Inschriftenkatalog: Landkreis Bergstraße

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 38: Bergstraße (1994)

Nr. 109 Hirschhorn, Karmeliterkloster um 1517?

Beschreibung

Bildbeischriften und Bibelzitate aus dem Eliazyklus an der Nordwestwand des Kapitelsaals. Die Wandmalerei wurde 1913 entdeckt und 1959/60 restauriert.1) Nur sechs der ehemals zehn Bilder des Zyklus sind erhalten: Elia und Achab, Elia und die Witwe von Sarephta, das Opfer des Elia auf dem Berg Karmel, die Tötung der Baalspriester, Speisung des Elia durch den Engel, Elia und Elisäus (von links nach rechts). Die einzelnen Gemälde sind ungefähr gleich groß und von einem rechteckigen Rahmen aus roter Farbe eingefaßt. Ihre Höhe beträgt 230 cm, ihre Breite 107-114 cm. Unter jeder Darstellung befindet sich eine Bildbeischrift in Versen. Die Anfangsbuchstaben der Texte sind als Versalien in roter Farbe ausgeführt. Die übrigen Buchstaben sind mit schwarzer Farbe gemalt. Es wurde gotische Minuskel und frühhumanistische Kapitalis verwendet. Die ersten vier Bilder enthalten zudem innerhalb der Szenen Schriftbänder mit Bibelzitaten. Die Schriftbänder der ersten beiden Gemälde sind jedoch so stark verblaßt, daß sie nur noch bruchstückhaft zu lesen sind. Alle Schriftbänder sind in gotischer Minuskel geschrieben und weisen am Anfang rote Versalien auf. Auch die Angaben der Bibelstellen sind, soweit vorhanden, in roter Farbe gemalt, während alle übrigen Buchstaben schwarz sind. Die Texte der Bibelzitate im Bild wurden teilweise nach der Lesung von Guido Schoenberger, Ratgeb-Studien, ergänzt. Einige bei der Restaurierung verstümmelte Textstellen der Bildbeischriften,2) konnten mit Hilfe der bei Schoenberger gebotenen Abbildungen verifiziert werden.3) Eine Edition der Bildbeischriften fehlt bei Schoenberger.

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/17]

Anmerkungen

  1. 1.Vgl. dazu Einsingbach, Kdm. 263.
  2. 2.Vgl. ebd.
  3. 3.Schoenberger, Ratgeb-Studien Taf. XXVI a-f.

I Elia und Achab. Im Vordergrund weissagt der Prophet Elia dem König von Israel Achab die Dürre. Über dem Kopf des Elia befindet sich ein Schriftband mit dem entsprechenden Bibelzitat (A). Im Hintergrund ist die Speisung des Elia durch die Raben dargestellt. Die Bildbeischrift (B) gibt die Erläuterung.

Maße: Bu. 4,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

  1. A

    Si eri[t annis his ros et pluvia nisi iuxta oris mei verba ...]a)1)

  2. B

    Rex defecit achab generos(us) filius amri linquens mosaici dogmata sancta libri disponente deo tu(n)c temporis esca dabatur p(er) corvos vati torrida ad antra carith2) ·

Übersetzung:

Es wird in diesen Jahren Tau und Wasser nur auf mein Wort hin fallen.(A)

König Achab, der edle Sohn des Amri, wurde dem Glauben untreu und wandte sich von der heiligen Lehre des mosaischen Buches ab. Damals wurden dem Prophet auf Geheiß Gottes bei den trockenen Höhlen des Karith von Raben Speisen gebracht.(B)

Versmaß: Zwei Distichen.

Wiedergegeben wird der Beginn der Elia-Erzählung. Achab hatte sich dem Kult des Baal zugewandt, und Gott ließ deshalb durch Elia eine Dürre über das Land verkünden. Anschließend verbarg sich Elia an dem Bach Karith, wo er von Raben gespeist wurde.3) An dieser Stelle hat der Text gegenüber dem Alten Testament eine auffällige Änderung erfahren, da in der Inschrift statt von einem Bach von „trockenen Höhlen“ die Rede ist.

