Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 45 Bad Hersfeld, Rathaus, Weinstraße 16        1371?/2. H. 14. Jh.

Beschreibung

Mahninschrift. Die Tafel aus rotem Sandstein ist heute innen in einem Fenstergewände des Zimmers Nr. 26 im 2. Obergeschoß so vermauert, daß sie auf dem Kopf steht und der Text nicht mehr vollständig sichtbar ist. Der ursprüngliche Anbringungsort der Tafel ist nicht bekannt. Die Inschrift ist in vier durch erhabene Stege unterteilten Zeilen und in erhabenen Buchstaben ausgeführt, die so dicht an der Lineatur stehen, daß man sie schon als ausgespart bezeichnen kann. In der dritten Zeile ist ein Ausbruch durch eine Vierung repariert. Als Worttrenner dient ein Quadrangel mit paragraphzeichenförmig ausgezogenen Zierstrichen.

Maße: H. 54, B. 31, Bu. 9,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel, erhaben.

© Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Brunhild Escherich) [1/1]

  1. [p]acem ∙ /[ver]itatem / [i]vsticia[m] / diligit[e]1)

Übersetzung:

Achtet den Frieden, die Wahrheit und die Gerechtigkeit.

Kommentar

Die Inschrift ist in einer im Zweilinienschema ausgeführten gotischen Minuskel geschrieben, deren Ober- und Unterlängen stark verkürzt und gestaucht sind. Das g ist nicht flachgedeckt. Der obere gebrochene Bogen des e und der Balken des t tragen jeweils einen kräftigen Zierstrich, der des e steht sogar nach oben über und ist unten nochmals eingerollt. Nach Form und Ausprägung kann die Inschrift in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts entstanden sein, auch wenn es im Bestand Hersfeld selbst keine vergleichbare Inschrift gibt, jedoch eine in Rotenburg aus dem Jahr 1370 (Nr. 37). Die erhabenen Minuskeln jener Inschrift sind allerdings nicht in demselben Maße plastisch durchgeformt wie die der vorliegenden Inschrift, bei der die abgeschrägten, aber nicht ausgeführten Oberlängen an den Spitzen nach links eingerollt sind und die Balken von g und t wie durch den Körper des Buchstaben durchgesteckt aussehen. Diese Eigenart der plastischen Gestaltung beginnt in der Goldschmiedekunst und findet dort auch die reichhaltigste Anwendung, freilich bevorzugt nach 1400.2) Man wird den Datierungskorridor der Inschrift zwar formal ausdehnen dürfen, vielleicht doch nicht zu weit von dem historischen Beleg des Rathauses.

Das Rathaus wird zum ersten Mal 1371 urkundlich erwähnt. Reste dieses Baus haben sich im Nordostflügel erhalten.3) Vermutlich gehörte die Inschrift von Anfang an zu dem Bau und befand sich möglicherweise an seinem Eingang. Beim Umbau ab 1607 wurde der Text leicht abgewandelt für die Inschrift am Südportal übernommen (Nr. 279).

Anmerkungen

  1. Die Inschrift verbindet einen Text aus dem Buch Zacharias mit dem Anfang des Buches der Weisheit; Sach 8,19: „veritatem tantum et pacem diligite“; Weish 1,1: „Diligite iustitiam“. Zeitlich nicht weit entfernt ist ein ähnlicher Stein aus dem Rathaus in Trier, vgl. DI 70 (Trier I) Nr. 267.
  2. Vgl. DI 58 (Stadt Hildesheim) Nrr. 110 (1365–1398) und 131 (1409), auch Stromer, Gespornte Lettern, passim mit vielen bildlichen Belegen vornehmlich des 15. Jh. Bei dem überreichen Bestand an erhabenen Minuskeln auf Steinplatten in Greifwald wurde diese Schriftausprägung nicht festgestellt – das kann nicht allein an der Abtretung der feingezeichneten Oberflächen solcher Buchstaben liegen.
  3. Wiegand 196.

Nachweise

  1. Frank, Rathaus 26 m. Abb. (Stich).
  2. Hörle, Hersfelder Inschriften (vor 1513) 126.
  3. Hörle, Rathaus 90.
  4. Neuhaus, Geschichte Hersfeld 89 mit Abb.
  5. May, Türen und Tore 35.
  6. Ziegler, Hersfelder Rathaus 18.
  7. May, Hersfelder Inschriften 30 u. 26 (Abb.).
  8. Wiegand, Kulturdenkmäler 196 f. mit Abb.
  9. Sabo, Buchonia 452 mit Nachzeichnung.

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 45 (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0004509.