Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 58: Stadt Hildesheim (2003)
Nr. 137 Verschiedene Standorte 1. V. 15. Jh.
Beschreibung
Tafeln von den beiden Flügeln des Magdalenenaltars aus der Kirche des ehemaligen Augustinerinnenklosters St. Magdalenen.1) Temperamalerei auf Eichenholz.2) Der Altar wurde wahrscheinlich bei der Umgestaltung der Kirche 1794–1797 entfernt und danach verkauft. Die vier Tafeln des linken Flügels gehören heute in die Sammlung des Grafen Landsberg-Velen auf Schloß Wocklum (bei Beckum im Sauerland). Die Außenseite des rechten Flügels wird seit dem Jahr 1904 komplett in der Kunsthalle Hamburg aufbewahrt, die obere Tafel der Innenseite im Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster, die untere in der Staatsgalerie Stuttgart.3)
Auf der oberen Tafel der linken Außenseite (Wocklum) die Anbetung der Könige, auf der unteren (Wocklum) die Heiligen Maria Magdalena, Augustinus und Levinus. Am unteren Rand der Tafel mit der Anbetung der Könige ist noch die obere Hälfte einer Schriftleiste mit den Namen der drei auf der unteren Tafel dargestellten Heiligen (A) erkennbar. Die Außenseite des rechten Flügels (Hamburg) zeigt in zwei Reihen sechs Heilige: oben Paulus, Petrus und Johannes den Evangelisten, unten Hermagoras,4) Godehard mit dem Kirchenmodell von St. Godehard und Bernward. Zwischen den beiden Reihen verläuft ebenfalls eine Schriftleiste mit den Namen der darunter Dargestellten (B). Die Innenseiten zeigen Szenen aus dem Leben der Maria Magdalena. Obere Tafel der linken Innenseite (Wocklum): die Auferweckung des Lazarus mit einem von der Hand Christi ausgehenden Schriftband (C), in den Nimben der links neben Christus stehenden Jünger und in den Nimben der vor ihm knienden Frauen die Inschriften D. Der Nimbus des am weitesten links stehenden Jüngers ist vom folgenden Jünger überdeckt. Untere Tafel der linken Innenseite (Wocklum): Gastmahl im Hause des Simon. In den Nimben der um den Tisch sitzenden Apostel sind die Inschriften E angebracht, die Gastgeber Simon und seine Frau ohne Nimben, Christus mit Kreuznimbus ohne Inschrift. Vor dem Tisch Maria Magdalena, die Christus mit ihren Haaren die Füße trocknet, Inschrift F in ihrem Nimbus. Obere Tafel des rechten Innenflügels (Münster): Auffahrt der Maria Magdalena mit der Inschrift G im Nimbus. Untere Tafel des rechten Innenflügels (Stuttgart): Begegnung Maria Magdalenas mit Christus im Garten, im Nimbus der Maria Magdalena die Inschrift H, im Bereich des Wortes Sancta durch einen geflickten Riß gestört. Die Inschriften in den Nimben sind in Blattgold gepunzt, die Inschriften in den Schriftbändern gemalt. Als Trennzeichen zwischen den Namen stehen in Inschrift B vier in die Ecken eines Quadrates gestellte Sternchen, dazwischen jeweils ein Punkt und ein weiterer Punkt im Zentrum. In den Nimbeninschriften zwischen den Wörtern und am Ende Blattranken.
Inschriften B, G und H5) nach Autopsie, D nach Mitteilung Graf Landsberg-Velen,6) alle übrigen nach Abb. Behrens.
Maße: Gesamtgröße des Altaraufsatzes mit Rahmen nach der Rekonstruktion durch Gmelin: H.: 143 cm; B.: 320 cm. Altarflügel mit Heiligendarstellungen: H.: 128 cm; B.: 73 cm; Bu.: 2,1 cm (B). Tafel Gastmahl des Simon: H.: 63 cm; B.: 76 cm; Bu.: 1,5–1,8 cm (E, F). Tafel Auffahrt der Maria Magdalena: H.: 76 cm; B.: 89 cm; Bu.: 2 cm (G). Tafel Noli me tangere: H.: 67 cm; B.: 79 cm; Bu.: 1,5 cm (H).
Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien der gotischen Majuskel.
- A
S(anct)a maria m(a)g(da)lena s(anct)(us) augustinus s(anct)(us) levinus
- B
S(anct)(us) ermachra S(anct)(us) godeherdus S(anct)(us) berwerdus
- C
Lasare veni foras7)
- D
ana) // Sa(n)cte Petre // Sancta Maria Marta // Sancta Maria Magdb)
- E
s(ancte) · petre // s(ancte) · thoma // s(ancte) · andrec) // s(ancte) iohannes // sancte bartolomed) // s(ancte) · mathia // s(ancte) · // sancte [.]
