Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 98 Bad Hersfeld, Stiftskirche/Stiftsruine 1500, um 1500

Beschreibung

Bauinschrift auf einem Quader aus rotem Sandstein, in der Turmstube des Westturms innen in der Fensterlaibung rechts angebracht, zweiter Quader von unten. Oben befindet sich der erste Teil der Hauptinschrift (A), dann folgen zwei Wappen, und darunter folgt der zweite Teil der Inschrift. Auf dem teilweise vertieft abgearbeiteten oberen Teil – das linke Drittel fehlt ganz – finden sich wenige Buchstaben eines Wortes (?) (B) in einer schraffierten Fläche; zwischen den Wappen stehen buchstabenähnliche Zeichen (C). Als Worttrenner (A) dienen Quadrangel und Quadrangel mit Zierstrichen.

Maße: H. 45, B. 34,5, Bu. 1,8–2,4 (A), 2,2–3 (B) cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien (A), Gotische Minuskel (B).

© Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/1]

  1. A

    Svb ab(bate) v(o)lp(er)to deca(n)o t(vn)c hartm(ano)a) / Adolf(vs) p(re)p͜osit(vs) de bide(n)felt o(rd)inatb) // Ego frater Ioh(a)n(ne)s Sine Avra / Co(n)ve(n)tval(is) in Mo(n)te S(an)cti petri finivi / Svb a(n)no ∙ mo ∙ vcoc) I ∙ W ∙d)

  2. B

    Iesuse)

  3. C

    k / [.]f)

Übersetzung:

(A) Unter Abt Volpert und dem damaligen Dekan Hartmann gibt/gab Adolf von Biedenfeld, Propst, es in Auftrag. Ich, Bruder Johannes Ohneluft, Konventuale auf dem Petersberg, habe es fertiggestellt im Jahr 1500.

Wappen:
Propstei Petersberg1)Abt Volpert Riedesel zu Bellersheim/Hersfeld2)
unbekannt3)
Biedenfeld4)

Kommentar

Die Minuskeln sind mit deutlich ausgeprägten Ober- und Unterlängen ausgeführt. Das i trägt fast immer einen i-Punkt. In frater ist das f mit einer Zierschlinge versehen, so als wollte man es (ähnlich beim A von Avra) als Versal auszeichnen, und das h in Johannes weist als einziger Buchstabe Schaftspaltung auf. Die Versalien entstammen der gotischen Majuskel und der frühmodernen Kapitalis. Bezeichnenderweise kommen das A mit geknicktem Mittelbalken und das E in der Schreibweise einer frühen Majuskel auch außen auf der linken Fensterlaibung vor, zweiter Quader von unten, – das H mit Ausbuchtung am Balken ist dort auch dünnstrichig. Die I-Versalien sind links mit Zierstrichen versehen, weshalb die Initialen am Ende wohl zur Inschrift von 1500 gehören. Hörle sah Ähnlichkeiten der Schrift zu einer Urkunde des Propstes Adolf von 1499 (wie unten); das und die für Handschriften charakteristischen Kürzungen erklären freilich noch nicht die gewagte Kürzung am Ende der zweiten Zeile. So ließen sich immerhin einige Zierformen leichter verstehen. Die weniger stilisierte Inschrift (B) könnte zeitnah oder wenig später entstanden sein, weil ein langes s unten keine Brechung auf der Grundlinie aufweist, sondern der Langschaft wie bei der Fraktur nach unten gezogen ist. Links davon und am oberen Rand ist der Stein ausgebrochen, die Oberfläche über 1 cm tief verloren. Somit läßt sich nicht zwingend auf mehr Text schließen, obwohl die erhaltenen Buchstaben nicht in der Mitte stehen.

Das letzte Wort im ersten Textteil gab bisher Rätsel auf. Die vorhandenen Buchstaben, angeblich dinat mit einem Kürzungszeichen über i, kaum dmat, lassen sich nur hypothetisch auflösen: Bei d(el)in(e)at stimmt die Konjugationsform nicht, bei dem vorgeschlagenen Wort und d(est)inat sowie bei d(e)m(a)n(d)at fehlen jeweils sinntragende und differenzierende Buchstaben aus der Mitte, wie sie für Kontraktionen charakteristisch sind. Die reguläre Kürzung wäre d(iv)inat oder wie bei Hörle d(iv)ina(vi)t, im Sinne von „er weissagt/e“, das aber im Kontext keinen Sinn ergibt. Um den Anfangsbuchstaben als d zu lesen, muß man angesichts des sonst weit nach links ragenden oberen Bogenendes erhebliche Konzessionen machen. Geringer wären diese, wenn man diesen Buchstaben als o liest. Dann bietet sich die neue, oben vorgeschlagene Lesung o(rd)inat oder vielleicht o(rd)ina(vi)t an, obwohl eine zweite Kürzung nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann. Zwar ist diese Schreibweise nicht in den Kürzungen bei Capelli erfaßt, aber man müßte nur eine kleine Beschädigung oder eine unzulässig nach oben geführte Kerbe voraussetzen, um einen den vorgeschlagenen und dem Sachverhalt der Inschrift angemessenen Ausdruck zu erhalten. Das Objekt des Auftrags ist damit noch nicht ermittelt.

