Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 91 Niederaula, Evangelische Kirche 1492

Beschreibung

Glocke auf der Westseite des Turms mit Relief des segnenden und die Weltkugel haltenden nackten und nimbierten Jesuskindes und der Madonna auf der gegenüberliegenden Seite der Flanke. Auf der Schulter zwischen Doppelrundstegen umlaufend eine kurze Inschrift. Die Glocke böte Raum für mehr Text. Die Krone schlicht, vier weitere Stege an Wolm und Schärfe. Als Trenner dienen Tatzenkreuze und kleine Kreuze, die an Quadrangel erinnern.

Maße: H. 67, Dm. 81, Bu. 3 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

© Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/4]

  1. · i(hesus)a) · n(azarenus) · r(ex) · i(udeorum)1) · Anno d(omi)ni · + m + cccc + lxxxxiib)

Kommentar

Die Glocke, deren Gußjahr bis zuletzt als umstritten galt, trägt wie die leicht jüngere und größere von Nentershausen (Nr. 95) einen Kreuztitulus, hier allerdings als Teil der Hauptinschrift. Es gibt keinen Grund, eine Verwandtschaft der beiden Glocken anzunehmen; diese schließen die Formung und der flache, allerdings höchst präzise Guß der Buchstaben definitiv aus. Die vorliegende gehört mit ihrer knappen Inschrift zum Kreis jener Glocken, die kaum mehr als das Gußjahr tragen.2)

Aus dem Jahr 1499 datiert ein Vertrag über die Rückzahlung eines für die Anschaffung von Kirchenglocken geliehenen Kapitals, in dem der Pfarrer Vitus Schuchwirt, Vikar an St. Severi in Erfurt, und Henne Jungkort für die Gemeinde genannt sind.3) Die Glocke gehörte anscheinend zur Planungsphase des spätgotischen Neubaus.4)

Textkritischer Apparat

  1. Großschreibung der i und anderer Textteile nur bei einem älteren Übermittler angezeigt, es handelt sich jedoch eindeutig und ohne Ausnahme hier nur um Minuskeln.
  2. mcccclxxxxiix Heußner, ebenso Classen. Beide sahen nach ii noch ein x; dabei handelt es sich aber nur um einen kreuzartigen Worttrenner. In der feinen Gußtechnik ist die Jahreszahl perfekt als lxxxxii eng zusammengestellt, so daß anschließend kein Teil der Jahreszahl mehr folgen kann. In einer Handbreit Abstand steht gewiß kein x – es ist kein Balken sicht- oder tastbar. Obwohl das Gußjahr 1498, also nach dem Bau, besser zu dessen Geschichte zu passen scheint, braucht die Rückzahlung des geliehenen Kapitals nicht genau im Jahr darauf erfolgt sein, vgl. bei Anm. 3.

Anmerkungen

  1. Joh 19,19.
  2. Vgl. Nrr. 51, 63, 69 f., 94, 110.
  3. Heußner nach HStA Marburg, Best. Urk. 56, Nr. 1277 vom 18. Mai 1499.
  4. Ebd. 7 zum Neubau 1494–1497; Teile noch in der Vorderfront, älterer Bau spätromanisch (Turm), heutiger Saalbau von 1775, vgl. auch Kemp, Kulturdenkmäler II 673.

Nachweise

  1. Heußner, Chronik von Niederaula 7.
  2. Schoof, Hess. Glockenstudien II 110.
  3. Classen, Niederaula 299 f.

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 91 (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0009107.