Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 58: Stadt Hildesheim (2003)
Nr. 368† Neustädter Markt 15 (no. 743) M. 16. Jh., 1608
Beschreibung
Haus.1) Fachwerk. Das Haus wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Inschrift A befand sich auf dem Schwellbalken des ersten Obergeschosses am Haupthaus. Der Schluß der Inschrift war durch den 1608 angebauten Erker verdeckt. Inschriften B auf dem Schwellbalken des Erkerobergeschosses als Beischriften zu den in darüberliegenden Brüstungstafeln angebrachten Darstellungen von Jupiter, Minerva und Venus.
Inschriften nach Photo Roemer-Museum, ergänzt nach DBHi, HS 789.
Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien (A), Kapitalis (B).
- A
De warheyt is tho himel geflogen De trvve ist overt wilde meer getogen De gerechticheyt is allenthalven vordreven De untrvve [alleine is gebleuen]2)
- B
IVPITER · // 1 MINERVA 6 // 0 VENUS 8
Anmerkungen
- Beschreibung und Bestimmung der Schriftarten nach Photo Roemer-Museum H 6946.
- ‚Die Wahrheit ist zum Himmel geflogen, die Treue ist übers wilde Meer gezogen, die Gerechtigkeit ist überall vertrieben, nur die Treulosigkeit ist geblieben.‘ Vgl. Wander, Sprichwörterlexikon, Bd. 4, Sp. 1752, Nr. 143: dort für die Schlußzeile auch die Version: Betrug und Falsch ist in der Welt blibenn. Wander verzeichnet noch eine längere Fassung des Sprichworts: iedoch Gott nehrt, Deme der Ine ehrtt. Rieckenberg hat eine weitere Fortsetzung nachgewiesen: Godt min heer woe seer / geit gelt voer eer, gewalt voer recht, / dat klage ick arme knecht.
- Vgl. Einleitung, S. 59.
Nachweise
- Photo Roemer-Museum H 6946.
- DBHi, HS 789, fol. 395v: Lambertiplatz no. 743.
- Buhlers, Hildesheimer Haussprüche, S. 7.
- Mithoff, Kunstdenkmale, S. 180.
- Kd. Hildesheim, Bürgerliche Bauten, S. 370.
- Slg. Rieckenberg, S. 801.
Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 368† (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0036804.
Kommentar
Die Schriftform und die starke niederdeutsche Färbung der Sprache sprechen dafür, daß die Inschrift A vom Haupthaus nicht in demselben Jahr 1608 wie die Inschrift B des nachträglich angebauten Erkers entstanden ist, sondern bereits aus der Mitte des 16. Jahrhunderts stammt.3) Aus dieser Zeit sind mehrere Sprüche mit Zeitklagen überliefert, vgl. z. B. Nr. 222, Nr. 351. Die Vorstellung von den Tugenden, die sich von der Erde zurückziehen und den Lastern Platz machen, ist antiken Ursprungs: vgl. den Weltaltermythos des Hesiod (‚Werke und Tage‘, 197–200) und vor allem die Metamorphosen des Ovid (1, 129–131).