Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 20† Bad Hersfeld, Stiftskirche/Stiftsruine             1144?/1. H. 12. Jh.

Beschreibung

Mahninschrift. Die Inschrift war auf der linken Seite des Westchors angebracht und wurde 1617 von Christoph Brouwer im Druck veröffentlicht.

Nach Brouwer.

  1. Vt guttae roris delentur caumate solis,Vt flos aut folium solvitur in nihilum,Sic decus omne perit, quod oberrans hic homo quaerit,Quo breviter fruitur post breve qui moritur.Nil fert syncerum vel constans machina rerum,Dum qui heri stabat, cras hodieve labat.Sed quae sunt sursum non norunt gaudia cursum.Lector, ad haec propera iusta sequens opera!Lux laus sollemnis ibi cunctis paxque perennisNec decor ullus abest, rex ubi summus adest.Desine vana sequi, quo munere iudicis aequiOb bona facta tibi vivere detur ibi.Eia quam laetus concors sacer atque quietusOmnis ibi caetus, non dolus ira metus.

Übersetzung:

Wie die Tropfen des Taus durch die Hitze der Sonne ausgelöscht werden, wie die Blume oder das Blatt sich in Nichts auflösen, so geht aller Glanz zugrunde, den der hin und her irrende Mensch hier sucht und die er kurz nur genießt, der bald darauf stirbt. Und nichts Echtes bringt das beständige Kunstwerk der Dinge, weil der, der gestern stand, morgen oder heute schwankt. Aber die Menschen wissen nicht, welche Freuden der Weg zum Himmel mit sich bringt. Leser, eile zu diesen Freuden, und folge den gerechten Werken! Dort wird allen Licht, feierliches Lob und ewiger Frieden zuteil, und kein Glanz fehlt, wo der höchste König anwesend ist. Hör auf, den eitlen Dingen zu folgen, durch das Geschenk des gerechten Richters wird es dir wegen der guten Taten gegeben, dort zu leben. Ach wie froh, einträchtig, heilig und ruhig ist dort die ganze Versammlung, und es gibt weder Trug noch Zorn oder Furcht.

Versmaß: Sieben elegische Distichen, leoninisch zweisilbig rein und unrein gereimt.

Kommentar

Die Inschrift korrespondiert mit einer weiteren Mahninschrift, die auf der gegenüberliegenden Seite des Westchores angebracht war und als Fragment erhalten geblieben ist (vorangehende Nr.). Der Westchor wurde als letzter Teil der neuen, 1144 geweihten Basilika zwischen etwa 1100 und 1144 errichtet.1) Die Buchstabenformen des Fragments lassen eine Datierung der Inschrift in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts zu. Da beide Inschriften aufeinander bezogen sind, dürfte auch die hier edierte Mahninschrift spätestens um 1144, also nach der endgültigen Vollendung der Kirche, gefertigt worden sein. Der Westchor diente als Laienchor. Adressaten der Mahninschrift waren demnach die Laien, deren Frömmigkeit gefördert werden sollte.

Anmerkungen

  1. Ludwig, Stiftsruine 28 f.

Nachweise

  1. Brouwer, Hrabani Mauri poemata de diversis 104 f. (Migne, PL 112, Sp. 1680 f.).

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 20† (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0002008.