Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 21 Bad Hersfeld, Museum/Bauhof Halle 8022, aus Stiftskirche/Stiftsruine 1. H. 12. Jh.

Beschreibung

Bildbeischriften. Die Tafel aus gelbgrauem Sandstein war in der Nähe des Albuingrabes (Nr. 164) angebracht, das sich an der Südwand des Langhauses befand.1) Heute steht ein Fragment I im Museum (Inv. Nr. D 89/79), ein weiteres (Fragment II) wird im Bauhof gelagert. Der Stein des Fragments I ist oben sowie an der linken und rechten Seite beschnitten. Sichtbar sind drei von ehemals fünf Textspalten, zwischen denen jeweils etwas Platz gelassen wurde, und davon sechs Zeilen, die beiden oberen durch Abbruch und Ausmeißelung entstellt. Die äußere linke Spalte ist der Beschneidung des Steins zum Opfer gefallen, die äußere rechte Spalte hat sich dagegen teilweise auf Fragment II erhalten. Bei beiden Fragmenten hat die starke Zerstörung der Oberfläche den lesbaren Buchstabenbestand stark dezimiert. Glücklicherweise wurde der gesamte Text des Steins von Christoph Brouwer 1617 im Anhang zu seiner Edition der Gedichte des Hrabanus Maurus gedruckt. Jede Zeile der einzelnen Spalten enthält zumeist ein Wort, elfmal zwei und einmal drei Wörter. Alle Spalten haben zwölf Zeilen. Die Zeilen 1 bis 3, 4 bis 6, 7 bis 9 und 10 bis 12 der einzelnen Spalten gehören jeweils zusammen. Es ist also nicht die ganze Spalte von oben nach unten zu lesen, sondern nach drei Zeilen wird der Text in der folgenden Spalte fortgesetzt. Worttrenner sind unregelmäßig gesetzte oder nicht immer erkennbare runde, halbkugelig vertiefte Punkte auf Zeilenmitte.

Ergänzt nach Brouwer, das Arrangement der Spalten und Zeilen nachgebildet in Schlosser und Abb. 14c.

Maße: H. 30, B. 88,5 (Fragment I), H. 25, B. 63 (Fragment II), Bu. 3,5 cm.

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

© Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/3]

  1. A†

    ANGELVS / IVSSA DEI / FERT // INTACTVS / VENTER / IMPREGNATVR // VERBVM / CARO / FIT // NOVA / STELLA MAGOS / DVCIT // PER TRIA DONA / DEVS INFANS / MAGNIFICATVR

  2. B†

    CHRISTVS / AD MORTEM / TRADITVR // REX MORTIS / CAPTVS / ARCTATVR // MORS / MORIENS / PERIT // CLAVSI / TENEBRIS / EXILIVNT // PLANTA VENVSTAa) / PARADISI / RENOVATVR

  3. C

    [CHRISTVS / EXVRGENSb) / ASCENDIT // D]ISTRICTV[S / I]VD[EX / R]EDIET ∙ // CVNC[TV(M)] / COR ∙ EVM ∙ / METVET ∙ // SVA ∙ P(RE)MIA ∙ / QVIVIS ∙ / CAPIET ∙ // [NOSTRVM / OP]VS OMN[E / P]ATEFI[ET]

  4. D

    [SANCTVM PNEVMA / DISCIPVLOS / INFLAMMAT // N]OVE ∙ / L]INGVE ∙ / [D]ANTVR // FIDEI ∙ / VIRTVS ∙ / CRESCIT // BAPTISMA ∙ / HOMINV(M) SCELV[S] / TOLLIT // [S]VP(ER)N[IS] / [I]MA / [S]OCIA[NTVR]

Übersetzung:

(A) Der Engel bringt die Befehle Gottes. Der unberührte Mutterleib wird schwanger. Das Wort wird Fleisch. Der neue Stern führt die Magier. Durch drei Geschenke wird Gott als Kind verherrlicht.

(B) Christus wird dem Tod übergeben. Der König des Todes ist gefangen und wird gebunden. Der Tod geht sterbend zugrunde. Die in die Dunkelheit Eingeschlossenen treten heraus. Der anmutige Setzling des Paradieses wird erneuert.