Textkritischer Apparat

  1. Ergänzung nach Schoenberger, Ratgeb-Studien 71. Die kaum noch zu erkennende Angabe der Bibelstelle fehlt in der Lesung Schoenbergers.

Anmerkungen

  1. 1.III Rg. 17,1.
  2. 2.Vgl. III Rg. 16,30 und 17,5-6.
  3. 3.Vgl. III Rg. 16,30ff. und 17,1ff.

II Elia und die Witwe. Im Vordergrund bittet der Prophet die vor ihm sitzende Witwe um ein wenig Brot. Über seinem Kopf befindet sich ein Schriftband mit dem Bibelzitat (C). Neben der Frau sind ein kleiner Ölkrug und ein Mehlgefäß dargestellt. In einem „Bild im Bilde“ sieht man die Witwe an dem Bett ihres toten Sohnes stehen, zu dem sich Elia gerade herabbeugt.

Maße: Bu. 4,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

  1. C

    A[ffer] michi [obsecr]o et bucellam p[anis in] manu [tu]a:a) · 3 · li(ber) [Reg(um)...] xvii:b)1)

  2. D

    Helie precibus [non]c) deficet hydria farris Cui(us) et afflatu gnatus sua me(m)bra recepit ad vita(m): vidue datus est olei cadus auctus Vrbe sareptana nulla de parte minutus2)

Übersetzung:

Bringe mir bitte auch einen Bissen Brot in deiner Hand.(C)

Durch die Bitten des Elia wird das Mehlgefäß nicht abnehmen, und durch seinen Hauch empfing der Sohn seinen Leib wieder. Der Witwe wurde zum Leben der gefüllte Ölkrug gegeben, der in der Stadt Sarephta nichts von seinem Inhalt verlor.(D)

Versmaß: Vier Hexameter.

Auf Befehl Gottes begab Elia sich zur Stadt Sarephta. Dort traf er eine Witwe, die ihm ihre letzte Mahlzeit zu essen gab, welche sie für sich und ihren Sohn aufgespart hatte. Deshalb bewirkte Elia, daß ihr Ölkrug und ihr Mehlgefäß niemals leer wurden. Auch den an einer Krankheit gestorbenen Sohn der Witwe rief er wieder ins Leben zurück.
In den Versen sind vielleicht aus metrischen Gründen die zusammengehörigen Wunder der niemals leer werdenen Gefäße getrennt und die Wiedererweckung des toten Knaben dazwischen geschoben worden.

Textkritischer Apparat

  1. Ornament als Worttrenner.
  2. Ergänzungen nach Schoenberger, Ratgeb-Studien 71.
  3. Ein Vergleich der Abbildung bei Schoenberger, Ratgeb-Studien Taf. XXVI b und dem heutigen Zustand zeigt, daß die Stelle bei der Restaurierung verändert worden ist. Vor allem der heute über dem zweiten Buchstaben deutlich sichtbare u-Haken ist auf der Abbildung bei Schoenberger nicht erkennbar. Die bei Schoenberger zu sehenden Hasten lassen auf ein Wort mit drei Buchstaben schließen. Die Konjektur non ist deshalb naheliegend, da sie sowohl metrisch passend als auch vom Sinn her zwingend erforderlich ist.

Anmerkungen

  1. 1.III Rg. 17,11.
  2. 2.Vgl. III Rg. 17,10-23.

III Das Opfer des Elia. Im Vordergrund stehen Elia und einige andere Personen vor einem Altar, auf dem aufgeschichtetes Holz und ein Opfertier liegen. Aus dem Himmel fällt Feuer auf den Altar. Im Hintergrund befindet sich ein weiterer Altar, auf dem ebenfalls Holz und ein Opfertier sowie ein Götzenbild zu sehen sind. Um den Altar herum knien die Priester des Baal. Darüber ist eine Inschrift (E) angebracht. Die Bildbeischrift (F) besteht aus zwei sapphischen Strophen, die nebeneinander angeordnet sind.

Maße: Bu. 4 cm (F).

Schriftart(en): Gotische Minuskel (E). Frühhumanistische Kapitalis (F).

