Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)
Nr. 3† Bad Hersfeld, ältere Stiftskirche 850
Beschreibung
Tituli an neun Altären der 850 geweihten Wigbertbasilika. Die vom Mainzer Erzbischof Hrabanus Maurus verfaßten Tituli für Hersfeld sind heute nur noch durch eine Abschrift Christoph Brouwers überliefert, der sie einer Fuldaer Handschrift des 10. Jahrhunderts entnahm und 1617 zum Druck brachte.1) Auf dieser Grundlage gab Ernst Dümmler 1884 die Tituli erneut heraus, beseitigte in seiner Edition aber offensichtliche Fehler Brouwers. Die Tituli wurden vermutlich als Wandmalereiinschriften ausgeführt und waren vielleicht mit Bildern verbunden.2) Da die Inschriften somit zu einem Programm gehören, wurden sie in einer Nummer zusammengefaßt. Durch die Überschriften lassen sich die Tituli den einzelnen Altären der Wigbertbasilika zuordnen. Ob diese Überschriften von Hrabanus Maurus selbst stammen, ist nicht gesichert, doch scheint ihr Verfasser gute Ortskenntnisse besessen zu haben.3) Folgende Überschriften sind überliefert, zu (I): „Diese Verse sind in der Kirche des heiligen Bekenners Wigbert geschrieben worden, das heißt, in der Ostapside, wo der Heilige selbst mit seinem Körper ruht.“4) Zu (II): „In der südlichen Apside aber sind beim Altar des heiligen Petrus und des heiligen Paulus diese Verse vorhanden.“5) Zu (III): „Über den nächsten Altar aber, auf der linken Seite, sind diese Verse gesetzt worden.“6) Zu (IV): „Über dem rechten Altar aber stehen diese Verse geschrieben.“7) Zu (V): „Aber in der nördlichen Apside befinden sich beim Altar der Mutter Gottes diese Verse.“8) Zu (VI): „Diesem Altar ist jener benachbart, der auf der Nordseite steht und diese Verse trägt.“9) Zu (VII): „Aber auf der rechten Seite sind diese Verse über den Altar geschrieben worden.“10) Zu (VIII): „Der Kreuzaltar enthält diese Reliquien.“11) Zu (IX): „In der westlichen Apside dieser Kirche, beim Altar dessen, der dem Herrn voranging, sind diese Verse geschrieben worden.“12) Aufgrund der Angaben kann man davon ausgehen, daß die Kirche im Osten ein Querschiff mit drei Apsiden besaß. In der Ostapsis befand sich der Hauptaltar mit der Inschrift (I). In der Südapsis stand der Petrus und Paulus geweihte Altar mit der Inschrift (II), links von ihm, also zum Hauptaltar hin, befand sich der Stephanus und Laurentius geweihte Altar (III), während rechts vom Altar der Südapsis der Venantius und Quirinus geweihte Altar (IV) aufgestellt war. In der nördlichen Apsis war der Altar der Mutter Gottes untergebracht (V), nördlich von ihm stand ein dem heiligen Benedikt geweihter Altar (VI) und südlich ein Gervasius und Prothasius geweihter Altar (VII). Der Kreuzaltar (VIII) befand sich wie üblich im Langhaus. In der Westapsis der Kirche war schließlich der Johannes dem Täufer geweihte Altar (IX) aufgestellt.
Anmerkungen
- Dümmler, MGH Poetae II 157 f.; Meyer-Barkhausen, Versinschriften 62.
- Meyer-Barkhausen, Versinschriften 59–61; vgl. auch den Kommentar.
- Meyer-Barkhausen, Versinschriften 68 f.
- „Hi versus scripti sunt in ecclesia sancti Wiberti confessoris, hoc est, in abside orientali, ubi ipse sanctus corpore quiescit.“
- „In abside vero australi iuxta altare s. Petri et Pauli hi versus continentur.“
- „Super proximum vero altare, in sinistra parte isti positi sunt.“
- „Supra dextrum vero altare isti sunt conscripti.“
- „In abside vero aquilonali iuxta aram dei genetricis hi versus continentur.“
- „Cui proximum altare, quod in aquilonali parte constat, hos versus continet.“
- „In dextra vero parte hi versus super altare scripti sunt.“
- „Ad crucem erga altare positam, has reliquias continet.“
- „In abside etiam occidentali ipsius ecclesiae iuxta altare praecursoris domini isti versus scripti sunt.“
- Meyer-Barkhausen, Versinschriften 67 f.
