Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 58: Stadt Hildesheim (2003)
Nr. 379 Rathausstr. 20 (no. 338) 1554, 1557, 1591
Beschreibung
Haus. „Tempelhaus“1). Das giebelständige Steinhaus besteht aus vier Geschossen und zwei rechteckig aufgemauerten Giebelgeschossen, die von vier Kreuzblumen bekrönt werden. Die rechteckigen Giebelgeschosse sind durch Maßwerk mit zwei Ecktürmchen verbunden. Das Haus wurde mit Ausnahme der Vorderfassade im Zweiten Weltkrieg zerstört. An der rechten Haushälfte ist ein zweigeschossiger Erker angebaut. Inschrift A befand sich auf einem Wappenstein im Keller.2) Rechts und links über dem spitzbogigen Eingangsportal zwei Wappen, im Schild jeweils die eingehauenen Initialen (B) über dem Wappenbild. Inschrift C auf einer steinernen Brüstungstafel am Erker an der zur Judenstraße gelegenen Schmalseite im Erdgeschoß. Die Inschrift ist in einer von zwei Putten gehaltenen Kartusche in elf vertieften Zeilen erhaben ausgeführt. Links neben der Kartusche die Personifikation des Neids in Gestalt einer alten Frau. Sie hält in ihrer Rechten einen Gegenstand (ein Herz?), in der Linken einen Stab. Unterhalb der Kartusche ein stark verwitterter Neidkopf und zwei Hunde, die sich um ein Stück Fleisch streiten. Inschrift D an der rechts neben dem Hauseingang gelegenen Schmalseite im Erdgeschoß des Erkers, darüber das Allianzwappen Harlessem/Warmbolt. Im Wappen Warmbolt der Buchstabe (E). Die Brüstungsfelder des Erker-Obergeschosses zeigen vier Reliefs aus der Geschichte des Verlorenen Sohnes ohne Beischriften.3) Darunter ein an der linken Schmalseite des Erkers mit den Wappen des Erbauerehepaars beginnender Fries mit 16 Wappen, die letzten vier Wappenschilde sind leer.4) Im Erkergiebel Gottvater mit der von einem Kreuz bekrönten Weltkugel, darunter Inschrift F. An der zur Judenstraße hin gelegenen Seite ist ein steinerner Türsturz mit der Jahreszahl und den Initialen (G) eingemauert. Zwischen den Initialen noch einmal das Wappen Harlessem. Die Initialen (H) sind auf zwei den Kellereingang flankierenden Steinen angebracht.
Inschrift A nach Abb. bei Zoder.
Maße: Bu.: ca. 5 cm (B). H.: 80 cm; B.: 98 cm; Bu.: ca. 2–3 cm (C). H.: 81 cm; B.: 102 cm; Bu.: 3,5–4 cm (D). Bu.: ca. 7 cm (F). Bu.: ca. 8 cm (G). H.: 94 cm; B.: 37,5 cm; (H, linker Stein), 38 cm (H, rechter Stein); Bu.: 5 cm (H).
Schriftart(en): Kapitalis (A–F, H), frühhumanistische Kapitalis (G).
- A †?
R(OLEF) V(ON) H(ARLESSEM) / 1557
- B
R(OLEF) · V(ON) · [H](ARLESSEM) · // E(GGERT) · V(ON) · H(ARLESSEM) ·
- C
SI · MVSSEN / MIR · LEIDEN · VND / LASSEN · MIR · LEBEN / DEI · MICH · BENEIDEN · / VND · NICH·TESa) · GEBEN · / MENNIGER · HASSET · / WAS · ER · SICHT NOCH / MVS · ER · LEIDEN · DAS / ES · GHE·SCHIGTa)5) · / ANNO · D(OMINI) · / 1591
- D
ROILEF · V(ON) · HARLESSEM · EGGERDES · S(ELIG) · S(OHN) / DOROTHIA · WARMBOLTEN · E·L(ICHE) · H(AUS)·F(RAU)
- E
W(ARMBOLT)
- F
EGGERDT · V(ON) HARLES/SEM · ROLEFFS · S(E)L(IG) · S(OHN)
- G
· 1 · 5 · R(OLEF) V(ON)b) H(ARLESSEM) 54
- H
R(OLEF) V(ON) H(ARLESSEM) // R(OLEF) V(ON) H(ARLESSEM)
Harlessem I* |
Harlessem I*, Harlessem I* |
Harlessem I*/Warmbolt7) |
Harlessem I*, Warmbolt, Hagen I*, Süstermann*, Raven8), ?9), ?10), Frese I11), ?12), ?13), ?14), ?15) |
Textkritischer Apparat
- Fälschlicherweise Hochpunkt im Wortinneren. Ein älteres Photo zeigt die Inschrift ohne den überzähligen Worttrenner.