  1. E

    Baal exaudi nos:1)

  2. F

    HELIAS ARAM D(OMI)NO LOCAVITa) IGNE SUCCENSOb): SVPEROc) VOLE(N)TEd) AD FIDE(M) VERPOS PROPRIA(M)c) REVERTIe) PER SVA SIGNA PERFIDI VOTISf) CARVEREg) VATES ERGO LINQVENTESh) SIMVLAC[...]N[..]i) LVMEN ETERNI PECIEREk) PATRIS CORDE NEGATU(M)2)

Übersetzung:

Baal erhöre uns.(E)

Elia errichtete dem Herrn einen Altar; nachdem sich das Feuer entzündet hatte, bekehrten sich nach Gottes Willen die Juden durch seine Zeichen zu ihrem eigenen Glauben. Die Gebete der falschen Propheten erfüllten sich nicht, weshalb sie das Götzenbild verließen und das Feuer des ewigen Vaters erbaten, das sie zuvor im Herzen abgelehnt hatten.(F)

Versmaß: Zwei sapphische Strophen.

Iesabel, die Frau Achabs, hatte sich dem Baalskult zugewand und die meisten Proheten Gottes töten lassen. Daraufhin brachte Elia König Achab dazu, das Volk Israel sowie die Propheten des Baal auf dem Berg Karmel zu versammeln. Dort sollte entschieden werden, wer der wahre Gott sei. Auf den Vorschlag des Elia errichteten sowohl er als auch die Baalspriester je einen Altar, auf den Holz und ein Opfertier gelegt wurden. Dann flehte jeder zu seinem Gott, das Opfer in Flammen aufgehen zu lassen. Nur die Bitte des Elia wurde erhört, woraufhin das Volk zu seinem alten Glauben zurückkehrte.
Die zweite Strophe hat in der Bibel keine Entsprechung. Von einer Bekehrung der Baalspropheten ist dort nirgendwo die Rede. Dieser Einschub paßt auch nicht zu der in den beiden folgenden Strophen geschilderten Hinrichtung der Propheten des Baal.

Textkritischer Apparat

  1. L mit eingestelltem O.
  2. C mit eingestelltem E.
  3. R mit kleinem, angefügtem O.
  4. T mit zwei untergestellten E.
  5. T mit untergestelltem I.
  6. T mit untergestelltem O und I.
  7. R mit kleinem, angefügtem E.
  8. L mit eingestelltem I und T mit untergestelltem E.
  9. Auf der Abbildung bei Schoenberger, Ratgeb-Studien Taf. XXVI c sind direkt hinter dem heute zu lesenden SIMVLAC noch weitere Buchstabenreste zu erkennen, ohne daß sich dadurch der Text wiederherstellen ließe.
  10. Sic statt PETIERVNT. Das letzte E ist klein angefügt.

Anmerkungen

  1. 1.III Rg. 18,26.
  2. 2.Vgl. III Rg. 18,20-40.

IV Die Tötung der Baalspriester. Im Vordergrund steht Elia, in der erhobenen rechten Hand ein Schwert und im Begriff, einen vor ihm knienden Priester des Baal zu töten. Daneben sind weitere, bereits getötete Baalspriester zu sehen. Im Hintergrund ist der in einem Vierspänner sitzende König Achab dargestellt. Die beiden sapphischen Strophen der Bildbeischrift sind nebeneinander angeordnet.

Maße: Bu. 4 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

  1. G

    Regis aduentu liquid(us) cadebat Imber ex sum(m)a madida(n)s agellosa) Nube: cu(m) picta veniens quadriga vndiq(ue) siccos Motus hi(n)c magno p(o)p(u)lus fororeb) E[x po]lo1) miracla stupe(n)da cernensc) lapsa: mox strictod) gladio p(er)emit pseudo2) prophetas3)

Übersetzung:

Bei der Ankunft des Königs, der in seinem geschmückten Viergespann kam, fiel strömender Regen aus der hohen Wolke und tränkte ringsum die trockenen Felder.