- F
sancta · maria · mb)
- G
Sancta maria magdab)
- H
Sancta · magdalena
Übersetzung:
Lazarus, komm heraus. (C)
Textkritischer Apparat
- an] Zu ergänzen entweder zu andrea, zu Sancte oder zu Ioannes.
- Zu ergänzen zu Magdalena.
- andre] Zu ergänzen zu andrea.
- bartolome] Zu ergänzen zu bartolomee.
Anmerkungen
- Beschreibung und Geschichte des Altars ausführlicher bei Reinhold Behrens: Ein Magdalenen-Altar des Göttinger Barfüßer-Meisters. In: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 1 (1961), S. 159–168.
- Materialangabe nach Kat. Stadt im Wandel 1, Nr. 155, S. 216 (Gmelin).
- Hamburg, Kunsthalle, Inv. Nr.: 370; Münster, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Inv. Nr.: 856 LM; Stuttgart, Staatsgalerie, Inv. Nr.: L 24.
- Dargestellt ist ein Heiliger im Bischofsornat mit Krümme und Schwert. Claus Gottschalck (Ein Hildesheimer Magdalenen-Altar. In: Alt-Hildesheim 58 [1987], S. 15–20, hier S. 15) identifiziert ihn mit dem heiligen Remaclus, Behrens (wie Anm. 1, S. 159) hingegen zu Recht mit dem heiligen Hermagoras. Seine Auffassung wird gestützt durch eine in der Handschrift DBHi, HS 361a, S. 63 auf diesen Altar zu beziehende Weihenotiz, die Hermagoras als Patron eines Altars in St. Magdalenen nennt (vgl. Anm. 8).
- Für die Aufnahme der Inschrift H danke ich Herrn Dr. Harald Drös, Inschriftenkommission Heidelberg.
- Briefliche Mitteilung Graf Landsberg-Velen, Balve-Wocklum, vom 7. Januar 2000.
- Io. 11,43.
- DBHi, HS 361a, S. 63: Anno 1466 Altare summum in Templo Monasterii s. Mariae Magdalenae dicatum s. Hermagorae Anno 1694 renovatum est Tabulatum. (Zitat bei Behrens nicht korrekt wiedergegeben). Bei der Handschrift, die das Datum der Weihe überliefert, handelt es sich um eine spätere Abschrift einer älteren Vorlage. Es ist daher wahrscheinlich, daß die Jahreszahl hier falsch überliefert ist.
- Behrens (wie Anm. 1), S. 163.
Nachweise
- Reinhold Behrens: Ein Magdalenen-Altar des Göttinger Barfüßer-Meisters. In: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 1 (1961), S. 159 (A, B), S. 162 (C), S. 163 (G), Abb. sämtlicher Tafeln.
- Kat. Stadt im Wandel 1, Abb. S. 217 (E, F).
Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 137 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0013709.
Kommentar
Die Nimbeninschriften sind in einer kunstvoll gestalteten gotischen Minuskel mit am Ende gegabelten, vielfach in Blättchenverzierungen auslaufenden Hasten ausgeführt. Das Schluß-s in berwerdus ist entweder verschrieben oder besonders manieriert gestaltet: es hat die Grundform eines Schaftr (!), an dessen unten gebrochener Haste nach rechts ein breiter Bogen anschließt, der links durch eine Doppelhaste geschlossen ist (Form eines kapitalen D). Die Namenbeischriften in den Nimben (E) sind im Vokativ formuliert und als implizite Gebete zu den dargestellten Heiligen zu verstehen.
Die Herkunft des Altars aus St. Magdalenen wird durch eine archivalische Nachricht belegt, derzufolge im Jahr 1466 in der Kirche des Klosters ein Altar dem Heiligen Hermagoras geweiht worden ist.8) Behrens hat die Malerei dem Meister des Göttinger Barfüßeraltars zugeschrieben und den Altar abweichend von dem in dieser Nachricht genannten Datum 1466 übereinstimmend mit der übrigen kunsthistorischen Literatur auf die Zeit um 1416 datiert.9) Zu der Festlegung der Entstehungszeit „um 1416“ gelangte Behrens aufgrund einer am nordöstlichen Pfeiler des Mittelschiffs angebrachten Jahreszahl, die er als „mccccxvi“ zitiert. Diese Jahreszahl datiere den Abschluß der Umgestaltung zu einer gotischen Hallenkirche, folglich könne sie auch einen Hinweis auf die Weihe dieses Altars am Ende der Bauarbeiten geben. Tatsächlich ist diese Jahreszahl aber als mccccxlvi (vgl. Anhang, 1446) zu lesen und liegt damit außerhalb der Zeit, in welcher der Meister des Göttinger Barfüßeraltars tätig war (1. Viertel 15. Jahrhundert). Der Altar dürfte folglich unabhängig von dem Baudatum 1446 lediglich aufgrund der stilistischen Parallelen zum Göttinger Barfüßeraltar in die 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts zu datieren sein.