(C) Der auferstandene Christus fährt (zum Himmel) auf. Er wird als strenger Richter zurückkehren. Das ganze Herz fürchtet ihn. Jeder wird seinen Lohn empfangen. Unser ganzes Werk wird offenbar.

(D) Der Heilige Geist entflammt die Jünger. Neue Sprachen werden ihnen gegeben. Es wächst die Kraft des Glaubens. Die Taufe tilgt die Sünde der Menschen. Die Erde wird mit dem Himmel verbunden.

Versmaß: 12 Hexameter bei zeilenweiser Lesung

Kommentar

Die Inschrift ist ohne Ausnahme in Kapitalisbuchstaben ausgeführt, die überwiegend gleichstrichig sind. Die Sporen an den Schaft- und Balkenenden sind in der Regel als kleine angesetzte Striche und nur ausnahmsweise als Dreiecke gestaltet. Das A ist leicht trapezförmig und trägt einen nach beiden Seiten überstehenden Deckstrich. Die Balken des E sind gleich lang, der Mittelteil des M reicht bis zur Zeilenmitte, und O und Q sind nur annähernd kreisrund. Das R trägt eine leicht geschwungene Cauda. Damit zeigen die Buchstaben im Wesentlichen dieselben Merkmale wie jene der Mahninschrift (Nr. 19), die ebenfalls aus der Stiftskirche stammt und in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts datiert werden kann.2) Da das Langhaus wohl noch im 11. Jahrhundert fertiggestellt wurde,3) steht die Datierung der Inschrift nicht im Widerspruch zum Weihedatum 1144. Bei einer Bauzeit von über 100 Jahren ist damit zu rechnen, daß die fertiggestellten Teile der Kirche auch eine Ausstattung erhielten.

Die ungewöhnliche Anbringung der Inschrift in Spalten und die Folge einzelner kurzer Aussagen spricht dafür, daß es sich um erläuternde Bildbeischriften handelt, auch wenn in der Überlieferung keine zugehörige Malerei erwähnt wird. Die Bilder, auf die sich die Inschriften bezogen, waren offenbar in Registern angebracht. Nach dem Wortlaut der Inschriften zeigten sie in der obersten Reihe die Verkündigung an Maria, die Empfängnis Mariens, die Geburt Jesu, die Ankunft der Magier und die Darbringung ihrer Gaben. Darunter dürfte am Anfang die Kreuzigung Christi dargestellt gewesen sein. Die übrigen Bilder thematisierten die Überwindung des Todes durch den Kreuzestod Christi. Die folgende Zeile zeigte die Himmelfahrt Christi, seine Rückkehr als Weltenrichter und das Gericht. Die unterste Reihe ist Pfingsten gewidmet. Am Anfang wurde dargestellt, wie der Heilige Geistes auf die Jünger herabkommt, die anschließend in fremden Sprachen redeten. Die letzten drei Bilder haben offenbar die Ausbreitung des Glaubens zum Inhalt gehabt. Damit nahm die Malerei Bezug auf das Heilsgeschehen, das mit der Verkündigung beginnt, sich in Weihnachten, Ostern und Himmelfahrt fortsetzt und mit Pfingsten seinen Abschluß findet; damit werden zugleich die drei wichtigsten Hochfeste des Kirchenjahres genannt.

Durch das Arrangement der Inschriften lassen sich die einzelnen Aussagen nur schwer den zugehörigen Bildern zuordnen, weil der Auftraggeber sie in einem Block anordnete. Damit erreichte er eine nicht der Leserichtung und dem Sinn folgende Versifizierung in Hexametern nach Zeilen.

Textkritischer Apparat

  1. Brouwer schlägt als Konjektur VETVSTA vor.
  2. Sic statt EXSVRGENS.

Anmerkungen

  1. Zur Lage des Grabes vgl. Vonderau, Ausgrabungen 20 f. mit Abb. XII.
  2. Vgl. den ausführlichen Schriftvergleich unter Nr. 19.
  3. Gensen, Stiftsbezirk 5.

Nachweise

  1. Brouwer, Hrabani Mauri poemata de diversis 106 (Migne, PL 112, Sp. 1681 f.).
  2. Schlosser, Schriftquellen 338 f.
  3. Scholz, Bedeutung und Möglichkeiten 548–550 m. Abb. 6 f.

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 21 (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0002107.