Das von großer Wut erfüllte Volk nahm das erstaunliche Wunder wahr, welches vom Himmel herabkam; dann tötete Elia mit gezogenem Schwert die falschen Propheten.(G)

Versmaß: Zwei sapphische Strophen.

In diesen beiden Strophen hat sich der Verfasser am weitesten von dem Text seiner Vorlage entfernt. In der Bibel tötet Elia zunächst die Baalspriester und bittet dann Gott auf dem Berg Karmel siebenmal um Regen für das Land. Als die Regenwolken zu sehen sind, fordert er Achab auf, seinen Wagen anzuspannen und vor dem Regen zu fliehen. In den Versen ist die Reihenfolge der Ereignisse umgekehrt. Der Regen fällt hier bereits bei der Ankunft des Königs, und die Bitte um Regen wird weder im Text noch in der bildlichen Darstellung thematisiert, obwohl in der zweiten Strophe mit miracla stupenda ... lapsa noch einmal auf das Wunder des vom Himmel herabströmenden Regens Bezug genommen wird.
Die Umsetzung des Bibelstoffs scheint dem Verfasser bei dieser Episode mehr Schwierigkeiten als gewöhnlich bereitet zu haben. Dafür spricht die weite Auseinanderziehung sinngemäß zusammengehöriger Teile wie Regis adventu ... cum picta ... quadriga und die weite Sperrung von agellos ... siccos.

Textkritischer Apparat

  1. e und das folgende l sind kaum noch zu erkennen.
  2. Das e ist durch den dunklen Trennstrich zum nächsten Bild fast ganz verdeckt worden.
  3. Das s ist von dem Trennstrich zum nächsten Bild überdeckt, aber noch sichtbar.
  4. t mit untergestelltem o.

Anmerkungen

  1. 1.Die Lesung der Stelle verdanke ich Herrn Dr. Klaus Hallof, Berlin.
  2. 2.Die richtige Lesung des Wortes verdanke ich Herrn Prof. Dr. Fidel Rädle, Göttingen.
  3. 3.Vgl. III Rg. 18,39-45.

V Speisung des Elia durch den Engel. Im Vordergrund ist der neben einem Baum ruhende Elia dargestellt. Ein schwebender Engel reicht ihm ein Brot. Im Hintergrund sitzt Elia auf einem Berg vor einer Höhle. Darüber schwebt eine Wolke, aus der Gott herabblickt. Daneben befindet sich ein Schriftband in gotischer Minuskel mit einem Bibelzitat.(H)

Maße: Bu. 4 cm (I).

Schriftart(en): Gotische Minuskel

  1. H

    Quid [hic]a) agis helia:1)

  2. I

    Iezabel insidias occisisb) vatibus eius Helie mortem: furiis agitata parabat A parte iunipera cinerato pane refectus Quo quadraginta diebus oreb remeasset ad antra2)

Übersetzung:

Was tust Du hier, Elia?(H)

Nachdem ihre Propheten getötet worden waren, traf Iesabel, von den Furien getrieben, Vorkehrungen zu Anschlägen gegen Elia und zu seinem Tod. An einem Wacholderstrauch ist er durch einen Aschenkuchen gestärkt worden, damit er in 40 Tagen zu den Höhlen des Horeb zurückkehre.(I)

Versmaß: Vier Hexameter.

Nachdem Iesabel von Achab berichtet worden war, daß Elia die Propheten des Baal getötet hatte, schwor sie ihm den Tod. Elia floh vor ihr und als er an einem Wacholderbaum rastete, wünschte er zu sterben. Daraufhin kam ein Engel zu ihm, stärkte ihn mit einem Aschenkuchen und ermunterte ihn weiterzugehen. Elia gelangte so zu dem Berg Horeb, wo ihm Gott erschien und ihm einen weiteren Auftrag gab.3)

Textkritischer Apparat

  1. An dieser Stelle des Bibelzitates sind nur noch Farbspuren sichtbar. In der Vulgata steht an dieser Stelle ein „hic“. Das Wort kann hier unbedenklich ergänzt werden, zumal auch die übrigen in diesem Zyklus verwendeten Bibelzitate wörtlich mit dem Vulgata-Text übereinstimmen.
  2. Das zweite c ist retrograd an das erste gesetzt.

