Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 60† Iba (Bebra), Evangelische Kirche   1. H. 15. Jh.

Hinweis: Die vorliegende Online-Katalognummer ist im Vergleich zum gedruckten Band mit Ergänzungen und Korrekturen versehen. Sie finden diese am Ende des Artikels. [Dorthin springen]

Beschreibung

Glockenspruch auf der großen Glocke des Geläuts (12/27/76B). Nach der Zeichnung bei Wenzel lief die Inschrift als Minuskel auf der Schulter zwischen Kordelstegen um. Als Worttrenner dienten nach Wenzel kleine Kleeblätter; Lucae zeichnete nur Kreuze in eine Majuskelschrift; das Foto der Glockenkartei (Neg. Nr. 307) läßt nur kleine unspezifische lateinische Kreuze erkennen. Die Glocke mußte 1942 für Kriegszwecke abgeliefert werden,1) da sie zu jenem Zeitpunkt, wie das Foto der Glockenkartei zeigt, in zwei große Teile zerbrochen war. Mit diesem Foto können einige ältere Aussagen bestätigt und die Leseprobleme geklärt werden.

Nach Lucae (Wenzels Nachzeichnung enthält Textfehler und mißverstandene Buchstaben), Foto und Eintrag in die Karteikarte.

Maße: H. 67 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

© Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz; Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Deutsches Glockenarchiv (Thomas G. Tempel (Repro)) [1/2]

  1. + per ∙ crucis ∙ hoc ∙ signum ∙ p(ro)cula) ∙ fugitur ∙ omne ∙ malignumb)Amenc)

Übersetzung:

Durch dieses Zeichen des Kreuzes wird/werde alles Böse vertrieben, Amen.

Versmaß: Hexameter, leoninisch zweisilbig rein gereimt.

Kommentar

Der Hexameter ist mehrfach in der Form per crucis hoc signum fugiat procul omne malignum überliefert, etwa auf einer Glocke der Moritzkirche in Halberstadt von 1281 oder auf einer Glocke in Muschenheim bei Lich (Lkr. Gießen).2) Die wenigen datierten Belege für diesen Hexameter auf Glocken konzentrieren sich auf die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts und das erste Viertel des 14. Jahrhunderts.3) Aufgrund der Verwendung der gotischen Minuskel stammte die Glocke in Iba aber wohl erst aus dem 15. Jahrhundert. Für die Feststellung von Gipper, die Glocke sei um 1475 gegossen, fehlt allerdings jeder Beleg.4) Der Bestand des Landkreises kann zur zeitlichen Verteilung der Minuskel auf Glocken nur wenig beitragen, denn trotz der anscheinend dichten Überlieferung kommt die Minuskel erst 1429 auf der erhaltenen Glocke in der Hersfelder Stadtkirche (Nr. 56) vor. Mit letzterer wird man die nur ausschnitthaft bekannte Schrift am ehesten vergleichen können, zumal auch die Kreuzchen übereinstimmen. Man wird es jedoch nicht wagen dürfen, beide Glocke zu nah zu datieren oder gar eine Werkstattnähe zu postulieren, denn der Übergang zur Schulter und die Verwendung von Bildern auf der Flanke der Hersfelder Glocke stehen dem entgegen.

In der vorliegenden Form bietet der Text mehrere Probleme. Durch die Stellung procul fugitur wird die letzte Silbe von procul gelängt, wodurch sich ein prosodischer Fehler ergibt. Außerdem ist fugere (fugio, fliehen) ein intransitives Verb, das hier jedoch transitiv verwendet wird. Grammatisch möglich wäre fugatur von fugare (fugo, in die Flucht schlagen) gewesen, doch hätte dies zu einem weiteren prosodischen Fehler geführt, da fugatur eine lange zweite Silbe statt der erforderlichen kurzen aufweist. Der Hexameter wurde hier offenbar abgewandelt, wobei es zu einer Verwechslung von fugere und fugare sowie der genannten prosodischen Unregelmäßigkeit kam. Diese ließe sich allerdings durch die Umstellung der beiden Worte beheben, gemeint war also ursprünglich fugitur procul, wobei metrisch korrektes fugitur das grammatisch korrekte fugatur verdrängte. Damit nähert man sich den in jeder Hinsicht korrekten bekannten Texten an.

Textkritischer Apparat

  1. periit Wenzel. Eine jüngere Hand bestätigt fugitur, korrigiert aber periit zu p(ro)cul, das wiederum vom Foto bestätigt wird.
  2. mansimum Wenzel. Eine jüngere Hand korrigiert zu malignum.
  3. Fehlt Wenzel.

Anmerkungen

  1. Die relevanten Akten wurden mir freundlicherweise von Herrn Pfarrer Merkel, Iba, zur Verfügung gestellt. Eine entsprechende Bemerkung zur Ablieferung ist auch bei Wenzel nachgefügt.
  2. Walter, Glockenkunde 199 mit Anm. 2.
  3. Ebd. 199 f.
  4. Gipper, Unsere Heimatglocken (III).

Nachweise

  1. Lucae, Kleinod 408 (195).
  2. Wenzel, Hess. Glockenkunde, Bd. 20, fol. 47r.
  3. Karteikarte im Glockenarchiv des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg (12/27/76B).
Addenda & Corrigenda (Stand: 04. August 2022):

Hinweis zur Inschrift: Die grammatisch und metrisch korrekte Abfolge des Textes wäre FVGIAT PROCVL wie 1281 in Halberstadt, vgl. DI 86 (Halberstadt, Stadt) Nr. 4.

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 60† (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0006000.