- V(ON)] V kleiner und oberhalb des Wappens.
Anmerkungen
- Der im 19. Jahrhundert wahrscheinlich von Kratz geprägte Name „Tempelhaus“ hat seinen Ursprung darin, daß das Haus der Familie von Harlessem angeblich an der Stelle der mittelalterlichen Synagoge errichtet worden ist. Zur Diskussion um die Beziehung der mittelalterlichen Synagoge zum Haus der Familie von Harlessem s. Peter Aufgebauer: „Tempelhaus“ – Harlessem-Haus – Synagoge. Zu den spätmittelalterlichen Besitzverhältnissen am Altstädter Markt. In: Alt-Hildesheim 52 (1981), S. 11–18; Helmut von Jan: Synagoge und Judenbad im Tempelhaus. In: Alt-Hildesheim 53 (1982), S. 81–83; Bernhard Haagen: Tempel- oder Templer-Haus: Das Ende einer wissenschaftlichen Legende in Hildesheim. In: Alt-Hildesheim 56 (1985), S. 35–53.
- Es konnte nicht geklärt werden, ob sich der Stein noch im Keller des Hauses befindet.
- Vgl. dazu Konrad Maier: Die Renaissanceauslucht des Tempelhauses in Hildesheim. In: Alt-Hildesheim 40 (1969), S. 12–20.
- Vgl. dazu die ausführlichen genealogischen Untersuchungen Hans Schlotters: Der Wappenfries am Renaissance-Erker des Harlessem-Hauses zu Hildesheim. In: Alt-Hildesheim 49 (1978), S. 85–94. – Zur Zeit Zellers waren auch die Wappenschilde unter der rechten vorderen Brüstungstafel leer (Kd. Hildesheim, Bürgerliche Bauten, S. 242).
- MENNIGER ... GHESCHIGT: Wander, Sprichwörterlexikon, Bd. 2, Sp. 383, Nr. 9. ‚Sie, die mich beneiden und [mir] nichts geben (vielleicht i. S. v. ‚gönnen‘), müssen mich doch ertragen und mich leben lassen. Mancher haßt, was er sieht, und muß doch erdulden, daß es geschieht.‘
- Die Zuordnung der Wappen folgt Schlotter (wie Anm. 4).
- Wappen gespalten, rechts Harlessem, links Warmbolt (gekröntes, von einem liegenden Pfeil durchstecktes W). Vgl. StaHi, Bestand 856, Nr. 50/268/8, Kasten 27.
- Wappen Raven (Hakenschrägkreuz). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 5, Abt. 4, S. 65 u. Tafel 74.
- Wappen ? (drei bärtige Männerrümpfe 2:1). Schlotter hat dieses Wappen offenbar aus genealogischen Gründen der Familie Sasse zugeordnet (wie Anm. 4, S. 91). Für die Familie Sasse weist die Wappenkartei StaHi, Bestand 856, Nr. 50/268/8, Kasten 25 verschiedene Wappeninhalte nach, die drei Männerrümpfe jedoch nicht.
- Wappen ? (zwei Rosen nebeneinander). Schlotter hat das Wappen der Familie Winkelmann zugeordnet (wie Anm. 4, S. 86).