Anmerkungen

  1. 1.III Rg. 19,13.
  2. 2.Vgl. III Rg. 19,1-8.
  3. 3.III Rg. 19,1-13.

VI Elia und Elisäus. Im Vordergrund des Bildes steht Elia und legt seinen Mantel um den vor ihm knienden Elisäus. Im Hintergrund pflügt Elisäus mit den Stieren sein Feld.

Maße: Bu. 3,5 cm.

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis.

  1. K

    HELIASa) INSTINCTV REMEANS LVSTRAREb) DAMASCUM DIVIVNOc): LINQVE(N)Sa) MONTISd) SPELEAe) FERARVM VNXERAT VNGVENTIS AZABELEMe) POST HELISEVMa) DVM SVA BIS SENIS DISCINDERETf) ARV[A]g) IVVENCISf)1)

Übersetzung:

Auf göttlichen Befehl kehrte Elia zurück, und die Berghöhlen der wilden Tiere zurücklassend, wanderte er nach Damaskus. Mit Salbölen hatte er Azael und danach Elisäus gesalbt, als dieser gerade mit zwölf Stieren sein Feld pflügte.(K)

Versmaß: Vier Hexameter.

Auf dem Berg Oreb empfing Elia den Befehl Gottes, nach Damaskus zu gehen und Azael zum König von Syrien und Elisäus zum Propheten an seiner Stelle zu salben. Als Elia Elisäus traf, pflügte dieser gerade sein Feld. Elia warf ihm seinen Mantel um, und Elisäus folgte ihm nach.

Textkritischer Apparat

  1. L mit eingestelltem I.
  2. T mit untergestelltem R.
  3. Verschrieben statt DIVINO.
  4. T mit untergestelltem I.
  5. L mit eingestelltem E.
  6. C mit eingestelltem I.
  7. Von dem V ist nur noch die linke Haste zu erkennen. Bei Schoenberger, Ratgeb-Studien Taf. XXVI f ist es noch ganz zu sehen.

Anmerkungen

  1. 1.III Rg. 19,15-21.

