Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 23† Bad Hersfeld, Stiftskirche/Stiftsruine 12. Jh.?

Beschreibung

Grabgedicht einer oder eines Unbekannten. Laut Brouwer befand sich das Denkmal auf dem Friedhof. Es ist jedoch zweifelhaft, ob dies der ursprüngliche Anbringungsort war.

Nach Brouwer.

  1. Sta, lege, pertracta, quid sis, quae sint tua facta.Perbreve per dubium vivitur hic spatium.Ut flos ecce cades, cinis ad cinerem cito vades,1)Summa vel ima petens dignaque lucra metens.Nunc age, dum vivis, summae patriae fore civis.Mors sit spesque tibi fixa frequenter ibi,Qua perpes vita, qua gaudia sint stabilitaAbsque labore quies et sine nocte dies.Qui legis haec, ora pro me, pro teque labora.Pro te meque reo da tua vota Deo.Posce mei miseri miseratorem misereriMeque boni veri participem fieri.

Übersetzung:

Stehe still, lies, und bedenke genau, was du bist und was deine Taten sind. Eine sehr kurze Zeitspanne lebt man hier in Zweifel. Siehe, du vergehst wie eine Blume, als Asche gehst du schnell zur Asche, erlangst den Himmel oder die Hölle und erntest den verdienten Lohn. Nun handle, während du lebst, um (dann) Bürger des höchsten Vaterlandes zu sein. Der Tod sei dir Hoffnung, die dort vielfach verankert ist, wo das Leben ewig ist, wo die Freuden beständig sind und Ruhe ohne Arbeit und Tag ohne Nacht herrscht. Der du dies liest, bitte für mich, und bemühe dich für dich. Für dich und für mich, den Sünder, bring deine Gebete vor Gott. Bitte, daß der Barmherzige sich mir Elendem erbarmt und ich Anteil haben werde an dem Guten und Wahrhaftigen.

Versmaß: Sechs elegische Distichen, leoninisch zweisilbig rein gereimt.

Kommentar

Da die Inschrift in zweisilbig rein gereimten leoninischen Distichen abgefaßt ist, kann sie nicht vor 1100 entstanden sein, da diese Reimform erst in dieser Zeit in Inschriften erscheint.2) In dem für das 13. Jahrhundert ungewöhnlich dichten Bestand in Trier läßt sich beobachten, daß seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts Gedichte in Distichen durch reine Hexameterdichtungen abgelöst werden.3) In Mainz,4) Kloster Eberbach (Rheingau-Taunus-Kreis),5) dem Rhein-Hunsrück-Kreis,6) und Worms7) lassen sich dann im 14. Jahrhundert ausschließlich gereimte Hexameterdichtungen feststellen. Es scheint demnach seit dem 13. Jahrhundert eine Entwicklung weg von den Distichen und hin zu den Hexametern gegeben zu haben. Da die beiden einzigen metrischen Inschriften in Hersfeld, die sich sicher dem 12. Jahrhundert zuweisen lassen, ebenfalls in gereimten Distichen abgefaßt sind,8) könnte die vorliegende Inschrift ebenfalls im 12. Jahrhundert entstanden sein. Für eine frühe Datierung spricht zudem, daß der Name innerhalb des metrischen Textes fehlt. Auch dies läßt sich im 12. Jahrhundert bei Grabgedichten nachweisen.9)

Anmerkungen

  1. Anspielung auf Jes 40, 6 f.: „omnis caro faenum et omnis gloria eius quasi flos agri / exsiccatum est faenum et cecidit flos quia spiritus Domini sufflavit in eo vere faenum est populus.“
  2. Bayer, Metrische Inschriften 120–124.
  3. DI 70 (Trier I) Nrr. 171, 173, 174, 175, 176, 178, 185, 186, 189, 192, 193. Dagegen weisen nur Nr. 188 ein Distichon in Verbindung mit einem Hexameter und Nr. 190 ein Distichon in Verbindung mit neun Hexametern auf.
  4. DIO 1 (Mainz) Nrr. 35†, 36, 37, 38, 39.
  5. DI 43 (Rheingau-Taunus-Kreis) Nrr. 21, 63, 64, 66, 101.
  6. DI 60 (Rhein-Hunsrück-Kreis I) Nrr. 21, 28, 40, 47.
  7. DI 29 (Worms) Nrr. 97, 98.
  8. Vgl. Nr. 19 f.
  9. Vgl. DI 63 (Odenwaldkreis) Nr. 5.

Nachweise

  1. Brouwer, Hrabani Mauri poemata de diversis 105 (Migne, PL 112, Sp. 1681 f.).

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 23† (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0002305.