Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 40 Bad Hersfeld, Museum, von Stadtmauer 1378

Beschreibung

Gedenkinschrift auf einem Kreuz aus rotem Sandstein. Das Kreuz, ein gotisches, nasenbesetztes Sockelkreuz befand sich ursprünglich auf der Stadtmauer hinter dem Stift in der Nähe der hinteren Stiftspforte und steht heute im Museum; eine Kopie ist heute in den Stiftsanlagen vor dem Portal über einem hohen Sockel aufgestellt. Die Datierung ist auf den Armen und der Hexameter auf dem Kreuzfuß angebracht. Das Kreuz war in viele Teile zerbrochen und zeigt insgesamt deutliche Abwitterungsschäden und wird heute in der Mitte durch mehrere Eisenklammern zusammengehalten, wodurch Textverlust eingetreten ist. Die Buchstaben sind teilweise weiß gefaßt. Als Worttrenner dienen, allerdings nicht immer klar bestimmbar, halbkugelig vertiefte Punkte.

Maße: H. 120, B. 73, Bu. 4,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

© Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Brunhild Escherich) [1/1]

  1. an(n)o ∙ d(omi)ni m ∙ [cc]ca) lxxviii ∙ //[istic]a) / ∙ he[r]sfeld(is) / ∙ fuit ∙ t(r)adita / ∙ nocte ∙ vital(is)b)

Übersetzung:

Im Jahr 1378 wurde Hersfeld dort in der Vitalisnacht verraten.

Versmaß: Ein Hexameter, leoninisch einsilbig rein gereimt.

Datum: 28. April 1378.

Kommentar

Michael Fleck hat 2010 in einem ausführlichen Aufsatz behauptet, die oben wiedergegebene Inschrift könne nicht auf dem Kreuz gestanden haben, da die Zeitangabe nocte vitalis fehlerhaft sei und fuit sowie vitalis prosodisch falsch gemessen worden seien.1) Die Inschrift sei eine Erfindung von Josef Hörle,2) der den Text freilich zum ersten Mal richtig edierte. Fleck hatte sich bei diesem ersten Versuch nicht die Mühe gemacht, die Inschrift auf dem Kreuz zu lesen. Dann wäre ihm aufgefallen, daß der von ihm in Frage gestellte Text sehr wohl auf dem Träger vorhanden ist. Zudem sind seine Einwände nicht stichhaltig: So meint nocte vitalis die Nacht vom 27. auf den 28. April, bei fuit kann durch Verschleifung von u und i eine lange Silbe gemessen werden, und auch bei vitalis kann das i unter Umständen kurz gemessen werden.

Auch ohne die Beschädigungen erweist sich die Schrift als eine rudimentäre Minuskel ohne Oberlängen, aber mit ungleichmäßigen Buchstabengrößen und schwankender Ausrichtung der Senkrechten, und kann daher schon aus formalen Gründen nicht als der vielfach kolportierte Text Vespera … gelesen werden.

Im Jahr 1373 hatte sich die Stadt Hersfeld mit den hessischen Landgrafen Heinrich und Hermann verbündet und damit den offenen Bruch mit dem Abt von Hersfeld vollzogen, nachdem sich dieser schon länger durch nach Ansicht der Stadt ungerechtfertigte Steuerforderungen mißliebig gemacht hatte. In der Folge kam es zu dauernden Konflikten zwischen dem Abt und der Stadt, die schließlich in der Auseinandersetzung der Vitalisnacht 1378 gipfelten. Abt Berthold II. von Völkershausen fand bei Adeligen Unterstützung, die sich im sogenannten Sternerbund zusammengeschlossen hatten. Er plante, die Stadt durch einen nächtlichen Überfall in seine Hand zu bringen. Angeblich lud der Abt die Räte und Schöffen der Stadt am Abend des 27. April 1378 zu einer Feier ein, nachdem er zuvor sieben Ritter in die Stadt eingeschleust und im Hause des Dekans verborgen hatte. Diese sollten zu gegebener Zeit über die angetrunkenen Vertreter der Stadt herfallen. Gleichzeitig war ein Angriff weiterer Ritter gemeinsam mit den Stiftstruppen auf die Stadt geplant. Der Fehdebrief des Ritters Simon von Hune von eben diesem Tag (Vortag von Vitalis) an die Stadt warnte die Bürger jedoch, so daß sie die in der Stadt verborgenen Ritter festnehmen konnten. Als im Morgengrauen des 28. April der Angriff am Ende der Grenze zwischen Stadt und Stiftsbezirk stattfand, waren die Bürger gerüstet und schlugen die überraschten Angreifer in die Flucht.3) Aufgrund der Klagen der Stadt verhängte Kaiser Karl IV. über die Ritter die Acht4) und verurteilte den Abt zur Zahlung von 10.000 Goldmark als Entschädigung an die Stadt.5) Das Kreuz wurde anschließend von der Stadt zur Erinnerung an den Verrat gesetzt.

Textkritischer Apparat

  1. Ergänzt nach Hörle 126.
  2. Piderit, Denkwürdigkeiten 186, Anm. 5, Vigelius, Denkwürdigkeiten 37, Demme, Nachrichten I 28 und Butte, Stift und Stadt 67, Anm. 1 sowie die auf ihnen basierende Literatur geben für das Kreuz folgenden Text: Vespera VItaLIs CrVX saCra pLena MaLIs und weisen auf das Chronogramm 1378 in dem Hexameter hin; der Text erstmals bei Schlegel, Abbatia, fol. 141r. Erst Hörle 126 entzifferte den richtigen Wortlaut und erkannte (127), daß es sich um ein Mißverständnis handelte. Der fragliche Text stand nicht auf dem Kreuz, sondern bezog sich nur auf die Bedeutung des Kreuzes und wurde spätestens im 17. Jahrhundert verfaßt, vgl. dazu Fleck, Vitalisnacht 31. Dieser Text wurde noch jüngst (2012) dem alten Kreuz zugeschrieben, vgl. Sabo 216. Fleck las für seinen jüngsten Beitrag (2013) post vitalis.

Anmerkungen

  1. Fleck, Vitalisnacht 26 f. Fleck wiederholte seine Bedenken gegen die Lesung nocte 2013.
  2. Ebd. 29 f.
  3. Vgl. ausführlich Butte, Stift und Stadt 60–68; eine jüngere Darstellung bei Sabo, Buchonia 211 ff.
  4. Demme, Nachrichten I, Beilage 39.
  5. Ebd. I, Beilage Nr. 40.

Nachweise

  1. Hörle, Hersfelder Inschriften (vor 1513) 126.
  2. May, Hersfelder Inschriften 29 (Ü).
  3. Classen/Riebeling, Geheimnisvolle Steinkreuze 83 m. Abb.
  4. Riebeling, Steinkreuze 110 f. Nr. 5124.1.
  5. Mozer, Büchsen 19 m. Abb.
  6. Wiegand, Kulturdenkmäler 97 mit Abb.
  7. Sabo, Buchonia 215 (Abb.), 216 (falscher Text).
  8. Fleck, Lateinische Inschriften Hersfeld 34 mit Abb.

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 40 (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0004004.