Seit dem Beginn der Kreuzzüge hatten sich Einsiedler auf dem Berg Karmel niedergelassen, und zwar an der Eliaquelle in einem Tal auf der Westseite. Als sich diese Eremiten zu einer organisierten Lebensform entschlossen, erbaten sie vom Jerusalemer Patriarchen Albert von Vercelli eine Regel, die er zwischen 1206 und 1214 ausarbeitete.1) Als das Königreich von Jerusalem unter den Angriffen der Araber zerfiel, siedelten die Eremiten vom Berg Karmel im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts zum größten Teil nach Europa über.2) Im Jahr 1247 wurde ihre Regel durch Papst Innozenz IV. abgeändert. Sie gestattete nun anstelle der rein eremitischen Lebensweise eine zönobitische.3) Die Karmeliter wurden zu einem Bettelorden und als solcher auf dem zweiten Konzil von Lyon (1274) bestätigt.4)
Die Person des Propheten Elia gewann von Anfang an große Bedeutung für die Karmeliter, da der Berg Karmel als Aufenthaltsort des Propheten galt und Elia schon seit dem 4. Jahrhundert als Begründer der eremitischen Lebensweise angesehen wurde.5) Bereits den Konstitutionen der Karmeliter von 1281 wurde eine Erklärung beigefügt, in der das Leben des Elia auf dem Berg Karmel als Vorbild für den Orden angegeben wurde.6) Der Karmeliter Johannes de Chemineto sprach 1337 als erster den Gedanken aus, der Orden gehe bis in die Zeit des Elia zurück, und der Prophet habe ihn gegründet. Diese Vorstellung setzte sich dann allmählich durch.7) Ab dem Ende des 14. Jahrhunderts häufen sich die Darstellungen des Elia in den Kirchen der Karmeliter und in den von ihnen verfaßten Schriften.8) Im Jahr 1477 erklärte Papst Sixtus IV., der Orden der Karmeliter gehe tatsächlich auf Elia zurück.9)
Das Leben des Ordensgründers wurde in Hirschhorn an zentraler Stelle, nämlich im Kapitelsaal des Klosters, dargestellt. Die Bilder zeigen jeweils im Vordergrund eine Szene mit großen Figuren, dahinter ist in eine Landschaft eine ergänzende Nebenszene gemalt.10) Im zweiten Bild ist passend zu dem Geschehen im Hintergrund eine Stadtarchitektur zu sehen, und man erblickt die Nebenszene in einem aufgeschnittenen Haus. Auf allen anderen Bildern ist eine karge Gebirgslandschaft dargestellt. Diese Umgebung soll die asketische Lebensweise des Eremiten betonen. Vorbild war eine ältere Tradition der Einsiedlerlandschaft, auf die auch Jörg Ratgeb zurückgegriffen hat.11) Guido Schoenberger hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Auswahl der Szenen in Hirschhorn und in dem Eliazyklus Ratgebs im Refektorium des Frankfurter Karmeliterklosters (vollendet 1517) fast gleich ist. Auch in den Details finden sich große Übereinstimmungen, z.B. bei der Speisung des Elia durch die Raben, bei der Wiedererweckung des Sohnes der Witwe von Sarephta von den Toten, bei der Opferszene und bei der Tötung der Propheten des Baal. Schoenberger wies aber auch auf auffällige Unterschiede gerade bei der Gestaltung des Elia hin. Während der Prophet in Frankfurt in der Ordenstracht der Karmeliter erscheint, trägt er in Hirschhorn den Prophetenmantel. Zudem ist der ganze Ausdruck des Elia in Frankfurt viel lebhafter.12) Auch das übrige Werk Ratgebs zeigt eine größere Lebendigkeit der Figuren als sie in Hirschhorn festzustellen ist.13) Aus diesem Grund ist es nicht möglich, in dem Zyklus eine frühere, gleichzeitig mit dem Umbau des Kapitelsaals 1509 entstandene Arbeit Ratgebs zu sehen.14) Schoenberger kam deshalb zu dem Ergebnis, daß in Hirschhorn vermutlich ein Schüler Ratgebs gearbeitet habe und nicht der Meister selbst.15)
Da der Hirschhorner Eliazyklus offenbar den Frankfurter Zyklus zum Vorbild gehabt hat, kommt noch ein weiteres Argument gegen die Urheberschaft Ratgebs hinzu. Während nämlich in Frankfurt die großen Bildbeischriften, in denen die Geschichte des Ordens in Prosa erzählt wird, in ungewöhnlicher Weise als Teppiche gestaltet sind, die vor dem Landschaftspanorama zu hängen scheinen,16) sind sie in Hirschhorn in üblicher Weise unter das Bild gesetzt. Entgegen Schoenbergers Behauptung17) zeigt auch die Schrift in Frankfurt mit jener in Hirschhorn kaum Ähnlichkeiten. Die Inschriften im Frankfurter Refektorium sind durchgängig in Kapitalis geschrieben. Das H mit der Ausbuchtung im Mittelbalken, das A mit breitem Deckbalken und das unziale D, wie sie in Hirschhorn verwendet wurden, kommen in Frankfurt nicht vor. Ebenso fehlt in Frankfurt die Häufung von eingestellten Buchstaben. Dagegen sind Kürzungen von M und N die Regel.18) Möglicherweise hat also ein Schüler Ratgebs nach der Vollendung des Eliazyklus in Frankfurt 1517 die Arbeit in Hirschhorn übernommen.
Die Texte der Bildbeischriften zeugen von einem hohen Bildungsniveau im Hirschhorner Karmeliterkloster. Allerdings läßt die Sprache erkennen, daß der Verfasser an einigen Stellen Mühe mit der Umsetzung des biblischen Textes in Verse hatte. Metrische Fehler sind nicht vorhanden, und die Verwendung eines lyrischen Versmaßes, der sapphischen Strophe, läßt auf die Kenntnis antiker Autoren (Horaz) schließen. Tatsächlich lassen sich in der Zeit von 1461-1511 18 Mitglieder des Hirschhorner Konvents an verschiedenen Universitäten nachweisen. Die meisten von ihnen studierten in Köln, wie z.B. der damalige Prior Werner Wacker.19) Aber auch an den Universitäten Paris, Trier, Heidelberg, Erfurt, Toulouse, Avignon, Perugia und Krakau sind einzelne Karmeliter aus Hirschhorn bezeugt.20)
Der Hirschhorner Eliazyklus spiegelt in Verbindung mit der Reihe der Ordensheiligen auf der gegenüberliegenden Fensterseite21) deutlich die Rückbesinnung und Orientierung an dem Idealbild des Ordensgründers und das Bedürfnis nach einer historischen Legitimation wider. Ein ähnlich differenziertes reformerisches Programm, wie es Viktoria Schmidt-Linsenhoff als Grundlage der Wandmalerei im Frankfurter Karmeliterkloster nachweisen konnte,22) scheint in Hirschhorn jedoch nicht vorgelegen zu haben. Dafür bleiben die Aussagen zu allgemein und nehmen zu wenig auf die ganze Ordensgeschichte Bezug. Im Hirschhorner Kapitelsaal sollten die Mitglieder des Konvents offenbar ständig an den angeblichen Ursprung ihres Ordens und an das vorbildliche Leben der großen Ordensheiligen erinnert werden.