- Wappen Frese I (Rosenzweig mit vier Blättern und drei Blüten). Vgl. StaHi, Bestand 856, Nr. 50/268/9, Kasten 30.
- Wappen ? (vierstrahliger Stern).
- Wappen ? (Zweig mit zwei Blättern). Schlotter hat das Wappen der Familie Sledorn zugeordnet (wie Anm. 4, S. 86).
- Wappen ? (Blüte).
- Wappen ? (verschiedene Werkzeuge im Dreieck angeordnet, in der Mitte vielleicht der Buchstabe E). Es folgen vier leere Wappenschilde.
- Lebensdaten nach Schlotter, Genealogien, S. 115–135.
- Vgl. Schlotter, Bürgermeister und Ratsherren, S. 330.
- Schlotter, Genealogien, S. 119.
- Ebd., S. 120.
- Ebd., S. 123.
Nachweise
- Rudolf Zoder: Wann wurde das Tempelhaus erbaut? In: Alt-Hildesheim 26 (1955), S. 12 (A).
- NLD, Photoarchiv, Photosammlung Hildesheim, Tempelhaus, KB 248A/2/67.
- Kd. Hildesheim, Bürgerliche Bauten, S. 241ff.
- Mithoff, Kunstdenkmale, S. 159.
- Buhlers, Hildesheimer Haussprüche, S. 17.
- Slg. Rieckenberg, S. 808, S. 896f., ein Photo.
Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 379 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0037904.
Kommentar
Die in Inschrift B genannten Namen können sich entweder auf die Brüder Eggert II. (1463/64–1520) und Rolef III. von Harlessem († vor 1501) oder auf die Brüder Eggert III. (um 1500–1553) und Rolef IV. (um 1510–1587) beziehen.16) Im ersten Fall würden die Wappen und Namen die Erwerber des Hauses festhalten, und das Todesjahr Rolefs III. (vor 1501) wäre als Terminus ante quem für den Erwerb des Hauses durch die Familie von Harlessem anzunehmen. Aus der Ausführung der Inschrift lassen sich keine Anhaltspunkte für die Zuordnung zu einem der beiden Brüderpaare gewinnen. Sie könnte sowohl zum Gedenken an die Erwerber des Hauses wie auch als Besitzvermerk der Brüder Eggert III. und Rolef IV. angebracht worden sein.
Rolef III. von Harlessem war seit 1484 mehrfach Mitglied des Rates,17) Eggert II. ist bis 1512 urkundlich als Besitzer und Bewohner des Nachbarhauses Rathausstr. 18 nachgewiesen; nach Schlotter hat er zwischen 1513 und 1520 das Haus Rathausstr. 20 erworben und ist dorthin umgezogen. Er ist 1488 als Bürger und Wandschneider genannt, von 1499 bis 1519 gehörte er ebenfalls dem Rat an. Er war verheiratet mit Margarete von Hagen und starb um 1520.18) Sein Sohn Rolef IV., verheiratet mit Dorothea Warmbolt (D), gehörte ebenfalls der Wandschneidergilde an und war von 1559 bis 1585 Mitglied des Vierundzwanziger-Kollegiums.19) Er war der Inschrift D zufolge der Initiator des nach seinem Tod im Jahr 1591 von Eggert IV. fertiggestellten Renaissance-Erkers (C, F). Innerhalb des Hauses hat er offenbar bereits in den Jahren 1554 und 1557 Umbauten vornehmen lassen (A, G). Bis zum Jahr 1548 hat er das Haus Rathausstr. 20 bewohnt, möglicherweise gemeinsam mit seinem Bruder Eggert III., der spätestens in diesem Jahr, wie seine an der Fassade des Hauses Rathausstr. 18 angebrachten Initialen mit der Jahreszahl 1548 bezeugen (Nr. 359), dorthin umgezogen ist. Der in Inschrift F genannte Vollender des Erkers, Eggert IV., war Ratsmitglied von 1620 bis 1628. Er heiratete im Jahr 1599 Anna von Wintheim aus Hannover und starb 1630.20)