Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 44 Oberhaun (Hauneck), Evangelische Kirche               4. V. 14. Jh.

Hinweis: Die vorliegende Online-Katalognummer ist im Vergleich zum gedruckten Band mit Ergänzungen und Korrekturen versehen. Sie finden diese am Ende des Artikels. [Dorthin springen]

Beschreibung

Glocke mit moderner Eisenkrone. Die einzige Glocke wurde im Krieg abgehängt und dokumentiert (12/21/67B) und wieder zurückgeführt. Trotz des eingeschränkten Zugangs im Haubendachreiter und des mangelhaften und beschädigten Fotos kann man folgende Sachverhalte feststellen: Um die Schulter läuft die Inschrift zwischen einfachen Stegen um, ein weiterer, eher gratiger Steg am Wolm. Die Trennzeichen sind nur unvollkommen erkennbar und auch nicht präzise beschrieben oder nachgezeichnet; es könnte sich einmal um einen Stern handeln – die abschreibende Hand zeichnete an dieser Stelle nur einen schwarzen Klecks; danach wechseln Zeichen ähnlich einem Minuskel-t und versales E, das so aussieht, wie die überliefernde Hand das versale E im Wort „Eisenkrone“ und im ersten Wort der Inschrift schrieb, das alleine kontrolliert werden konnte. Das scheinbare Minuskel-t stimmt allerdings mit dem ersten Zeichen der Beschreibung „An der Schulter ...“ überein, muß also ein A sein. Sicher ist der Beginn mit einem großen Tatzenkreuz.

Die Autopsie ergänzt nach Karteikarte im Glockenarchiv und Foto ebd.

Maße: H. 38, Dm. 44,5, Bu. 2,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel und Gotische Minuskel (?).

© Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Rüdiger Fuchs) [1/4]

  1. + D E O * O [R A T E   A E]a)

Übersetzung:

Betet vor Gott!

Kommentar

Die Überlieferung ist hinsichtlich der Textsicherheit prekär. Am Foto läßt sich nicht entscheiden, ob angebliche Worttrenner nicht doch auch Buchstaben sein könnten. Die Minuskel-t des Überlieferers, die als A identifiziert wurden, sind nicht abgebildet und bei der Autopsie ebenso wie weitere Zeichen nicht erreichbar gewesen. Hinter dem angeblichen Minuskel-a, geschrieben als einstöckiges a, verbirgt sich ein rundes Majuskel-T, nicht etwa ein apokalyptisches Alpha, mit dem der Gießer die anerkannte symbolische Kraft des ganzen Alphabets1) oder auch nur einen Auszug oder anspielungsreiches DEO mit OR aufgewertet hätte.

Zur Datierung gibt es nur den Anhaltspunkt der Karteikarte, auf der „Anf. 15. Jhdt.“ vermerkt ist. Das scheint nicht ganz zur Datierung des spätgotischen Rechteckchors ins 15. Jahrhundert2) zu passen. Die extrem flach hervorragenden Buchstaben sind nicht sauber gegossen und weisen ringsum erhabene „Flecken“ auf. Dennoch sind nebst Abschlußstrich beim E Innenschwellungen und angespitzte Bogenschwellungen der Majuskeln sicher auszumachen, von welchen letztere teils unorganisch durch Ansetzen eines Punktes realisiert zu sein scheinen. Diese Erscheinungen weisen in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts, in der die besondere Ausprägung der Schwellungen, nämlich die innen bei den Versalien der Hersfelder Pestinschrift von ca. 1360 (Nr. 34), bei der Hersfelder Osterglocke von 1371 (Nr. 38) und der größeren Glocke von Mecklar (Nr. 37) vorkommen. Ebenso sind bei diesen Glocken und außerdem in Untergeis (Nr. 49) die spitzen Außenschwellungen vorhanden. Am nächsten kommen den Buchstabenformen der vorliegenden Glocke die der Glocke von Mecklar, deren Gußqualität die jener jedoch bei weitem übertrifft, freilich auch das seltene Phänomen einer Wiederholung von Buchstabenteilen aufweist. Alle erwähnten Inschriften, außer der in Untergeis, zeichnen sich durch die extrem schwache Erhebung der Buchstaben aus.

Die Oberhauner Glocke gehört nicht zu den Alphabetglocken wie die ältere von Rhina (Nr. 36) und besitzt auch weit weniger Buchstaben als die Kryptogrammglocke von Mecklar (vorangehende Nr.). Die Lesung DEO ORATE, möglicherweise mit einem Zusatz, kann als sicher gelten, obwohl die Aufforderung zum Gebet nicht zu den verbreiteten Inhalten von Glockeninschriften gehört.3)

Textkritischer Apparat

  1. Diese Textpassage ist weder am Original noch durch das Foto kontrollierbar. Der dritte Buchstabe des Wortes läßt sich durch Vergleich mit dem Klartext zweifelsfrei als A identifizieren, der folgende, der in der Umschrift wie ein einstöckiges Minuskel-a aussieht, ohne Vergleich als rundes T mit zeitkonformem Abschlußstrich. Nach dem E, wieder geschrieben wie der Versal von „Eisenkrone“, also nicht den Schriftcharakter nachahmend, nochmals das Zeichen für A und ein E – beides rätselhaft und möglicherweise verlesen.

Anmerkungen

  1. Vgl. dazu Köster, Alphabet-Inschriften auf Glocken 373–377; zu Alphabetglocken vgl. auch Poettgen, Sinnlose Glockeninschriften passim u. Poettgen, Handbuch der deutschen Glockengießer XIV f.
  2. So nach Kemp, Kulturdenkmäler I 288.
  3. Die Durchsicht eines beliebigen Corpus wie in Walter, Glockenkunde bis 1470 ergab keine Treffer zum Formular oder Texttyp.

Nachweise

  1. Karteikarte im Glockenarchiv des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg (12/21/67B).
  2. Schoof, Hess. Glockenstudien II 152.
Addenda & Corrigenda (Stand: 04. August 2022):

Hinweise zu Text und Übersetzung: Eine ältere Überlieferung bei Schoof, Hess. Glockenstudien II 152 legt eine Korrektur der Lesung und Übersetzung nahe:

Inschrift: + DEO . GRATIAS

Übersetzung: Dank sei Gott!

Hinweise zum Kommentar:

1. Diese Formel kommt in der römischen Messliturgie (Schlusswort der Gemeinde), dem Brevier und bei Begrüßung an Klosterpforten vor.

2. Mit den vorhandenen Dokumentationen kann keine Entscheidung zwischen den beiden Versionen gefällt werden. Das Fehlen entsprechender Belege in Walters Glockenkunde besagt wenig.

3. Früher hing im Turm der Duisburger Salvatorkirche die eher kleinere Katharinenglocke von 1467, deren Inschrift nach dem rheinischen Glockenspruch „… heis ich / … gos mich“ gebildet ist, dem aber ein deo gratias nachfolgte, nicht bei Walter, Glockenkunde 784 belegt, sondern in Kunstdenkmäler der Rheinprovinz 2/I. Die Kunstdenkmäler des Kreises Rees. Düsseldorf 1892, 187. Deo orate ist hingegen kein Text für spätmittelalterliche Glocken, in deren Inschriften vielmehr Heilige im allgemeinsten Sinne um Interzession angefleht werden, die Glocke also als Mediator zwischen Menschen, Heiligen und Gott fungiert, jedoch nicht als Mahner der Menschen.

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 44 (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0004400.