Anmerkungen

  1. Smet/Dobhan, Karmeliten 20-22.
  2. Smet/Dobhan, Karmeliten 29; G. B. Winkler, Karmeliter, in: TRE 17 (1988) 659.
  3. Smet/Dobhan, Karmeliten 30.
  4. B. Roberg, Das zweite Konzil von Lyon (1274), Paderborn-München-Wien-Zürich 1990, 335f.
  5. Smet/Dobhan, Karmeliten 24; C. Peters bei Saggi, Santi del Carmelo 145f.
  6. Peters bei Saggi, Santi del Carmelo 147f.; Smet/Dobhan, Karmeliten 36.
  7. Saggi, Santi del Carmelo 32f. u. 34ff.; Smet/Dobhan, Karmeliten 87-91. Winkler [wie Anm. 2] 658f.
  8. R. A. Koch, Elijah the Prophet, Founder of the Carmelite Order, in: Speculum 34, Nr. 4 (1959) 549ff.
  9. Koch [wie Anm. 8] 548.
  10. Schoenberger, Ratgeb-Studien 71.
  11. Schoenberger, Ratgeb-Studien 72. Vgl. Schmidt-Linsenhoff, Ordenspropaganda 170.
  12. Schoenberger, Ratgeb-Studien 71f. Vgl. die Abbildungen bei Fraenger, Ratgeb Abb. 53-70 und Schmidt-Linsenhoff, Ordenspropaganda 156f.
  13. Schoenberger, Ratgeb-Studien 73. Vgl. dazu U.-N. Kaiser, Jerg Ratgeb. Spurensicherung (Kleine Schriften des Historischen Museums Frankfurt am Main 23) Frankfurt 1985.
  14. So zeigt z.B. der Schwaigerner Altar Ratgebs von 1510 eine vergleichbare Landschaftsmalerei, aber eine vollkommen andere Behandlung der Figuren, vgl. Kaiser [wie Anm. 13] Abb. E 1-10.
  15. Schoenberger, Ratgeb-Studien 72f.
  16. Vgl. Schmidt-Linsenhoff, Ordenspropaganda 164.
  17. Schoenberger, Ratgeb-Studien 73.
  18. Vgl. Fraenger, Ratgeb Abb. 53, 58 und die Abb. bei Schmidt-Linsenhoff, Ordenspropaganda 156f.
  19. Zu ihm vgl. Nr. 115.
  20. Vgl. Lickteig, German Carmelites 428, 484-487, 491, 495, 506, 509, 513, 519.
  21. Vgl. dazu Nr. 92.
  22. Schmidt-Linsenhoff, Ordenspropaganda 162ff.

Zitierhinweis:
DI 38, Bergstraße, Nr. 109 (Sebastian Scholz), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di038mz04k0010901.