeweils ein Steinmetzzeichen (Nrr. 3, 4) angebracht.
Die Inschrift ist bei Lucae als unprofessionelle Nachzeichnung überliefert. Sein Unvermögen, den Hersteller und den Stifter zu identifizieren, entschuldigt Lucae durch die große Höhe, „daß sie kein Auge recht erreichen noch unterscheiden kan“. Er zeichnete zwar einiges mißverständlich, aber immerhin nachvollziehbar die beschriftete Fensternische (B) und viele Textteile, fügte allerdings auch nicht nachvollziehbar „n.n.n.8.n.“ an; anscheinend meinte er damit die Bauzahl (A).
Schriftart(en): Ziffern, teilweise konturiert, und Gotische Minuskel, erhaben.
- A
∙ 1 ∙ 5 ∙ 18 ∙
- B
meister // herma(n) / Josa) // ∙ balser / pleba/n(us)b)
Übersetzung:
(B) Meister Hermann Jos(?); Balthasar, Pfarrer.
Textkritischer Apparat
- JQs[?] Großmann; bei Lucae dOB oder JOB. Eine hypothetische Ergänzung zu doc(tor) oder doc(tus) wird nicht von eindeutigen Zeichen gestützt; sie ist aus einer neuen Betrachtung des letzten Buchstabens höchstwahrscheinlich auszuschließen. Die Lesung muß im Rahmen der Schriftanalyse diskutiert werden.
- Rechts unten 119 Großmann. Hinter dem a könnte der Rest eines Trennzeichens stehen.
Anmerkungen
- Kemp 963.
- Großmann 3.
- Das ergeben sowohl die Pfarrerlisten bei Hütteroth, Pfarrer als auch die Namen landgräflicher Baumeister, vgl. etwa Gutbier, Hans Jakob von Ettlingen 244.
- Jost als Vorname eines hessischen Baumeisters Jost Riemenschneider in Kassel, vgl. HStA Marburg, Best. 3, Nr. 1503, ebd. Best. 40e, Nr. 967, alle 1525 und kurz danach.
- Vgl. Hütteroth, Pfarrer 549, auch nicht in der Landgrafschaft.
Nachweise
- Lucae, Kleinod 425 (Nachzeichnung A, B) (207 erw.).
- Großmann, Meister Balser 2 (A, B).
- Kemp, Kulturdenkmäler II 963 (A).
Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 122 (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0012203.
Kommentar
Bisher ging man davon aus, daß der spätgotische Chor und der sich darüber erhebende Turm 1518 unter dem Bauherrn Pfarrer Hermann (?) durch Meister Balser errichtet wurden, der sich namentlich jedoch sonst nicht nachweisen läßt; sein Name ist ausschließlich in dieser Inschrift belegt. Dieter Großmann möchte diesem in Obersuhl angeblich bezeugten Meister Balser aus stilistischen Gründen auch die Chorbauten in Kieselbach und Tiefenort, den Chorturm von Stadtlengsfeld, das Westportal der Kirche von Asmushausen und den Sakristeianbau in Treysa zuweisen.2) Die Trennung von deutschem Namen des Baumeisters samt seiner Funktionsbezeichnung und lateinischer Bezeichnung des geistlichen Bauherrn bei lateinisch wirkendem Namen schien zunächst stimmig, wenngleich die Namensgebung am Beginn des 16. Jahrhunderts bei beiden,3) eher jedoch beim Baumeister einen Nachnamen verlangt, denn der ortsbekannte Pfarrer mußte ja nicht so genau angesprochen werden. Gegenüber der sprachlichen Zuordnung könnte daher das Arrangement in Spalten an Gewicht gewinnen, das durch das übergroße Quadrangel in der ersten Zeile gestützt wird. Außerdem wäre so der Wechsel von der zeilenweisen Lesung – in der ersten Zeile las man früher meister ∙ balser – zur spaltenweisen vermieden und die Namen mit der neuen Lesung des Wortes unten links entsprächen auch häufigen sprachlich-ständischen Zuordnungen, in welchen den Laien ein deutscher Begriff (meister) und den Geistlichen ein lateinischer (plebanus) beigelegt werden.
Bei der erhabenen Minuskel ist die Gestaltung von unteren Schäften und Bogenabschnitten insofern bemerkenswert zurückgenommen, als sie kaum Brechungen und nur schwach erkennbar Quadrangel aufweisen. Solche fast stumpf endenden Minuskeln waren gerade in Verbindung mit einer in ein Zwei-Linien-Schema gedrängten Schrift ein Merkmal der frühen Verwendung im 14. Jahrhundert; das ist hier angesichts der Bauzahl 1518 auf dem Pendant nicht der Fall. Einige weitere Eigenheiten der Buchstabenbildung sind auf den Hersteller zurückzuführen, etwa die weit rechts beginnenden ausgedünnten oberen Bogenenden bei a, die Rundung des e-Bogens und vor allem die beiden Buchstaben des linken unteren Wortes: Unmittelbar vor dem leicht beschädigten runden s, das eindeutig gotische Brechungen und Ansätze des Diagonalstrichs zeigt, steht ein scheinbar versales O; vielleicht sind auch nur die Brechungen eines Minuskel-o reduziert. Auch dem ersten Buchstaben fehlen Brechungen, so daß er durchaus als unziales D gelten kann; möglich wäre auch ein unspezifisches J. Damit ergäbe sich der häufigere Name Jos/Jost/Just/Josten nebst weiteren Varianten, die auch als Patronyme akzeptabel wären.4) Keine der Namenskombinationen ist für einen Pfarrer in Obersuhl nachgewiesen.5)
Gegenüber zeitnahen Belegen (vgl. vorangehende Nummern) weist die rechtsgewendete 5 einen deutlich nach rechts durchgebogenen Schaft auf. Trotzdem kann die Zuweisung des Portals von Asmushausen (Nr. 116) bestehen bleiben, dessen Bauzahl wenig, aber doch deutlich in dem genannten Merkmal abweicht.