Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 88 Braach (Rotenburg), Ev. Kirche, aus Rotenburg, Ev. Pfarrkirche St. Jakobi 1488

Beschreibung

Gußjahr und Namen auf einer Glocke im Glockenturm. Die Inschrift wird oben von einem einfachen Steg und unten von einem doppelten Steg, einem dünnen einfachen und einem Kordelsteg darunter, mit hängendem Kreuzblumenfries eingefaßt und läuft auf der Glockenschulter um. Auf der Flanke ist unter dem Namen ihesus ein großes Kreuz angebracht. Als Worttrenner dienen stilisierte Blätter in verschiedenen Formen, vor den Namen eine konturierte Raute mit floralem Dekor, zwischen den Namen nicht mehr identifizierbar Dingliches, vor iohannes erkennbar noch drei Lilien. Ca. 110 kg.

Diese Glocke stimmt in den Maßen (mit einigen erlaubten Toleranzen der Messung), dem Arrangement und dem Text (bis auf eine problematische Lesung) mit jener Glocke überein, die bis in den II. Weltkrieg für Rotenburg überliefert ist, freilich noch nicht bei Lucae, so daß man nicht weiß, wann die Glocke nach Rotenburg gelangte. Sie gehörte aber im 18. Jahrhundert und bis kurz nach dem Weltkrieg nicht zum Bestand der Braacher Kirche, mit dem sie bisher nie in Zusammenhang gebracht wurde. Daher wird es sich um die kurz vor dem Krieg in Rotenburg befindliche, unter der Kategorie C (12/27/103C) eingeordnete und abgelieferte1) handeln, die nach Braach zurück überführt wurde; davon geht die folgende Edition aus.

Maße: H. 45, Dm. 55, Bu. 3 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

© Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Brunhild Escherich) [1/3]

  1. ∙ m ∙ cccc ∙ lxxxviii ∙ ior sigena) ∙ ihesus ∙ maria ∙ iohannes

Kommentar

Die sauber ausgeführte Minuskelinschrift zeigt weder Ober- noch Unterlängen und ist ganz dem Zweilinienschema verhaftet. Ihre Besonderheit besteht in der plastischen Gestaltung als Bandminuskel, die auf Plättchen montiert ist.

Im Formular ist die Formulierung ior sigen ungewöhnlich, die sich sonst nicht nachweisen läßt. Vielleicht steht sie für „Jahr gegossen“.2) Dann wäre aber eigenartigerweise dort die einzige Stelle der Inschrift ohne Worttrenner, so daß man auch ein einziges Wort in Erwägung ziehen muß, obwohl sich auch auf diese Weise keine überzeugende Deutung anbietet. Die Abschrift der Glockenaufnahme lorsi jen dürfte eine Fehllesung des Ausdrucks ior sigen sein, wie er bei Wenzel für Rotenburg gelesen wurde. So wie die Lesung Gippers „wir sind“ verstand auch Wenzel den Text und vermutete eine Verdrehung der Buchstaben. Abgesehen davon, daß ior, wie oft nachklappend zu Anno domini, zur Datierung gezogen werden kann, ergäbe die Aussage auf der Glocke keinen Sinn, es sei denn, man verstände darunter „wir heißen“ – aber auch das ist im Formularzusammenhang nicht angelegt. Offenbar ist dieses Wort verderbt, denn für „gegossen“ kann sigen nicht stehen. Angesichts der Assoziation zum Rufen der Glocken möchte man „singen“ nicht ausschließen, obwohl ein ausgefallenes n nicht angezeigt ist; vielleicht steht es für siegen, auch das außerhalb der Formulargewohnheiten, oder signen im Sinne von „ein Zeichen geben“. Zum Spätmittelalter hin nimmt allerdings die Formel mit signa/signum ab, wenngleich die aktive Rolle der Glocke weiterhin präsent bleibt, aber anders und vor allem in der ersten Person formuliert wird. Do laudum signa in Kahla (Thüringen) 14703) und die Glocke von Iba (Nr. 78) dürften zu den wenigen Ausnahmen gehören.

Textkritischer Apparat

  1. wir sind Gipper; lorsi? jen (?) Glockenaufnahme; wr sigen Wenzel.

Anmerkungen

  1. Alle Angaben nach der Glockenaufnahme, dazu nichts in der Kartei im Glockenarchiv des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg.
  2. Vorschlag von Jörg Poettgen, Overath.
  3. Vgl. Walter, Glockenkunde 258.

Nachweise

  1. Wenzel, Hess. Glockenkunde, Bd. 20, fol. 82r.
  2. Gipper, Unsere Heimatglocken (VII).
  3. Glockenaufnahme des Kreissammellagers Rotenburg an der Fulda, Aktenzeichen 12/27/103C.
  4. Willershausen, Hist. Kirchenglocken I 75 m. Abb. (Gussjahr nachgestellt).

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 88 (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0008808.