- Meyer-Barkhausen, Versinschriften 59 f.
- Annales Hildesheimenses zu 850 (Waitz 17); Lampert, Annales zu 831 und zu 850 (Holder-Egger 22 und 26).
- Dümmler, MGH Poetae II, Nr. LXXIV 227.
Nachweise
- Brouwer, Hrabani Mauri poemata de diversis 60–62.
- Hrabani Mauri Carmina (ed. Dümmler, MGH Poetae II, Nr. LXXVII, 228–230).
Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 3† (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0000309.
Nach Dümmler.
Beschreibung
Versinschrift beim Hauptaltar in der Ostapsis.
Haec domus alma dei sacrata est nomine Christi, Cuius relliquias ara dicata tenet. Praesepis hic pars est et portio sancta sepulcri, Montis Oliveti mensaque grata manet. Discipulus domini Thomas Simonque Zelotes, Cum Iuda Iacobi sacra locant spolia hic. Scriptor euangelii Marcus, Bonifacius atque, Syxtus et Albanus Ferrutiusque manent. Landebertus amor, Pancratius atque Georgius, Cum Valentino ecce aderunt socio.
Übersetzung:
Dieses segenspendende Haus Gottes ist im Namen Christi geweiht, dessen Reliquien der geweihte Altar enthält. Hier ist ein Teil der Krippe und ein Stück des Heiligen Grabes, des Ölbergs, und der bedeutsame Tisch ist vorhanden. Thomas, der Schüler des Herrn, und Simon Zelotes zusammen mit Juda, dem Sohn des Jakobus, legen ihre heilige Hinterlassenschaft hierhin. Der Schreiber des Evangeliums, Markus, Bonifatius und Sixtus sowie Alban und Ferrutius sind gegenwärtig. Siehe, es sind auch der verehrte Landebert, Pancratius und Georg mit ihrem Gefährten Valentinus da.
Versmaß: Fünf elegische Distichen.
Beschreibung
Versinschrift beim Altar in der Südapsis.
Hoc altare Petrus princeps Paulusque magister Cum sancto Andrea rite iuvant meritis. Hic Clemens pastor, Marcellus papa beatus, Sanctus Alexander atque Callistus ovant, Inclytus Urbanus, Sylvester ac Fabianus, Pontifices vota hic pia suscipiunt.
Übersetzung:
Diesen Altar haben der (Apostel-)Fürst Petrus und der Lehrer Paulus inne, zusammen mit dem heiligen Andreas helfen sie zu Recht durch ihre Verdienste. Hier frohlocken der Hirte Clemens, der heilige Papst Marcellus, der heilige Alexander und Calixtus, der berühmte Urban, Silvester und Fabianus, diese Päpste empfangen hier fromme Gebete.
Versmaß: Drei elegische Distichen.
Beschreibung
Versinschrift im südlichen Querschiff, am Altar links der Südapsis.
Hoc altare tenet Stephanus, Laurentius atque, Levitae officio martyrioque sacri. Agapitus pariter et Felicissimus almus Hunc titulum retinent atque dicant meritis. Hic ovat et Zenon, Vincentius, ambo ministri, Qui fuerant Christi, nunc et in arce manent.
Übersetzung:
Diesen Altar haben Stephanus und Laurentius inne, heilig sind sie durch das Amt des Diakons und durch das Martyrium. Und zugleich haben Agapit und der segenspendende Felicissimus diesen Altartitel inne und weihen ihn durch ihre Verdienste. Hier freuen sich auch Zenon und Vincentius, die beide Diener Christi waren und nun in der (Himmels)burg verweilen.
Versmaß: Drei elegische Distichen.
Beschreibung
Versinschrift im südlichen Querschiff, am Altar rechts der Südapsis.
