Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 740† Markt ? 1650

Beschreibung

Haus. Das Haus war bereits am Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr vorhanden.1) Inschrift A befand sich neben der Tür. Inschrift B an nicht näher bezeichnetem Ort. Inschrift C über der Tür. Inschrift D an der Galerie über der Tür umlaufend. Inschriften E–L an nicht näher bezeichnetem Ort an der Fassade.

Inschrift A nach Kd. Hildesheim, Bürgerliche Bauten; B–L nach Buhlers.

  1. A

    PACE RESTAVRATA NORIBERGAE IANVA SVRGIT DA DEVS VT VIGEAT PAX REPARATA DIV

  2. B

    Quo pia fata volunt2)

  3. C

    Non minor est virtus quam quaerere parta tueri3) Nec sit alterius qui suus esse potest4)

  4. D

    Deo gloriam amicis fidem omnibus justitiam

  5. E

    So oft ich geh aus und ein Wollstu Herr Christ mein Geleitsmann sein und führen mich durch alles leid Hinauf zu Deiner Herrlichkeit. Amen.

  6. F

    Soli Deo honor et gloria5)

  7. G

    Duae res sunt conscientia et fama6) Conscientia necessaria est tibi fama proximo

  8. H

    Honestus rumor alterum est patrimonium7)

  9. I

    Fortitudine adversum hostes et mutua inter se concordia respublica servatur

  10. J

    Plato 5. de legibus Oportet patriam plus diligere quam matrem et liberos cum sit Dea domina8)

  11. K

    Bene praeparatus rebus adversis homo quicquid futurum praestolatur accipit seque instruit ad cuncta si non omnia ut voluit auta) cogitavit accidunt

  12. L

    Tum maxime audendum cum premimur

Übersetzung:

Die Tür ersteht, nachdem der Frieden in Nürnberg wiederhergestellt worden ist. Gib, Gott, daß der wiederhergestellte Frieden lange blühen möge. (A)

Wohin es das fromme Geschick will. (B)

Es ist keine geringere Leistung, das Erworbene zu bewahren, als es zu erwerben. Und derjenige, der sein eigener Herr sein kann, sollte nicht einem anderen zugehören. (C)

Gott die Ehre, den Freunden die Treue, allen Gerechtigkeit. (D)

Gott allein Ehre und Ruhm. (F)

Das Gewissen und der Leumund sind zwei [verschiedene] Dinge. Das Gewissen ist [als Wertmaßstab] notwendig für dich, der Leumund für deinen Nächsten. (G)

Ein ehrenvoller Leumund ist wie ein zweites Vermögen. (H)

Das Gemeinwesen wird bewahrt durch Tapferkeit gegenüber den Feinden und wechselseitige Eintracht untereinander. (I)

Plato im 5. Buch. Über die Gesetze: Man soll das Vaterland mehr lieben als Mutter und Kinder, da es eine Herrin [und] Göttin ist. (J)

Der Mensch, der gut vorbereitet ist auf das Unglück, nimmt an, was immer er an Zukünftigem erwartet, und er rüstet sich für alles, falls nicht alles so eintritt, wie er es gewollt oder gedacht hat. (K)

Wir müssen vor allem dann etwas wagen, wenn wir in Bedrängnis sind. (L)

Versmaß: Chronodistichon (A), Pentameterschluß (B), Elegisches Distichon (C), Jambischer Senar (H).

Kommentar

Das Datum des Chronodistichons A ergibt 1650.

Bei dem in Inschrift A erwähnten Nürnberger Frieden handelt es sich um den Friedensexekutionshauptrezeß vom 26. Juni 1650 in Nürnberg, der als Zusatzvereinbarung zum Westfälischen Frieden die Demobilisierung und die Abfindung der Armeen regelte.9) Das Haus gehörte nach Buhlers dem Amtmann zu Steuerwald Ludolf Behling, der am 22. November 1598 als Sohn des Amtmanns Arnold Behling und der Dorothea von Harlessem in Wunstorf geboren wurde. 1629 heiratete er in Hildesheim Ilsa Brandis und wurde 1634 als Amtmann des Amtes Steuerwald eingesetzt. Dieses Amt hatte er bis zum Jahr 1643 inne. Er starb am 9. Juli 1677 und wurde in St. Andreas begraben.10) Im Jahr 1650 ist Ludolf Behling als am Markt wohnhaft in der Schoßliste nachgewiesen.11)

Textkritischer Apparat

  1. aut] Buhlers merkt an, daß in der ihm vorliegenden Handschrift ast gestanden habe.

Anmerkungen

  1. Vgl. Buhlers, Zerstörte Hildesheimer Haussprüche, S. 215. Beschreibung ebd.
  2. Vgl. Dielitz, Wahl- und Denksprüche, S. 271.
  3. Vgl. Walther, Proverbia 3, Nr. 18042. Quelle: Ovid, Ars amatoria 2,13.
  4. Vgl. Walther, Proverbia 1, Nr. 874: Alterius non sit ...
  5. I. Tim. 1,17.
  6. Vgl. Augustinus, Sermones, Sermo 355 in: C. Lambot (Hg.): Sancti Aurelii Augustini Sermones selecti duodeviginti. Utrecht 1950 (Stromata Patristica et Mediaevalia 1), S. 124, Zeile 13.
  7. Vgl. Publilius Syrus, Sententiae H, Vers 15.
  8. Nach Platon, Nomoi 5, 740a. Der gedanklich und sprachlich komplizierte Satz ist durch die verkürzende und vereinfachende Übersetzung ins Lateinische entstellt. Nach Platon sollen die Bürger des zu schaffenden idealen Staates das ihnen zugeteilte Landlos als Teil des Vaterlandes begreifen und deshalb das Land (als Vaterland) mehr lieben als Kinder ihre Mutter, zumal da es als Göttin (Mutter Erde) Herrin über Sterbliche sei. Durch die lateinische Übersetzung, die nur von patria spricht, wird der Verweis auf die Göttlichkeit der Erde verdunkelt, außerdem geht der Vergleich mit der Mutterliebe verloren, indem die beiden Akkusative (μητέρα παίδας = matrem liberos) fälschlich für syntaktisch gleichrangig gehalten und mit et verbunden werden.
  9. Auf denselben Friedensrezeß bezieht sich auch eine Inschrift auf einer Becherschraube in Osnabrück, vgl. DI 26 (Stadt Osnabrück), Nr. 314. Zum Nürnberger Friedensrezeß vgl. 1648: Krieg und Frieden in Europa. Katalog zur Ausstellung in Münster/Osnabrück vom 24. 10. 1998–17. 1. 1999, hg. von Klaus Bußmann und Heinz Schilling, 3 Bde., o. O. 1998, Textband 1, S. 497.
  10. Biographische Daten nach Roth, Leichenpredigten, R 5209; Klingebiel, Lokale Amtsträger, S. 699.
  11. StaHi, Bestand 50, Nr. 1954, Schoßliste von 1650, S. 4.

Nachweise

  1. Kd. Hildesheim, Bürgerliche Bauten, S. 253 (A).
  2. Buhlers, Zerstörte Hildesheimer Haussprüche, S. 216f.
  3. Slg. Rieckenberg, S. 453.

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 740† (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0074006.