Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 64† Erkshausen (Rotenburg), Evangelische Kirche          1362 oder 1462/64?

Beschreibung

Jahreszahl und Glockenspruch auf einer Glocke. Die Glocke wurde im 1. Weltkrieg abgeliefert und zerstört.1) Das letzte Wort gibt Lucae in einer schwer lesbaren Umzeichnung wieder.

Deutsche Reime.

Nach Lucae.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

  1. Anno domini m ccc[c] lxi[i]a)Hilf GottMaria be[r]otb)

Kommentar

Lucae überliefert das letzte Wort in gotischer Minuskel. Nach seiner Lesung und der Möllers gehörte die Glocke zu den frühesten mit einer Minuskelinschrift im Bearbeitungsgebiet. Alle anderen Minuskelinschriften auf Glocken stammen dort allerdings erst aus dem 15. Jahrhundert. Ob man Lucae hier einen Lesefehler zutrauen darf, läßt sich nicht aus einer notgedrungen unvollkommenen Fehlerstatistik erschließen, denn bekannt ist nur, daß Lucae bei lateinischen Zahlen lediglich einmal m zu l verlesen hat (Nr. 58), die Hunderter bis auf zwei Ausnahmen (Nrr. 57, 93) aber sonst richtig wiedergibt, freilich bei einigen Jahreszahlen auch erhebliche Schwächen zeigte (Nrr. 197 f.). Möglich wäre ein entstellender Gußfehler, der den beiden Gewährsleuten entging oder nicht lösbar schien.

Der vollständige Vers lautet: hilf got maria berot was ic begine eyn gut end gewynne amen („hilf Gott [und] Maria berate mich, damit, was ich beginne, ein gutes Ende gewinne“).2) Die formelhafte Anrufung hilf got ist auf liturgischem Gerät,3) auch Glocken über die meisten Regionen Deutschlands verbreitet, jedoch in der Verbindung mit maria berat/berot zunächst nur vereinzelt auf Glocken des ausgehenden 15. Jahrhunderts in deutlicher regionaler Beschränkung auf Brandenburg, Thüringen und Sachsen sowie ostwärts gelegene Regionen zu finden,4) breitete sich aber nach Westen ins Eichsfeld5) und nach Osthessen aus; dies belegen die vorliegende Glocke und die von 1504 im hessischen Witzenhausen-Wendershausen6). Ein Kelch in Eppstein (Main-Taunus-Kreis) vom Ende des 15. Jahrhunderts7) ist wohl ein regionaler Ausreißer oder gar Import.

Der angebliche Frühbeleg in Wilthen (Lkr. Bautzen)8) von 1212 stammt freilich von 1512 und führt wie die meisten anderen Nachweise in die Zeit ab der Mitte des 15. Jahrhunderts. Ohne daß man Walters Belegen im einzelnen nachgeht, zeigt schon die reine Statistik der zufällig gefundenen und verläßlichen Belege, daß keiner davor zurückreicht. Daher muß die Erkshausener Glocke 1462 oder gar 1464 entstanden sein.

Textkritischer Apparat

  1. mccclxiv Möller. Ein zusätzliches c für die Jahreszahl 1462 oder 1464 geht aus der Textanalyse hervor.
  2. So für berate (mich); das Wort fehlt in der Druckausgabe.

Anmerkungen

  1. Freundlicher Hinweis von Pfarrer Carsten Köthe, Erkshausen; vgl. Gipper, Unsere Heimatglocken (II).
  2. Poettgen, Handbuch der deutschen Glockengießer XV.
  3. Vgl. DI 9 (Lkr. Naumburg) Nrr. 391, 395, 396 (Kelche, E. 15. Jh.); DI 33 (Stadt Jena) Nr. 37 (Kelch, um 1500); DI 39 (Lkr. Jena) Nrr. 71 (2. H. 15. Jh., Kelch), 73 (Kelch, E. 15. Jh.).
  4. Vgl. Anm. 2 und Walter, Glockenkunde 168 f.; DI 7 (Stadt Naumburg) Nrr. 181 (1441, Taufkessel), 201 (1505?, Glocke); DI 9 (Lkr. Naumburg) Nrr. 372 (1403†, Glocke), 376 (1436, Glocke), 394 (E. 15., Glocke, Text entstellt), 401 (15. Jh., Glocke); DI 39 (Lkr. Jena) Nrr. 41 (M. 15.Jh., Kelch), 56 (1483, Glocke), 62 (1491, Glocke). Poettgen in Handbuch (wie Anm. 2) XV erwog die Herkunft des Textes aus dem Raum Sachsen/Thüringen und stellte hohe Verbreitung östlich von Oder und Neiße und Export nach Siebenbürgen fest; Gebiete westlich davon sind ausgeblendet. Auch die Glocken in Siebenbürgen stammen aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, vgl. die Rezension Jörg Poettgens in Jb. Glockenkunde 13/14 (2001/2002), S. 560 zu E. Benkö, […] Mittelalterliche Glocken und Taufbecken in Siebenbürgen, Budapest 2002.
  5. Vgl. DI 66 (Lkr. Göttingen) Nr. 122, wo eine besondere Beliebtheit um 1500 festgestellt wurde.
  6. Vgl. hierzu künftig DI Werra-Meißner-Kreis I, Altkreis Witzenhausen, ges. und bearb. von Edgar Siedschlag (in Vorbereitung). – Mittlerweile erschienen als DI 87 (Werra-Meißner-Kreis I, Altkreis Witzenhausen) Nr. 32 zu 1514.
  7. DI 87 (Lkr. Hochtaunus und Main-Taunus), in Vorbereitung). – Mittlerweile erschienen als DI 97 (Hochtaunuskreis und Main-Taunus-Kreis) Nr. 47.
  8. Walter, Glockenkunde 168 u. ff. zu weiteren Nachweisen.

Nachweise

  1. Lucae, Kleinod 446 (224).
  2. Möller, Gut Bubenrode 31.

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 64† (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0006406.