Martyrio insignes Venantius atque Quirinus, Pontifices clari hunc titulum retinent. Sanctus Alexander, Cornelius atque beatus, Rectores summi sedis apostolicae. Hic Isidorus ovat, praesul Theodulus et almus, Qui Christi testis clarus in orbe fuit. Maximus, Hippolytus, Victor et Candidus ipse, Cum quater hic denis martyribus aderunt.
Übersetzung:
Venantius und Quirinus, berühmte Bischöfe und hervorragend durch ihr Martyrium, haben diesen Altartitel inne sowie der heilige Alexander und der heilige Cornelius, die Leiter des höchsten apostolischen Sitzes. Hier freut sich Isidor und der segenspendende Bischof Theodulus, der in der Welt berühmt gewesen ist als Zeuge Christi. Maximus, Hippolytus, Victor und Candidus selbst sind mit 40 Märtyrern hier.
Versmaß: Vier elegische Distichen.
Beschreibung
Versinschrift am Altar in der Nordapsis.
Virgo dei genitrix, hanc aram tu ipsa dicato, Hic tecum maneat virgineusque chorus. Agnes, Cecilia, Iuliana et martyr Agatha, Euphemia, Eutropia atque Pudentiana. Rufina, Prisca Emeritaque et Lioba beata, Hic adstent votis Brigida et Eugenia.
Übersetzung:
Jungfrau und Mutter Gottes, du selbst sollst diesen Altar weihen; und hier bleibe mit dir der Chor der Jungfrauen gegenwärtig. Agnes, Caecilia, Juliana und die Märtyrerin Agatha, Euphemia, Eutropia und Pudentiana, Rufina, Prisca und Emerita sowie die heilige Lioba, auch Brigida und Eugenia stehen hier für Bitten bereit.
Versmaß: Drei elegische Distichen.
Beschreibung
Versinschrift im nördlichen Querschiff, am Altar links der Nordapsis.
O Benedicte pater, monachorum maxime pastor, Hoc altare iuva rite tuis precibus. Cuthbertus praesul, Arnulfus episcopus almus, Hic adsint tecum nosque iuvent meritis. Felix, Iustinus, Goar et presbyter almus, Cum Fortunato hoc simul et faciant.
Übersetzung:
O Vater Benedikt, bedeutendster Hirte der Mönche, hilf an diesem Altar zu Recht durch deine Bitten. Bischof Cuthbert und der segenspendende Bischof Arnulf, sie sollen hier sein mit dir und uns helfen durch ihre Verdienste. Felix, Justinus und Goar, der segenspendende Priester, auch sie sollen dies zugleich mit Fortunatus tun.
Versmaß: Drei elegische Distichen.
Beschreibung
Versinschrift im nördlichen Querschiff, am Altar rechts der Nordapsis.
Hoc altare tenet Gervasius atque Prothasius, Martyrio insignes sicque Sebastianus, Vitus, Sinizius, Cosmas simul et Damianus, Gordianus pariter atque Epimachus amant, Sergius et Bacchus, Prothus simul atque Hyacinthus, Sanctus Nazarius martyr et ipse pius.
Übersetzung:
Diesen Altar haben Gervasius und Prothasius inne, ausgezeichnet durch ihr Martyrium wie auch Sebastian, Vitus, Sinizius, Cosmas und auch Damian und zugleich Gordian und Epimachus sind uns verbunden, wie auch Sergius und Bacchus, Prothus und ebenso Hyacinthus sowie der heilige und fromme Märtyrer Nazarius selbst.
Versmaß: Drei elegische Distichen.
Beschreibung
Versinschrift am Kreuzaltar im Langhaus.
Pars crucis hic domini est, qua Christus saecla beavit, Portio sudarii chlamydis atque sacrae. Papa en Gregorius, Martinus praesul et almus, Ambrosius doctor atque Medardus ovant. Maximinus adest, Germanus, hicque Remigius Virgine cum insigni et martyre Anastasia.
