Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 103 Bad Hersfeld, Stiftskirche/Stiftsruine E. 15.–A. 16. Jh.

Beschreibung

Bibelzitat auf einem Quader aus rotem Sandstein, innen in der rechten Fensterlaibung der Turmstube des Westturms, unterer Quader.1) Auf der Außenseite zum Raum hin ein Wappen mit Beischrift (B) darüber, dort ist die Steinoberfläche noch stärker beschädigt als auf der Fläche mit der Inschrift.

Maße: H. 33, B. 40,5, Tiefe 39, Bu. 5,5 (A), 1,8–2 (B) cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien, Kapitalis (B).

© Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Christian Bauer, Bad Hersfeld) [1/2]

  1. A

    Expedit eni(m) Michia) / mori magis qva(m) / v(ivere)b)2)

  2. B

    [.] [V] Rc)

Übersetzung:

Denn es ist für mich besser zu sterben als zu leben.

Wappen:
unbekannt3)

Kommentar

Hörle ging davon aus, daß es sich bei dem angeblich in der Inschrift genannten Michael um Abt Michael Landgraf (Nr. 179 f.) handelte, der von 1554 bis 1571 die Abtswürde innehatte. Die Minuskel zeigt jedoch Formen, die wie das flachgedeckte g um 1500 typisch sind; zudem ist der Versal M, schmal mit schrägen Außenschäften und ganz kurzem Mittelteil, an Formen der frühhumanistischen Kapitalis angelehnt. Ähnliches gilt auch für das R der Inschrift (B), dessen leicht konvexe Cauda stumpf auf der Grundlinie steht. Die Inschrift dürfte also etwa in der Zeit entstanden sein, als auch die übrigen Inschriften in der Fensterlaibung angebracht wurden, also zwischen 1491 und 1500, oder wahrscheinlich kurz danach; das M stimmt mit dem der Inschrift von 1500 (Nr. 98) überein. Der schmale Duktus ist ebenfalls zeitgenössisch und gleicht dem der Inschrift Milsing (Nr. 100), doch befremdet die geringe und nicht von Platznöten verursachte Dimension der Unterlängen. Ein Tribut an die Moderne sind die gerundete Unterlänge des g und die ähnliche Rundung des v. Von einer gewissen Unsicherheit der Schrifthandhabung zeugt das lange Schluß-s in magis.

Die Inschrift reflektiert in dem Tobias-Zitat einerseits die mönchische Verachtung der Welt, der der Tod und die ewige Ruhe mit dem Segen Gottes vorgezogen wurde, andererseits, sofern man die Datierung in das 16. Jahrhundert weiter ausdehnt, den für protestantische Grabinschriften beliebten Zusatz vom Tod als Gewinn (Phil 1,21); den späten Ansatz lassen die Schriftformen aber nicht wirklich zu.

Textkritischer Apparat

  1. Die Lesung R(e)v(e)r(endo) Mich(ael)i bei Hörle führt auf eine ganz falsche Fährte, indem die Inschrift als Schmähung des Abtes Michael Landgraf (Nrr. 179 f., 211/MMM) gedeutet wurde.
  2. Nach dem ersten Buchstaben der Zeile wurde der Text, obwohl reichlich Raum und solide Oberfläche vorhanden ist, nicht fertig ausgeführt.
  3. An der Stelle eines ersten präsumtiven Buchstabens zuviel Oberflächenverlust. Zwar stehen die beiden übrigen Buchstaben nicht mittig, aber ein zusätzlicher Buchstabe würde das nicht verbessern – die Vertiefungen passen nicht zum vorhandenen Bestand mit tiefer Kerbe; es könnte sich allenfalls statt des V um ein W handeln. Der letzte Buchstabe ist kein k, denn der scheinbar über den Bogen reichende Schaft ist nur Produkt einer Beschädigung.

Anmerkungen

  1. Christian Bauer (Reversio, Bad Hersfeld) sei für die erste photographische Dokumentation der Inschrift herzlich gedankt.
  2. Tob 3,6.
  3. Fünffachpfahl, belegt mit einer Leiste.

Nachweise

  1. Hörle, Alt-Hersfelder Inschriften 117.
  2. Wiegand, Kulturdenkmäler 135 (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 103 (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0010306.