Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 106 Niederaula, Evangelische Kirche 1506

Beschreibung

Glocke, nach Osten hängend, mit schlichter Haube und zwischen sechs Rundstegen umlaufender Inschrift. Oben stehende, unten hängende Lilien, locker verteilt; zwischen den äußeren Stegen ebenso locker verteilt Rosetten. 676 kg (Glockenaufnahme des Kreissammellagers Rotenburg an der Fulda, Aktenzeichen 12/21/63C).

Maße: H. 84, Dm. 104, Bu. 3,2–3,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

© Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/6]

  1. Anno d(omi)ni m ccccc via)de lebendigen heisb) ichdec) toten bewein ich ·osannAd) heis ichhans obentbrot gAuse) // mich

Versmaß: Deutsche Reimverse.

Kommentar

Die Glocke greift die im Bestand erstmals 1487 in Ronshausen (Nr. 85) nachweisbare Glockenrede auf, die 1498 im deutschen Formular zuerst in Nentershausen (Nr. 95) vorkommt. Gegossen wurde die Glocke von dem Erfurter Gießer Hans Abendbrot (Obentbrot o. ä.),1) Vater des Cornelius (Nrr. 134 f.), der noch fast ausnahmslos Minuskeln verwendete. Das Formular stimmt mit seinen beiden zeitnahen Glocken (1506) in Großreutersdorf und Camburg überein, in Großreutersdorf sogar hinsichtlich des Wortes gaus, wenngleich das dortige Original leicht abweichende Schreibungen aufweist.2) Bei den Minuskeln, die der Gießer neben der frühhumanistischen Kapitalis benutzte,2) ist auf eine Reihe verwechselter bzw. verstümmelter Buchstaben, auch, wie beim Wort lebendigen, auf Unregelmäßigkeiten des Gusses und der Buchstabenpositionierung überhaupt hinzuweisen. Das kapitale A stammt aus der Alternativschrift2) der Werkstatt; der Versal von Anno ist eine eigenwillige Kreation aus einer Kombination von Unziale und Minuskel-alpha, eigentlich und umso erstaunlicher eine Umsetzung aus der spätgotischen Kurrentschrift.

Im Gußjahr, am 12. Juni, quittierte der Gießer Hans Abentbrot den Altarleuten Henne Faupel und Hen Jungkort den Erhalt von 135 Gulden für die Glocke von 13,5 Zentnern und 5 Pfund, „den Centner um 5 Gulden“.3) Nach dem Guß der Glocke von 1492 (Nr. 91) ergänzte man offenbar bald das Geläute.

Textkritischer Apparat

  1. Das v eigentlich ein b, da links oben eine Brechung fehlt.
  2. Der Langschaft des h knapp über der Mitte abgeschnitten.
  3. Das d rechts unten mit einer Brechung nach rechts wie bei einem a.
  4. Sic!
  5. Sic, nicht gAns wie Glockenkartei.

Anmerkungen

  1. Zu ihm Walter, Glockenkunde 828; Eichler, Handbuch 28 und folgende Anm., jeweils mit weiterführender Literatur.
  2. DI 39 (Lkr. Jena) Nrr. 102 mit Abb. 45 (Frühhumanistische Kapitalis in Umzeichnung), 104 (Minuskel gemäß Beschreibung).
  3. Heußner 8 nach HStA Marburg, Best. Urk. 56, Nr. 1307 vom 12. Juni 1506.

Nachweise

  1. Heußner, Chronik von Niederaula 7.
  2. Schoof, Hess. Glockenstudien II 110.
  3. Karteikarte im Glockenarchiv des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg (12/21/63C).
  4. Classen, Niederaula 299 f.

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 106 (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0010603.