Volpert Riedesel zu Bellersheim war von 1493 bis 1513 Abt von Hersfeld (Nr. 211/JJJ), Hartmann ist 1494 als Dekan von Hersfeld belegt, und Adolf von Biedenfeld ist 1499 als Propst der Propstei Petersberg nachweisbar.5) Die Inschrift bezieht sich vermutlich auf Baumaßnahmen am Turm oder auf eine Ausstattung der Stube. Wieso dies von Mitgliedern der Propstei Petersberg in Auftrag gegeben und auch ausgeführt wurde, bleibt unklar; Adolf von Biedenfeld erwies sich allerdings als extrem ehrgeiziger Prälat, der nacheinander, aber auch gleichzeitig, weitere Propsteien in Blankenheim, Cornberg und Allendorf übernahm.6) In den Abbatiaten von Wilhelm von Völkershausen und Volpert Riedesel zu Bellersheim wurde an den Gebäuden der Abtei viel gearbeitet, doch muß man die Turmstube deshalb nicht als Aufenthaltsraum und Werkstatt der Künstler und Bauhandwerker reklamieren.7)

Textkritischer Apparat

  1. Als Kürzungszeichen dient das Zeichen für die us-Kürzung, das hier weit hoch gesetzt ist und ein ominöses Zeichen darüber berührt, das aussieht wie einige versale I der Hauptinschrift.
  2. divinavit Hörle, vgl. auch unten im Kommentar.
  3. Dieses und das folgende Quadrangel in Kontur, hier deutlich mit vier Zierstrichen ausgestattet.
  4. Die beiden Initialen konnten nicht aufgelöst werden. Dahinter befindet sich ein Zeichen, das an zwei Rücken an Rücken gegeneinander gesetzte R erinnert, die von einer Krone überfangen werden. Da es nicht exakt in der Zeile steht, dürfte es eine spätere Hinzufügung sein. Am Ende der Zeile steht ein von einem Schwert durchbohrter Schild, dessen Bild nicht zu erkennen ist.
  5. Der Beginn des Wortes leider unbestimmt; bei dem u ist der rechte Schaft durch eine Beschädigung verlängert. Diese (erste) Lesung gewinnt dadurch an Wahrscheinlichkeit, daß der Name noch einmal, dann jedoch in Kontur und mit dem typisch mittelalterlichen h, vorkommt, vgl. Nr. 104. Das Schluß-s ist stärker gebrochen, aber von der Linienführung ähnlich dem einzigen der Hauptinschrift.
  6. Wie ein us-Haken, Bedeutung unklar. Gemäß der Nachzeichnung Hörles handelt es sich um die obere Schleife am gegabelten Schaft des h.

Anmerkungen

  1. Ein Schlüssel mit einem Schwert gekreuzt.
  2. Der Schild quadriert von 1. Riedesel zu Bellersheim (Eselskopf im Profil, Riedgras im Maul), vgl. Siebmacher 1, Taf. 135; Frankfurter Wappenbüchlein, Taf. 25, 2. Abtei Hersfeld, zu 3. und 4, siehe folgende Anmerkungen. Die Wappen lassen sich nicht in der Stammlinie Volperts identifizieren, vgl. Humbracht, Stammtafeln, Taf. 115.
  3. Ein schrägrechter Fluß bzw. Wellenbalken, von Steinen begleitet. Das muß nach der Konstruktion, die aus Anm. 4 hervorgeht, das Wappen des zweiten Amtsträgers, des Dekans Hartmann, sein.
  4. Die Wolfsangel verweist auf die Familie des Auftraggebers Adolf von Biedenfeld, vgl. Siebmacher 1, Taf. 139; Siebmacher, Hessen 4 mit Taf. 2.
  5. Hörle 140.
  6. Informationen zur Karriere bei Buttlar-Elberberg, Stammtafeln, Biedenfeld Taf. I; vgl. außerdem zur letzten Station vor Biedenfelds Laisierung Mötsch, Allendorf 54 f.
  7. So Hörle 140 nach Landau, Maler 393–395 zu Bauarbeiten und Schmuck der Kirche ab dem Jahr 1460.

Nachweise

  1. Hörle, Hersfelder Inschriften (vor 1513) 140 (A, mit Nachzeichnung).
  2. Wiegand, Kulturdenkmäler 135 (erw., Jz.) mit Abb.

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 98 (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0009807.