Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 22 Neukirchen (Haunetal), Evangelische Kirche 2. H. 12. Jh.

Beschreibung

Buchstabenfolge auf dem Tympanon eines Portals aus gelbgrauem Sandstein, das an der Südseite des Schiffes rechts neben dem Eingang vermauert ist. Die Inschrift, die am Anfang und am Ende von je einem mit einem kleinen Kreuz gekrönten Buchstaben eingeschlossen ist, steht auf dem Gewände oberhalb des Relieffeldes. Das Schriftband mit den Kreuzen wird von zwei größeren erhabenen griechischen Kreuzen flankiert. Im Relieffeld sind zwei runde Kreise zu sehen, jeweils gefüllt mit sechsstrahligen Blattornamenten. Die weiteren Darstellungen auf dem Tympanon lassen sich wegen der starken Abwitterung der Oberfläche nicht mehr deuten.1)

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

© Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Friedrich Karl Azzola, Trebur) [1/1]

  1. + ω [K] A F N M [C]a) Α +

Kommentar

Innerhalb der großen Kreuze wird das Schriftband von einem unzialen Omega (!) und einem Alpha flankiert, die jeweils von Kreuzen bekrönt sind.2) Die davon eingeschlossene Buchstabenfolge zeigt ein breites, trapezförmiges A, dessen kräftiger Deckbalken an beiden Seiten nur wenig übersteht, wohl seitenverkehrtes eckiges C, K mit kurzem Mittelteil, an dem die abgeknickten Schrägschäfte ansetzen, unziales halbgeschlossenes M, dessen Bögen allerdings kaum gerundet sind, sowie ein retrogrades N. Der geringe Buchstabenbestand, die vorangeschrittene Verwitterung der Buchstaben und ihre mäßige Ausführungsqualität machen eine paläographische Einordnung schwierig. Die Bauinschrift in Braach von 1133 zeigt einen völlig anderen Duktus (Nr. 18). Dasselbe gilt für die beiden Fragmente aus der Hersfelder Stiftsruine, die in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts datiert werden können (Nrr. 19, 21). Einen vergleichbaren Duktus zeigt die Grabinschrift für einen Unbekannten aus Michelstadt-Steinbach, die sich in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts einordnen läßt.3) Das A zeigt dort ebenfalls schon eine ausgeprägte Trapezform, ist aber ohne den überstehenden Deckbalken gebildet. Sehr ähnlich ist auch das unziale M mit den wenig ausgeprägten Rundungen. Ein vergleichbar breites A mit allerdings nur nach rechts überstehendem Deckbalken weist das Danielrelief im Wormser Dom von um 1165 auf,4) und der Godefridusstein aus St. Peter in Bubenheim (Pfalz) von 1163 besitzt ein vergleichbares A mit Deckbalken.5) Bei diesen drei Vergleichsbeispielen läßt sich auch die Mischung von unzialen und kapitalen Formen beobachten. Die Neukirchener Inschrift dürfte also wohl auch der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts angehören.6)

Da sich die Buchstabenfolge nicht zu einem Text auflösen läßt, handelt es sich vermutlich um ein Kryptogramm, das die symbolische Kraft der Buchstaben zur Abwehr des Bösen verwendet; diese Funktion unterstützen die apokalyptischen Buchstaben Alpha und Omega. Vergleichbare Buchstabenfolgen lassen sich vor allem auf Glocken nachweisen.7) Eine Deutung aus S. RAFNOIT, nach der es sich teilweise um ein Akronym für die S(tifter) R(einhard), A(pel) und F(rowin) von Haune handele, die die Kirche „auf dem Wasser“ (NOIT, aus netzte/naß) schenkten,8) ist für die Romanik abwegig.

Textkritischer Apparat

  1. S. RAFNOIT (?) Sturm, Sabo.

Anmerkungen

  1. Schott 3 und Sturm 273 vermuteten die Darstellung Christi als Weltenrichter, letzterem folgt Sabo; Dehio, Hessen (1982) 652 hält eine Christusdarstellung für möglich; Dehio, Hessen I (2008) 682 folgt Sturm. Schott erkannte Schwert und Palmwedel, außerdem links unten eine Schwurhand; Großmann, Bogenfelder 19 ist skeptisch betreffs der Darstellung.
  2. Schott bezeichnet die Kreuze als „Exoscilierungskreuze“, meint wahrscheinlich Exosculation – angesichts der Position im Tympanon ist das abwegig – entsprechend skeptisch ist auch Großmann, Bogenfelder 19.
  3. DI 63 (Odenwaldkreis) Nr. 5 mit Abb. 8 und 9.
  4. DI 29 (Worms) Nr. 21 mit Abb. 8.
  5. Kunstdenkmäler Kirchheimbolanden 48 mit Abb. 24.
  6. Schott hält den Stein für karolingisch oder sogar für älter und meint, die Schrift müsse später, ggf. sogar in der Spätgotik hinzugefügt worden sein. Großmann, Bogenfelder 19 schließt den Anfang des 13. Jh. nicht aus.
  7. Vgl. dazu bei Nrr. 36, 43 f.
  8. Sabo 467–470.

Nachweise

  1. Schott, Wahrzeichen 2 (erw.) mit Abb.
  2. Sturm, Bau- und Kunstdenkmale des Fuldaer Landes II 273 mit Abb.
  3. Sabo, Buchonia 364, 362 (Abb.), 467 mit Abb.

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 22 (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0002206.