Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 119† Antwerpen, kaiserliche Geschützsammlung, aus Hersfeld 1518

Beschreibung

Geschütz der Stadt Hersfeld, der Größe nach ein Falkonett.1) Da es sich im Geschützbuch Kaiser Karls V. von 1552 und daher in seiner Geschützsammlung in Antwerpen befand, muß es zunächst nach dem Bauernkrieg von Landgraf Philipp beschlagnahmt worden sein, denn 1547 führt ein Verzeichnis von hessischen Geschützen in Gießen zwei Falkonette aus Hersfeld auf, während sich 1543 bei einer landgräflichen Erhebung zur Hersfelder Wehr keine solchen leichten Feldgeschütze finden.2)

Die Überlieferung ist nicht frei von Ungereimtheiten. Die Zusammenstellung der kaiserlichen Geschützsammlung und damit auch die Beuteschau des Schmalkaldischen Krieges umfaßt 520 Rohre in 203 Zeichnungen. Die größte Zahl der Geschütze, nämlich 170, stammt von Landgraf Philipp bzw. von den von ihm vorher zur Lieferung oder Unterstützung gezwungenen Städten oder Landständen3) oder gar aus Philipps Sickingen-Beute. Von den sieben erhaltenen Exemplaren des Werkes sind nur zwei, die Wolfenbütteler und die Wiener Handschrift, brauchbar,4) obgleich auch darin Fehler angenommen werden müssen. Der Zeichner bzw. Kommentator des Werkes sprach Spanisch, stammte also aus Spanien oder den spanischen Niederlanden. Daher dürfte ihm die Gotische Minuskel, mit der die allermeisten Geschütze beschriftet waren, nicht ohne Weiteres geläufig gewesen sein, zumal die Inschriften wiederum in den allermeisten Fällen in deutscher Sprache beschriftet waren – das ist in den deutschen Landen bei spätmittelalterlichen und frühmodernen Glocken und Geschützen gleichermaßen so.

Die Inschrift steht auf dem Bodenfeld, beginnend oben über dem Bodenstück nach einer Figur(?); die erste Zeile endet vor den Schildzapfen an einem Wappenschild (zwei weitere ovale Wappenschilde am Beginn des Langen Feldes) und setzt sich in zwei die erste flankierenden Zeilen fort, jeweils von der rechten Seite des Geschützes lesbar. Aus den verschiedenen Versionen wird der Text nach der Wolfenbütteler Handschrift (A1) vorgestellt und eine Deutung (A2) vorgeschlagen.

Nach Discurso bei Mozer.

© Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz; Herzog August Bibliothek Wolfenbuettel (Thomas G. Tempel (Repro)) [1/2]

  1. A1

    A(nno) d(omini) M vca) xviii iarb) gitc) von / hersfeltd) his ich [m]e) hiansf) / gos mich

  2. A2

    A(nno) d(omini) M vc xviii iargrim von / hersfelt his ichjung hans beten / gos mich

Versmaß: Deutsche Reimverse.

Wappen:
dreimal Stadt Hersfeld (Stiftskreuz)5)

Kommentar

Der Gießer Hans Beten (Betten) war vermutlich ein Verwandter des Klaus und des Martin Beten (Belege zwischen 1487 und nach 1552). Allerdings ist unklar, ob es sich um einen oder zwei Martin Beten handelte. Jedenfalls wurde ein Martin Beten 1529 Kasseler Bürger und goß die Mehrzahl der neuen landgräflichen Artillerie.6) Wo Hans Beten, sofern die Rekonstruktion der Inschrift stimmt, lebte und arbeitete, ließ sich bisher sich nicht ermitteln, doch wäre die Ausleihe eines landgräflichen Gießers an die verbündete Stadt Hersfeld im Jahre 1518 durchaus verständlich.

Man wird sich auch mit der Rekonstruktion des Namens Grim/Grimm anfreunden können, weil wohl im Jahre 1514 ein Hans von Eisenach ein Geschütz namens Grim vom Homberg goß.7)

Sollten die Buchstaben der Zeichnung im Geschützbuch ansatzweise den originalen Bestand wiedergegeben, jedenfalls soweit sie erkannt wurden, wird man für den Versal A den Einfluß der frühhumanistischen Kapitalis (trapezförmig mit Deckbalken) feststellen dürfen; weitergehende Einzelheiten der Minuskeln sind angesichts des modern wirkenden g (git) und der Leseschwierigkeiten beim Namen zu unsicher.

Textkritischer Apparat

  1. Keine Hochstellung erkennbar wie in der Umschrift der Hs. Kassel bei Mozer.
  2. Diese anscheinende Doppelung nicht ungewöhnlich, vgl. die Glocke von 1518 in Hilmes und die Trümbach-Grabplatte von 1556 (Nrr. 121, 147).
  3. In den beiden Hss. Wolfenbüttel und Kassel jeweils so, nach Beck Grimm, was bei aller Deutung für git = gitzen, pfeifen, zischen, brummen, so Mozer nach DWB, das jedoch eher giteln oder gitterig heißen müßte, oder mhd. nach Lexer gît = Geiz, Geschützbenennungen eher entspricht; man vgl. etwa die drohenden Namen, siehe Müller, Deutsche Bronzegeschützrohre 81, und entsprechende Inschriften. Siehe auch bei Anm. 7.
  4. Heesfelt Mozer nach Hs. Wolfenbüttel; Hesfert Mozer nach Hs. Kassel; Hessen nach Beck, angeblich auch nach Hs.Wolfenbüttel. Die Minuskelbuchstaben e und r sind leicht verwechselbar, Hessen aber wegen der Zeichenzahl und dem Wappen ausgeschlossen.
  5. An dieser Stelle hat die Hs. Kassel Junge, so nach Mozer; so auch Beck. m für m(eister) ist weniger wahrscheinlich, es kommt selten vor, bei den Beten (Bette) nicht, soweit ediert, vgl. Beck 437–441.
  6. Hans Beten nach Hs. Kassel bei Mozer, so auch Beck.

Anmerkungen

  1. Siehe bei Müller, Deutsche Bronzegeschützrohre 238 zum Typ; bei Beck Typ 10; ebd. 440 als Eineinhalbpfünder bezeichnet mit 5,5 cm Kaliber – Maße und Geschoßgewicht nach Discurso.
  2. Vgl. die Belege bei Mozer 42.
  3. Vgl. Müller, Deutsche Bronzegeschützrohre 12. Vieles geht aus dem Titel der Wolfenbütteler Handschrift hervor, vgl. Beck 431; darüber hinausgehend ebd. 435.
  4. Vgl. Müller, Deutsche Bronzegeschützrohre 12, die Hss. ebd. 242; Beck 431 zog nur das ihm am besten gezeichnet erscheinende Wolfenbütteler Exemplar heran.
  5. Im Jahre 1518 war das noch das Stadtwappen.
  6. Vgl. Beck 433 u. 442 zu Rückeroberungen von Geschützen unter Wilhelm IV. (seit 1547 Regent) 1552 und anhaltender Tätigkeit Martins.
  7. Vgl. Beck 435 nach Hs. Wolfenbüttel.

Nachweise

  1. Discurso del artilleria del invictissimo emperador Carolo V, Antwerpen 1550–1552, bei Mozer, Hersfelder Geschütz 43 und mehrere Abb. nach der Hs. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 31 Helmst., fol. 47; Landesbibliothek Kassel, 2° Ms. Math. 3, fol. 72.
  2. Beck, Artillerie Philipps 440.

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 119† (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0011905.