Übersetzung:
Ein Teil des Kreuzes des Herrn ist hier, durch das Christus die Welt beglückt hat, auch ein Teil des Schweißtuches und des heiligen Obergewandes. Ach, hier frohlocken Papst Gregor und der segenspendende Bischof Martin, der Lehrer Ambrosius und Medardus. Maximinus ist da, Germanus sowie Remigius mitsamt der ausgezeichneten Jungfrau und Märtyrerin Anastasia.
Versmaß: Drei elegische Distichen.
Beschreibung
Versinschrift am Altar in der Westapsis.
Hic praeco insignis Christi et baptista Iohannes, Scriptor euangelii atque Iohannes ovat. Hicque Dionysius, Chylianus martyr et almus Adstantes orant cum sociis pariter. Marcellinus adest martyr et Petrus honestus, Nereus, Achilles Priscaque et ipse Aquila. Romano Marcus, Crispino Crispinianus, Adiuncti adsistunt ecce sacris precibus. Ecce Tiburtius hic praesens cum Valeriano Caesarioque simul vota pia accipiunt. Quapropter moneo cunctos, qui huc rite propinquant Orandi causa, ut mente proba hoc faciant.
Übersetzung:
Hier freuen sich der ausgezeichnete Verkünder und Täufer Christi Johannes, und Johannes, der Schreiber des Evangeliums. Und hier sind Dionysius, der segenspendende Märtyrer Chylianus, und sie bitten zugleich mit ihren Gefährten. Der Märtyrer Marcellinus ist da und der ehrenvolle Petrus sowie Nereus, Achilles und auch Prisca und Aquila. Marcus ist dem Romanus und Crispinianus dem Crispinus verbunden, und siehe, sie sind da mit ihren heiligen Bitten. Siehe, auch Tiburtius ist hier gegenwärtig zusammen mit Valerianus, und sie nehmen zugleich mit Caesarius die frommen Gebete entgegen. Deshalb ermahne ich alle, die in rechter Weise hierher kommen, um zu beten, daß sie dies mit redlichem Sinn tun sollen.
Versmaß: Sechs elegische Distichen.
Kommentar
Das letzte Distichon in (IX) macht den Sinn der Versinschriften deutlich: „Deshalb ermahne ich alle, die in rechter Weise hierher kommen, um zu beten, daß sie dies mit redlichem Sinn tun sollen.“ Die Inschriften richten sich an jene, die zu den Heiligen in der Kirche beten wollen. In den Inschriften (II), (V) und (IX) wird vermerkt, die Heiligen seien bereit, die Bitten und Gebete der Gläubigen entgegenzunehmen. Die Inschriften sollten also jene Heiligen vorstellen, die durch ihre Reliquien in dem jeweiligen Altar präsent waren. Der Beter konnte dann entscheiden, wem er seine Bitte im Gebet anvertrauen wollte. Die Heiligen, so glaubte man, brachten das Anliegen dann vor Gott. Allerdings waren für die Bevölkerung nur der Kreuzaltar und der Altar in der Westapsis zugänglich, während die Altäre im Querhaus den Mönchen vorbehalten blieben.13) Doch auch für sie war das Gebet zu den Heiligen ein zentrales Anliegen. Ob die Heiligen auch in Bildern dargestellt wurden, wie es sich bei anderen von Hrabanus Maurus verfaßten Tituli wahrscheinlich machen läßt,14) bleibt hier ungewiß. Lediglich das Wort ecce („Siehe“), das einmal in (I) und zweimal in (IX) vorkommt, könnte auf entsprechende bildliche Darstellungen hinweisen.
Hrabanus Maurus hatte 831 zusammen mit Abt Buno von Hersfeld den Grundstein für den neuen Kirchenbau gelegt und nahm 850 die Weihe der Wigbertbasilika vor.15) Vermutlich verfaßte er die Versinschriften zu diesem Anlaß. Bei einer ähnlichen Gelegenheit verfaßte Hrabanus durchaus ähnlich strukturierte Texte bzw. Inschriften für Klingenmünster.16) Beachtenswert ist auch die teilweise Übereinstimmung der Reliquienkataloge, so daß sich der Eindruck aufdrängt, die Reliquien beider Abteien seien in hohem Maße vom weihenden Erzbischof geliefert worden.